Berlin. . Die Differenzen zwischen Deutschland und den USA sind durch die Abhör- und Spionageaffären gewachsen. In Zukunft müssen sich die deutschen Geheimdienste auch gegen befreundete Staaten richten, sagte Thomas Oppermann, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Ein Interview.
Die Spionageabwehr der deutschen Nachrichtendienste muss sich künftig auch gegen befreundete Länder richten – doch diese Herausforderung könnte die eigentliche Arbeit der Dienste schwächen. Davor warnt der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Mit ihm sprach Christian Kerl.
Herr Oppermann, nach den jüngsten Fällen von US-Spionage ist die Verunsicherung im Bundestag groß: Fürchten Sie auch, ausspioniert zu werden - wie schützen Sie sich?
Thomas Oppermann: Es gibt keine absolute Sicherheit. Aber man kann sich schützen. Bei wichtigen Angelegenheiten suche ich das persönliche Gespräch. Außerdem habe ich ein abhörsicheres Telefon bestellt, damit ich zur Not wichtige Dinge auch am Telefon besprechen kann.
Das Misstrauen ist groß.
Oppermann: Wir erleben gerade, dass die Vorzüge der modernen Technik auch mit Nachteilen verbunden sind. Kommunikation wird immer leichter. Gleichzeitig werden aber auch missbräuchliche Zugriffe auf die Kommunikation immer leichter. Wir müssen lernen, damit umzugehen.
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Es gibt aber auch keinen Anlass, uns verrückt zu machen. Ich werde sicher nicht aus Furcht vor der NSA auf meine Computer verzichten und zur Schreibmaschine zurückkehren.
Rechnen Sie mit weiteren US-Spionen in Berlin?
Oppermann: Es ist schlimm genug, dass wir das nicht ausschließen können. Jetzt muss der Generalbundesanwalt ermitteln und die bekannten Fälle aufklären. Wer hier spioniert, egal für welches Land, der macht sich strafbar und muss mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgt werden.
Waren Bundestag und Regierung zu blauäugig?
Oppermann: Wir haben darauf vertraut, dass es unter Freunden keine Spionage gibt. Dieses Vertrauen war nicht gerechtfertigt, deshalb ist die Enttäuschung jetzt groß. Wir werden uns gegen solche Übergriffe besser schützen müssen.
Aber wie?
Oppermann: Die Spionageabwehr wird sich künftig auch gegen befreundete Geheimdienste richten müssen. Das haben wir bisher nicht gemacht. Damit sind selbstverständlich weitreichende Folgen für die Arbeit der Geheimdienste verbunden. Wenn wir nun auch versuchen, die Spionage befreundeter Länder zu verhindern, dann kostet das Kapazitäten. Die Dienste können sich nicht mehr voll auf die Abwehr konkreter Bedrohungen konzentrieren. Das ist ein Problem.
"Das freundschaftliche Verhältnis zu den USA ist spürbar belastet"
Muss die Regierung politische Konsequenzen gegenüber den USA ziehen und etwa das geplante Freihandelsabkommen stoppen?
Oppermann: Nein. Ein gut verhandeltes Freihandelsabkommen, das die sozialen, ökologischen und kulturellen Standards absichert, liegt in unserem Interesse. Ein Stopp der Verhandlungen als Reaktion auf Spionage hilft nicht, um Vertrauen wieder aufzubauen - aber genau darum muss es jetzt gehen.
Wie groß ist der Vertrauensschaden?
Oppermann: Das freundschaftliche Verhältnis ist spürbar belastet. Aber wir dürfen natürlich auch nicht vergessen, dass wir jetzt seit 65 Jahren eine stabile transatlantische Partnerschaft haben. Die Amerikaner haben uns nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen, wirtschaftlich und demokratisch auf die Beine zu kommen. Eine Wertegemeinschaft bilden wir schließlich mit den Amerikanern und nicht mit den Russen oder Chinesen.
Im Bundestag wird erneut diskutiert, ob man den früheren NSA-Mitarbeiter Snowden nicht doch nach Deutschland holen müsste.
Oppermann: Snowden nach Deutschland zu holen, um die Amerikaner zu ärgern, weil sie uns geärgert haben - davon halte ich gar nichts. Das sind Sandkastenspiele. Es geht nicht darum, den Konflikt mit den USA weiter eskalieren zu lassen. Wir müssen uns darum bemühen, dass wir ein gemeinsames Verständnis der Probleme bekommen. Seit dem 11. September 2001 setzen die Amerikaner vorrangig auf Sicherheit - die Europäer wollen ein ausbalanciertes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit.
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Solange wir diese grundlegende Differenz nicht durch ein gemeinsames Verständnis von unseren Werten klären können, werden wir weiter Probleme im Deutsch-Amerikanischen Verhältnis haben. Wir brauchen eine Wertedebatte zwischen Deutschland und Amerika und wir wollen auch künftig eine starke transatlantische Partnerschaft.
