Washington/Ferguson. Mit Tränengas und Blendgranaten ist die Nationalgarde am Dienstag in der US-Kleinstadt Ferguson gegen Randalierer nach dem Tod eines schwarzen Jugendlichen vorgegangen. Dann passierte etwas, was die Lage weiter eskalieren lassen könnte: Unweit der Stadt erschossen Polizisten noch einen jungen Mann.
In der Nähe der von Protesten erschütterten US-Stadt Ferguson haben Polizisten am Dienstag einen Afro-Amerikaner erschossen. Der 23-Jährige habe die Beamten mit einem Messer bedroht, sagte der Polizeichef Sam Dotson bei einer Pressekonferenz. Der Verdächtige habe sich unberechenbar verhalten und die Polizisten aufgefordert, ihn zu erschießen.
Obwohl sie ihn mehrfach ermahnt hätten, das Messer abzulegen, sei er trotzdem weiter auf sie zugekommen, sagte Dotson. Als der Mann nur noch gut ein Meter von den Beamten entfernt gewesen sei, hätten sie auf ihn geschossen. Die genauen Umstände des Vorfalls würden noch untersucht. Der Verdächtige soll zuvor Lebensmittel aus einem Geschäft gestohlen haben.
Auch in St. Louis versammelten sich sofort Demonstranten
Der Tatort liegt in der Großstadt St. Louis und damit nur gut drei Kilometer von Ferguson entfernt, berichtete der TV-Sender CNN. In Ferguson gibt es seit mehr als einer Woche teils gewalttätige Demonstrationen, nachdem ein weißer Polizist den 18-jährigen Michael Brown erschossen hatte, obwohl dieser unbewaffnet war. Auch am Tatort in St. Louis sammelte sich nach Angeben des TV-Senders NBC bereits eine Gruppe von Demonstranten. Schon zuvor waren die Zusammenstöße zwischen Ordnungskräften und teilweise gewalttätigen Demonstranten in Ferguson immer brutaler geworden.
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In der Nacht zu Dienstag geriet die Polizei nach Angaben von Einsatzleiter Ron Johnson unter „heftigen Beschuss“ aus Reihen der Demonstranten. Dabei habe es zwei Verletzte gegeben. Aus Wut über die zögerliche Aufklärung der Behörden nach der Erschießung des 18-jährigen Schwarzen Michael Brown am 9. August tragen Nacht für Nacht Hunderte Demonstranten ihren Protest auf die Straßen der 21.000 zählenden Gemeinde nahe St. Louis im US-Bundesstaat Missouri. Johnson sagte bei einer nächtlichen Pressekonferenz: „Wir haben nicht einmal zurückgeschossen.“ Stattdessen seien Tränengas und Blendgranaten eingesetzt worden. Es gab über 30 Festnahmen, darunter erstmals auch Reporter deutscher Tageszeitungen.
Der Afro-Amerikaner Johnson, in der vergangenen Woche von Gouverneur Jay Nixon mit dem Ziel der Beruhigung der Lage eingesetzt, hält zunehmend von auswärts anreisende Gewalttäter und Plünderer für das Hauptproblem in Ferguson. Nach seinen Angaben stammen etliche der Inhaftierten aus Chicago, Detroit, Atlanta oder New York. Nach US-Medienberichten seien darunter politisch radikalisierte Schwarze, „die sich in der Tradition von Bürgerrechtlern wie Malcom X sehen“. Aber auch „arbeitslose Kriminelle“, die unter dem Vorwand des Todes von Michael Brown allein deshalb nach Ferguson gekommen seien, „um Randale zu machen und Geschäfte auszurauben“.
Erkennbar nervöser werdende Einsatzkräfte leisten sich immer häufiger Fehler
Bei dem Versuch, die Spreu vom Weizen zu trennen und ein - auf Drängen des Weißen Hauses - vertretbares Mittelmaß zwischen Härte und Milde walten zu lassen, leisten sich die erkennbar nervöser werdenden Einsatzkräfte immer häufiger Fehler. Es häufen sich Berichte, wonach friedliche Demonstranten, Mütter, Väter, Alte und Jugendliche, mit Tränengas behelligt und körperlich attackiert worden sein sollen. „Manche Cops verlieren komplett die Nerven“, zitierte der Sender ABC einen Anwohner.
