Peking. . Vor 25 Jahren, am 4. Juni 1989, endete die chinesische Demokratiebewegung in einem Massaker. Die Armee schlug die Proteste, die sich von Peking aus im ganzen Land verbreitet hatten, mit Waffengewalt nieder. Es gab Tausende Tote. Doch viele Chinesen wissen bis heute wenig über diesen Teil ihrer Geschichte.

Zhang Xiao hat das Schweigen eigentlich satt. Er ist in Peking geboren und aufgewachsen. Vor drei Jahren ging er für einen Studienaufenthalt in die USA. Ein anderer Student sprach ihn dort auf die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz in Pekings 1989 an. Natürlich hatte Zhang Xiao schon von den Protesten gehört. Aber was sich damals, am 4. Juni 1989, dort genau abspielte, wusste er nicht – und es hatte ihn bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht interessiert. Sein amerikanischer Mitstudent hingegen war sehr gut informiert. Dafür schämte Zhang Xiao sich.

Noch am gleichen Abend setzte er sich an seinen Computer. Im Internet stieß er auf Bilder und Videoaufnahmen. Er sah, dass es sich keineswegs nur um „einige wenige Radikale“ handelte, wie ihm das immer erzählt worden war, sondern um Hunderttausende, die sich auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ im Herzen der chinesischen Hauptstadt Pekings aufhielten.

Hungerstreikende lagen erschöpft auf den Liegen

Er sah die Bilder der hungerstreikenden Studenten, erschöpft auf Liegen im Ambulanzzelt, ihre Finger zum V-Zeichen für Victory erhoben. Dann die Bilder von der brutalen Niederschlagung des Protestes durch das chinesische Militär. Zhang Xiao fragte sich: „Wie kann das sein, dass ich den Großteil meines Lebens so wenig von diesem Ereignis wusste? In welch einem Land bin ich eigentlich aufgewachsen?“

Vor 25 Jahren: Massaker in Peking (ai-eps)
Vor 25 Jahren: Massaker in Peking (ai-eps) © dpa

So wie Zhang Xiao bis vor kurzem ergeht es Millionen Chinesen: Ein Vierteljahrhundert nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung weiß eine Mehrheit der Chinesen fast oder gar nichts über die Proteste von 1989. Wer auf den Straßen die Generation der heute zwischen 20- und 40-Jährigen nach den Ereignissen befragt, erntet Achselzucken. Die meisten sind nicht informiert. Und wer etwas weiß, will sich dazu nicht äußern.

Wang Yuanyuan ist eine Ausnahme. Sie war 13 Jahre alt, als sich Mitte April 1989 gegenüber ihrer Mittelschule im Pekinger Stadtteil Haidian an der Pädagogik-Hochschule die Studenten am Haupteingang trafen und im Fahrradkonvoi gemeinsam in Richtung Tiananmen-Straßen radelten. Sie kann sich an die vielen Transparente erinnern, die von den Wohnheimfenstern herabhingen.