Aber Snowden könnte ja klären helfen, wie groß die Differenz ist.
Oppermann: Ich bezweifele, dass Herr Snowden uns dabei helfen kann. Er hat mit seinen Dokumenten enthüllt, dass die amerikanischen und britischen Nachrichtendienste die Internetkommunikation offenbar schrankenlos überwachen. Das war vorher nicht bekannt. Diese Enthüllung ist ein bleibendes Verdienst von Snowden. Es liegt an uns, die Sache jetzt aufarbeiten.
Welche Themen die SPD in der Großen Koalition noch verwirklichen will
Blicken wir auf die Koalition. Die SPD hat in den letzten Monaten viel durchgesetzt. Aber haben Sie das Pulver nicht vorzeitig verschossen?
Oppermann: Da habe ich keine Sorge. Der Koalitionsvertrag bietet noch viel Stoff. Nach der Sommerpause beschäftigen wir uns mit der gesetzlichen Frauenquote in Aufsichtsräten großer Unternehmen, die Mietpreisbremse kommt, die Regulierung der Leiharbeit und die Lockerung des Kooperationsverbots.
Die Union hat aber schon signalisiert, dass sie jetzt genauer hinsehen will, einige Vorhaben wurden vertagt, es gibt Unmut bei CDU/CSU. Haben sie Verständnis?
Oppermann: Wenn ein Partner in der Koalition mehr Beratungszeit benötigt, dann muss das möglich sein. Wir werden alle Vereinbarungen des Koalitionsvertrags umsetzen. Davon profitieren beide Seiten.
Wie ist Ihre Zwischenbilanz?
Oppermann: Die Koalition funktioniert viel besser, als ich erwartet habe. Wir haben die vielen SPD-Mitglieder, die dafür gestimmt haben den Koalitionsvertrag zu unterschreiben und in die Regierung einzutreten nicht enttäuscht. Sie sehen, dass wir Schritt für Schritt wichtige Vorhaben umsetzen. Diese Koalition hat in den ersten sechs Monaten mehr erreicht als Schwarz-Gelb in vier Jahren.
Aber warum profitiert die SPD nicht?
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Oppermann: Wir haben bei der Europawahl einen ordentlichen Zuwachs erzielt. Von unserer guter Regierungsarbeit werden wir mittel- und langfristig auch bei weiteren Wahlen profitieren. Das Vertrauen in die SPD wird wieder wachsen. Aber hartes Holz wächst langsam.
"Die Pkw-Maut ist ein Projekt der CSU"
Stichwort Pkw-Maut. Der Plan des Verkehrsministers stößt auf viel Skepsis. Bei Ihnen auch?
Oppermann: Die Pkw-Maut ist ein Projekt der CSU. Was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, daran fühlen wir uns gebunden. Allerdings müssen die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sein, zum Beispiel darf es zu keiner Mehrbelastung der deutschen Autofahrer kommen.
Im Koalitionsvertrag ist nur von einer Maut auf Autobahnen die Rede, nicht auf Land- und Kommunalstraßen.
Oppermann: Das ist in der Tat ein ganz neuer Ansatz. Da ist Verkehrsminister Dobrindt gefordert, mit den Kommunen und Ländern eine Einigung zu erzielen.
Ein Projekt trägt die Union mit sich herum: Die Senkung der kalten Progression. Hat das eine Chance?
Oppermann: Ich kann mir das vorstellen. Unser Ziel bleibt, die kalte Progression abzumildern, damit von den Tarifsteigerungen ein ordentlicher Anteil auf dem Konto der Arbeitnehmer bleibt. Die dafür notwendigen Spielräume müssen allerdings erst noch erarbeitet werden. Niemand will eine Steuersenkung auf Pump. 2015 werden wir erstmals einen Haushalt ohne neue Schulden haben. Ende diesen Jahres wird Finanzminister Schäuble seinen Bericht zur kalten Progression vorlegen. Dann ist es an Minister Schäuble einen Vorschlag zu machen, wie wir mit dem Problem weiter umgehen. Vielleicht öffnet sich eine Tür, wenn wir zu einer Einigung über die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen kommen.
Noch im Wahlkampf hatte die SPD von so einer Entlastung nichts wissen wollen, da ging es nur um Steuererhöhungen. War das Konzept ein Fehler?
Oppermann: Der letzte Wahlkampf war für die SPD insgesamt weniger erfolgreich als gewünscht. Ich bezweifele, dass das allein am Steuerkonzept gelegen haben soll. Jedoch werden wir unsere Forderungen sicher weiter entwickeln. Deshalb werden wir für 2017 ein intelligentes Steuerkonzept vorlegen, in dem Be- und Entlastungen neu justiert werden.