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Auch die Medien, inzwischen in Hundertschaften vor Ort, bleiben nicht verschont. Nachdem zuletzt zwei Reporter der „Washington Post“ und der „Huffington Post“ unter fadenscheinigen Gründen vorübergehend verhaftet und an der Arbeit gehindert wurden, was Präsident Obama zu polizei-kritischen Anmerkungen veranlasste, gerieten jetzt erstmals deutsche Tageszeitungsjournalisten ins Visier der Ordnungskräfte. Darunter Ansgar Graw („Die Welt)“ und Frank Herrmann (u.a. „Rheinische Post“). Die beiden langjährigen US-Korrespondenten in Washington waren nach eigenen Schilderungen bei einem Ortsbesuch von Polizisten während der Recherche schikaniert und danach verhaftet worden. Sie kamen nach drei Stunden frei. Beide erklärten, das Motiv der Polizei-Aktion sei eindeutig Einschüchterung und Verhinderung von Berichterstattung gewesen.
US-Medienverbände beklagen eingeschränkte Pressefreiheit in Ferguson
US-Medienverbände beklagen seit Tagen, dass in Ferguson die Pressefreiheit stark eingeschränkt ist. Die Polizei-Einsatzleitung hat in der Innenstadt eine Zone ausgewiesen, aus der sich Journalisten allerdings kein umfassendes Bild von den Protesten machen können. „Wer die Zone verlässt“, so das Journalisten-Institut Poynter, „riskiert die willkürliche Verhaftung.“
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Viele der mehrheitlich afro-amerikanischen Einwohner von Ferguson beschleicht trotz der unverändert großen Wut auf die Polizei wegen des Todes von Michael Brown ein ungutes Gefühl. „Die Fernsehkameras werden irgendwann weg sein“, sagte ein junger Familien-Vater der Lokalzeitung St. Louis Post Dispatch, „wir aber werden hier weiter mit diesen Beamten leben müssen.“ Von 53 Polizisten in Ferguson sind nur drei schwarz.
Justizminister will am Mittwoch in Ferguson Gespräche führen
Am Mittwoch wird US-Justizminister Eric Holder in Ferguson erwartet. Er soll dort auf Geheiß von Präsident Obama Gespräche mit Polizei, Justiz und Vertretern der Zivilgesellschaft führen, um die angeheizte Stimmung zu beruhigen. Die Regierung in Washington hat - unabhängig von den vor Ort laufenden Untersuchungen - ein eigenes Ermittlungsverfahren wegen der möglichen Verletzung von Bürgerrechten eingeleitet. Holder betonte in den letzten Tagen, dass die scheibchenweise Veröffentlichung einzelner Zeugenaussagen einer umfassenden Aufklärung abträglich seien und bat um „mehr Geduld bei allen Beteiligten“.
Dessen ungeachtet gab der TV-Sender CNN der bisher unbekannt gewesenen Darstellung des Todesschützen, Officer Darren Wilson, erstmals Raum. Danach habe Michael Brown sich zuerst der Anweisung des Polizisten widersetzt, von der Straße auf den Bürgersteig zu wechseln. Als Wilson sein Dienstfahrzeug verlassen wollte, habe Brown, ein 1,95 Meter großer und 130 Kilogramm schwerer Mann, ihn massiv gehindert und geschlagen. Bei einem Handgemenge habe sich ein Schuss aus der Dienstpistole des Beamten gelöst. Brown und sein Begleiter Dorian Johnson, der ausgesagt hatte, sein Freund sei mit erhobenen Händen erschossen worden, seien danach weggerannt. Wilson habe sie mit vorgehaltener Waffe zum Stehenbleiben aufgefordert. Michael Brown habe in diesem Moment lautstark gegen eine bevorstehende Festnahme protestiert und sei in vollem Tempo auf den Beamten zugestürmt. Wilson habe daraufhin mehrfach geschossen. Zwei Kugeln trafen Brown in den Kopf. Tödlich. Unabhängige Bestätigungen für diese Version gibt es bisher nicht. Die Ermittlungsbehörden hüllen sich in Schweigen.