Massaker in Peking 1989

Der Studentenführer Wuer Kaixi protestiert am 13. Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens für Demokratie und Pressefreiheit. Auf seinem Stirnband stehen die Zeichen ,,Jueshi
Der Studentenführer Wuer Kaixi protestiert am 13. Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens für Demokratie und Pressefreiheit. Auf seinem Stirnband stehen die Zeichen ,,Jueshi" (Hungerstreik). © dpa
Tausende Studenten protestieren am 19. Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens für Demokratie und Pressefreiheit.
Tausende Studenten protestieren am 19. Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens für Demokratie und Pressefreiheit. © dpa
Protestierende Studenten am 19. Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Später wurde die Protestbewegung gewaltsam niedergeschlagen.
Protestierende Studenten am 19. Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Später wurde die Protestbewegung gewaltsam niedergeschlagen. © dpa
Am 4. Juni 1989 fliehen Menschen in Peking vor einem in Brand gesetzten Panzer. Die wochenlang andauernden Studentenproteste wurden vom Militär gewaltsam niedergschlagen.
Am 4. Juni 1989 fliehen Menschen in Peking vor einem in Brand gesetzten Panzer. Die wochenlang andauernden Studentenproteste wurden vom Militär gewaltsam niedergschlagen. © dpa
Rauch und Verwüstung auf der Changan Avenue in Peking, am 4. Juni 1989. Die chinesische Regierung versucht noch heute die Vorfälle zu vertuschen.
Rauch und Verwüstung auf der Changan Avenue in Peking, am 4. Juni 1989. Die chinesische Regierung versucht noch heute die Vorfälle zu vertuschen. © dpa
Brennende Panzer am 4. Juni 1989 in Peking. Das chinesische Militär geht gewaltsam gegen die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor.
Brennende Panzer am 4. Juni 1989 in Peking. Das chinesische Militär geht gewaltsam gegen die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor. © dpa
Am 3. Juni 1989 setzen Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking einen Panzer in Brand.
Am 3. Juni 1989 setzen Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking einen Panzer in Brand. © dpa
Am 9. Juni 1989 patrouilliert die chinesische Armee auf dem Platz des Himmlischen Friedens, nachdem sie Tage zuvor die Protestbewegungen gewaltsam niedergeschlagen hatte.
Am 9. Juni 1989 patrouilliert die chinesische Armee auf dem Platz des Himmlischen Friedens, nachdem sie Tage zuvor die Protestbewegungen gewaltsam niedergeschlagen hatte. © dpa
In China spricht man nicht öffentlich über das ,,Pekinger Massaker
In China spricht man nicht öffentlich über das ,,Pekinger Massaker" von 1989. Zhang Jian und Wang Longmeng (v.l.) sind beide 1989 selber als Demonstranten dabei gewesen. © imago
Solidarität mit den Menschen in der Heimat: Chinesische Studenten protestieren am 5. Juni 1989 in Stuttgart.
Solidarität mit den Menschen in der Heimat: Chinesische Studenten protestieren am 5. Juni 1989 in Stuttgart. © dpa
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Lehrer schlossen sich dem Protest an, Schulen wurden geschlossen

„Wir standen alle am Fenster und haben dem bunten Treiben zugeschaut“, erzählt sie. Doch vom Schuldirektor gab es die Anweisung, der Unterricht dürfe nicht unterbrochen werden. Also setzten sie sich wieder auf ihre Plätze. Wenige Tage später erschienen jedoch die Lehrer nicht. Sie hatten sich dem Protest angeschlossen.

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Nach dem 4. Juni wurde ihre Schule geschlossen, sie und ihre Mitschüler wurden in die Sommerferien geschickt. Als sie im September zurückkehrten, waren die Lehrer zwar zurück. Doch keiner wagte es, sie auf die Ereignisse im Juni anzusprechen. „Wir wussten, wie heikel das ist“, erinnert sich Wang Yuanyuan. Das gilt bis heute.

Wer sich informieren will, wird fündig, weiß Zhang Xiao. Auch über Tiananmen. Zwar löschen die Zensoren im Internet alles, was im Zusammenhang mit dem 4. Juni steht. Dennoch fänden sich immer wieder Berichte und Bilder von damals. Sie würden verschlüsselt, die Artikel abfotografiert, so dass die Texte nicht nach Stichwörtern gefunden werden können. Aus dem 4. Juni wird der unter Eingeweihten 35. Mai. „Wer will, kommt an alle Informationen heran“, sagt Zhang Xiao. Das Problem sei nur: Die meisten jungen Leuten wüssten gar nicht, wonach sie suchen sollen.

Menschenrechtler werden an einem unbekannten Ort festgehalten

Obwohl der 25. Jahrestag in China offiziell kein Thema ist – die Polizei geht rabiat gegen all jene vor, die das Ereignis in irgendeiner Form thematisieren könnten. Insgesamt 50 Blogger, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte werden seit Wochen an unbekannten Orten festgehalten. Das hatte es in den vergangenen Jahren zum Jahrestag zwar auch gegeben. Die meisten wurden danach aber wieder freigelassen.

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Doch als sich im vergangenen April Aktivisten um den Menschenrechtsanwalt Pu Zhiqiang in einer Privatwohnung trafen und an die Ereignisse erinnern wollten, wurden sie verhaftet. Gegen Pu wird wegen „Unruhestiftung“ ermittelt. Ihm droht eine Haftstrafe.

Zhang Xiao, der einstige USA-Student, ist inzwischen Journalist bei einer Zeitung. Auch in den Redaktionsräumen herrscht über den 4. Juni Schweigen. Trotzdem: Die Beschäftigung mit diesem Thema, habe sein politisches Bewusstsein geschärft, sagt Zhang Xiao. „Ich traue seitdem keiner offiziellen Verlautbarung mehr.“