Pensacola. Es ist die höchste Strafe, die je ein Tabakkonzern aufgebrummt bekam: Reynolds Tobacco soll 23 Milliarden Dollar Schadenersatz an die Witwe eines Kettenrauchers zahlen. Ihr Ehemann hatte Berichten zufolge 20 Jahre lang geraucht, als er 1996 an Lungenkrebs starb.
Die Geschworenen eines Gerichts in Florida haben der Witwe eines an Krebs gestorbenen Ketten-Rauchers Schadensersatz in Höhe von 23,6 Milliarden US-Dollar zugesprochen - rund 17,5 Milliarden Euro. Die Vollstreckung des Rekord-Urteils gegen den Tabak-Riesen R.J. Reynolds („Camel“) wird sich nach Einschätzung von Rechtsexperten des Sender CNN allerdings „sehr wahrscheinlich in Luft auflösen“.
Michael Johnson, der Ehemann von Cynthia Robinson aus Pensacola, war Hafenarbeiter und Busfahrer. Er qualmte bis zu drei Päckchen pro Tag, und das über 20 Jahre lang. 1996 starb der damals 36-Jährige an Krebs. Zehn Jahre später verklagte seine Witwe das Tabakunternehmen aus North Carolina. R. J. Reynolds habe die Gesundheitsgefahren von Zigaretten verheimlicht und nicht klar darauf hingewiesen, dass Nikotin süchtig macht und Zigaretten viele Giftstoffe enthalten, sagte sie.
"Es soll der Firma richtig wehtun"
Dieser Argumentation folgten die Geschworenen im Gericht von Escambia County. Nach 18 Stunden Beratung verkündeten die Laien, die bei der Strafzumessung nach Gutdünken verfahren dürfen, am Wochenende das spektakuläre Urteil. „Es soll der Firma richtig wehtun“, sagte ein Geschworener vor Journalisten.
Danach folgte das in den USA übliche Ritual: Anwälte und Lobbyisten des Konzerns geißelten das Urteil als „unangemessen“, „ruinös“ und kündigten Berufung an. Die Juristen der Klägerin feierten einen Sieg. Robinsons Anwalt Christopher Chestnut: „Die Jury wollte eine Botschaft senden, dass die Tabakindustrie das amerikanische Volk und die amerikanische Regierung nicht weiter über das Abhängigkeitspotenzial und die tödlichen Chemikalien in ihren Zigaretten anlügen kann.“ Dennoch könnte der juristische Erfolg ein symbolischer bleiben.
Geschworene sehen "Big Tobacco" als Feind der Volksgesundheit
In der ersten Instanz haben Kläger gegen die Zigaretten-Industrie traditionell gute Chancen: Alles, was sie brauchen, ist eine Geschworenenjury, die „Big Tobacco“ als Feind der Volksgesundheit ansieht. In einem Land, in dem Rauchen sozial geächtet ist, keine unlösbare Aufgabe. Um zu verhindern, dass man abgeschmettert wird, werden solche Klagen bevorzugt in Küstenstaaten wie Florida und Kalifornien eingereicht; nicht bei den Tabakpflanzern in Kentucky oder Virginia. Viele Urteile endeten in den vergangenen Jahren so mit Millionen-Entschädigungen für die Raucher oder deren Angehörige. Und mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe gegen die Tabakkonzerne, die auch dem Kläger zustehen.
In den höheren Instanzen folgten regelmäßig herbe Dämpfer. Professionelle Richter, die den Tabakmultis meist gnädiger gesonnen waren, erklärten Urteile, die nicht selten den Jahresumsatz der Konzerne überstiegen, für unverhältnismäßig und verfassungswidrig. Das bekannteste Beispiel: 1994 hatte der Arzt Howard Engle aus Miami Klage gegen die Tabakindustrie eingereicht. Das Verfahren weitete sich mit 700 000 Klägern aus Florida zu einer der größten Sammelklagen in den USA aus. Im Jahr 2000 bekam Engle recht - und mit 145 Milliarden Dollar die bis dahin höchste Strafzahlung gegen die Branche zuerkannt. Drei Jahre später wurde das Urteil gekippt. Seither werden nur noch Einzelklagen zugelassen. Meist werden die Strafzahlungen hier drastisch heruntergeschraubt. 2002 bekam die Kalifornierin Betty Bullock von einem Gericht in Los Angeles 850 000 Dollar Schmerzensgeld und 28 Milliarden Dollar Strafzahlung zugesprochen. Neun Jahre später reduzierte ein Berufungsgericht die Strafe auf 28 Millionen Dollar. Betty Bullock hatte davon nichts mehr. Sie starb im Februar 2003 - an Lungenkrebs.