Washington. Nachdem Berlin dem Stations-Chef der CIA den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte, weigerte sich Obama-Sprecher Josh Earnest selbst die Tatsache an sich zu bestätigen. Durch das politische Selbstgespräch Washingtons zieht sich unterdessen der versteckte Hinweis an Berlin, jetzt nicht übermütig zu werden.

Da weiß man doch, woran man ist: „Deutschland erfreut sich engerer wirtschaftlicher und politischer Verbindungen mit Russland und dem Iran als die meisten anderen westlichen Staaten. Amerika muss diese Verbindungen verstehen, dazu braucht es geheimdienstliche Aufklärung. Amerika würde unverantwortlich handeln, wenn es deutsche Offizielle nicht belauschen würde.“

Was die seit einer Woche im Zuge des Spionage-Skandals zwischen Berlin und Washington auf Tauchstation befindliche Regierung von Präsident Obama öffentlich so nie aussprechen würde, aber nach Auskunft von auf Anonymität pochenden Mitarbeitern ziemlich genau so sieht, hat am Freitag das „Wall Street Journal“ seinen Lesern vorgesetzt.

Was in dem gerade 125 Jahre gewordenen Blatt gedacht wird, hat Belang unter Entscheidern und Politikern in Amerika. Darum ist der dort mit dezentem Groll unterlegte Vorwurf, die Bundesregierung habe nach der Enttarnung des US-Spitzels im BND „gespielte Entrüstung“ demonstriert, womöglich ein Vorbote auf das, was in den nächste Tagen kommen kann.

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Zumal das „Wall Street Journal“ schon von Konsequenzen spricht. So müsse der Kongress unverzüglich einen tiefen Blick in die deutsche Fälle werfen. Und natürlich in das handwerkliche Versagen der CIA, die sich hat erwischen lassen. Aber: „Amerikaner sollten auch die Frage stellen, warum sogar unsere Freunde denken, sie könnten einen amerikanischen Beamten ausweisen und dafür keinen Preis bezahlen.“

Aufforderung zur Retourkutsche

Die Aufforderung zur Retourkutsche, der versteckte Hinweis an Berlin, jetzt nicht übermütig zu werden, zieht sich am Tag 1 nach der Einladung zur Ausreise für den CIA-Sachwalter an der US-Botschaft in Berlin durch das politische Selbstgespräch Washingtons. Manche reiben sich verwundert die Augen. Was passiert ist, gilt beinahe als Majestätsbeleidigung. Saxby Chambliss, Wortführer der Republikaner im Geheimdienstausschuss des Senats: „Ich wüsste nicht, wann überhaupt einer unserer Stations-Chefs einmal ausgewiesen worden wäre.“

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Verglichen wird die Bestrafungsaktion der Deutschen mit einer fast 20 Jahre zurückliegenden Geschichte in Paris. Damals setzte Frankreich fünf CIA-Spitzel vor die Tür. Wegen Wirtschaftsspionage. Soll heißen: Da ging‘s um was. Und diesmal? Überempfindlichkeiten. Der Journalist James Kirchick wirft Berlin eine „hysterische Antwort“ auf einen drittklassigen amerikanischen Spion vor, der „mehr Austin Powers und weniger James Bond“ ähnelt.

Dass Deutschland in einem ganz anderen Film ist, sehen wenige. Senatorin Dianne Feinstein etwa. Sie ist „zutiefst besorgt“ über die Fehde zwischen Berlin und Washington. Die Mehrheit denkt wie Jonathan Laurence. „Jeder spioniert jeden aus“, sagt der Politikprofessor aus Boston platt, „das schließt Freunde mit ein.“

Geheimdienste der "anlasslosen Überwachung" verpflichtet

Die Theorie der Vergeudung von Ressourcen unter Verbündeten, in diesem Fall Gehirnschmalz von Spionen, die Kanzlerin Angela Merkel intoniert hat, schlägt darum in Washingtons Sicherheitsszene fast als Schamanentum auf. „Das kann sich nur ein Land leisten kann, das keinen 11. September erlebt hat“, sagt ein Experte der Denkfabrik Heritage Foundation und stellt eine interessante Vermutung an: Die Deutschen hätten nicht die Bedeutung des Ordnungsprinzips verstanden, dem die Geheimdiensten verpflichtet seien - "anlasslose Überwachung".

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Ist das wirklich regierungsamtliches Denken? Man weiß es nicht. Das Schweigegelübde, das im Weißen Haus seit Bekanntwerden der Vorwürfe praktiziert wird, wirkt bizarr. Nachdem Berlin dem Stations-Chef der CIA den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte, weigerte sich Obama-Sprecher Josh Earnest selbst die Tatsache an sich zu bestätigen. „Jede Art von Kommentar über jegliche berichteten Geheimdienst-Handlungen würde das Vermögen, Personal und die nationale Sicherheit der USA gefährden.“

Quittung für die gewachsene Frustration

Dagegen arbeitet die „New York Times“ die Hintergründe der Roten Karte heraus. Und erkennt darin die Quittung für die gewachsene Frustration darüber, dass sich Washington seit Beginn der Snowden-Veröffentlichungen taub bis dumm stellt, was das Ausmaß der Überwachung und Schnüffelei in Deutschland angeht. Inklusive der noch immer ungeklärten Details über das Anzapfen des Handys der Kanzlerin.

Ob sich das in absehbarer Zeit ändern wird? NSA-Experte James Bamford erinnert bei seinen gut besuchten Vorträgen regelmäßig an die Anfänge des Überwachungswahns. Während der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen 1943 in San Francisco legten US-Armee-Experten Überstunden ein, um die Kabel-Depeschen teilnehmender Nationen abzufangen und zu entschlüsseln. „Man wollte wissen, was die anderen denken, bevor sie es sagen.“ Daran hat sich offenbar bis heute wenig geändert.