Sarajewo. “Kaiserliche Hoheit können ruhig fahren“: Die Schüsse von Gavrilo Princip auf Österreichs Thronfolgerpaar führten in den Ersten Weltkrieg. Aber wie konnte es überhaupt zu der Tat kommen? Rekonstruiert man den Tag des Attentats, stößt man auf haarsträubende Pannen und Fehler der Österreicher.
Seine 300.000 Einwohner nennen Sarajewo das „Jerusalem Europas“. Moscheen, Kirchen, Synagogen prägen das Bild. Doch Sarajewo ist keine Stadt des Friedens. 1400 Tage waren ihre Bewohner von Serben belagert, als nach 1992 die Balkankriege tobten. 10.000 Menschen starben, viele auf der „Snipers Alley“, auf der Scharfschützen-Salven einschlugen.
Die Toten der Belagerung sind trotzdem eher eine Fußnote der blutigen europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die hier am 28. Juni 1914, heute vor hundert Jahren, nahe der Lateinerbrücke ihre Initialzündung erhielt. Der Attentäter Gavrilo Princip erschoss Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand und Sophie, seine Frau. Die Tat führte vier Wochen später in den Krieg.
Der Thronfolger besucht die Stadt
Warum reiste der Erzherzog nach Sarajewo, trotz Warnungen? Wer steckte hinter dem Mord? Wer nutzte ihn für Kriegspläne?
Sommer 1914: Bosnien ist Teil der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Gegen den Widerstand der Serben war es aus dem Bestand des zerfallenden osmanischen Reiches annektiert worden. Am Jahrestag vom Amselfeld, wo die Türken die Serben 1389 vernichtend geschlagen hatten, kommt der Thronfolger aus Wien in die feindlich gestimmte Stadt. Dabei ist Franz Ferdinand ein friedfertiger Reformer, sagt heute der Forscher Herfried Münkler.
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Vor dem Besuch klagt der Polizeichef noch: Er habe mit 40 Beamten kaum die Chance, die Majestäten zu schützen. Doch Verstärkung bleibt aus. Die Fahrtroute wird der Bevölkerung bekannt gemacht. Das Paar steigt in einen offenen Wagen, um zum Rathaus zu fahren. Es sind Leichtfertigkeiten, die später wilde Verschwörungstheorien fördern.
Der Konvoi bog falsch ab
Um 10.26 Uhr biegt der Konvoi in den Appel-Kai ein, wo sich Attentäter der proserbischen Geheimorganisation „Schwarze Hand“ in kurzem Abstand postiert haben. Der erste steht ungünstig und bleibt passiv. Der zweite wirft einen Sprengsatz, der an der Uniform des Erzherzogs abprallt, explodiert und im Folgefahrzeug die Begleiter verletzt. Der Autokorso rast zum Rathaus, wo der Thronfolger den Bürgermeister beschimpft: „Empörend“, wie Besucher in diesem Sarajewo mit Bomben beworfen werden.
Wird die Visite abgebrochen? Kein Gedanke. Nur die Route der Rückfahrt wird geändert, ordnet der Gast an. Er will erst die Verletzten im Spital besuchen. Begleiter raten ihm zu: „Kaiserliche Hoheit können ruhig fahren“. Es ist 10.40 Uhr.
Princip zieht seinen Revolver
Die Rechnung ist ohne Gavrilo Princip gemacht. Er nennt sich „Serbe und Revolutionär“, wünscht dem Kaiserreich „den Untergang“. Seine Mitverschwörer sind nach dem gescheiterten Anschlag längst auf der Flucht, als der herum irrende Nationalist das Thronfolger-Auto drei Meter entfernt entdeckt. Der Konvoi ist falsch abgebogen. Die Fahrzeuge müssen zurücksetzen.
10.54 Uhr: Princip zieht seine Browning, schießt. Eine Kugel durchschlägt die Autotür und trifft die Herzogin in die Bauchaorta. Die andere reißt den Hals des Thronfolgers auf. „Sopherl, stirb nicht“, stöhnt Franz Ferdinand, „Leb’ weiter. Für die Kinder.“ Sie ist schon tot. Er selbst lebt noch wenige Minuten.
Geheimdienst besorgte die Waffen
Es ist nach elf Uhr, als die Nachricht in die Hauptstädte Europas rausgeht, das bald brennen wird von Tannenberg bis Verdun. An diesen Moment erinnern sich die Menschen auf dem Kontinent noch Jahrzehnte, schreibt „Schlafwandler“-Autor Christopher Clark. Wie beim Attentat auf John F. Kennedy. „Jeder wusste, wo er damals war.“
Princip wird wie die anderen Verschwörer festgenommen. Der 19-Jährige bestreitet, von der serbischen Regierung den Mord-Auftrag erhalten zu haben – und rüttelt damit an der Behauptung, mit der Wien zum Ende der kommenden „Julikrise“ die Kriegserklärung an Serbien begründen wird. 100 Jahre später ist klar: Serbiens Geheimdienst hat Waffen besorgt. Die Belgrader Regierung wusste nichts vom Attentat.
Attentäter stirbt in Haft
Der Tod hält an den Fronten längst Ernte, als 25 Verdächtige im Oktober 1914 angeklagt und drei zum Tode verurteilt werden. Princip ist zu jung für die Hinrichtung. Er stirbt 1918 in Haft an Tuberkulose.
Das blutige Hemd von Franz Ferdinand ist in Wien zu besichtigen. An der Lateinerbrücke in Sarajewo erinnert ein Fußabdruck im Pflaster an die Stelle, an der Princip geschossen hat. In Serbien wird heute eine Statue des Attentäters eingeweiht. Er wird verehrt. 1914 ist nicht nur Vergangenheit.