Santa Barbara. . Der Sohn eines Hollywood-Filmemachers tötet sechs Menschen und verletzt 13 weitere zum Teil schwer. Unter anderem per Video lieferte Elliot Rodger vorab die „Rechtfertigung“. Er wollte es den Frauen heimzahlen, die ihn lange ignoriert haben. Beobachter nahmen das im Vorfeld offenbar nicht ernst.

Selten hat sich nach einem Massenmord in Amerika die Suche nach dem Täter-Motiv so zügig erledigt wie diesmal. Elliot Rodger und die sechs jungen Menschen, die der 22 Jahre alte Student aus Kalifornien erst in seinem Appartement erstochen oder später teilweise im Vorbeifahren aus seinem schwarzen BMW-Dreier-Coupe erschossen hat, lagen erst wenige Stunden im Leichenschauhaus, als Fahnder die Hintergründe der Bluttat auf den Punkt brachten: Ein krankhaft narzisstischer, depressiver junger Mann aus prominentem Hause besorgt sich Waffen und nimmt in Isla Vista nahe Santa Barbara blind Rache an der ganzen Welt. Warum? Weil er sich von Mädchen verschmäht fühlte.

Was man bisher weiß: Elliot Rodger hat das Massaker am Freitagabend mit sehr viel Bedacht vorbereitet. In einem oft geschliffen formulierten Manifest, das auch dieser Zeitung vorliegt, beschreibt er auf 140 Seiten fast sein komplettes Leben als eine Aneinanderreihung von Enttäuschungen, Zumutungen und Demütigungen. Im Zentrum seiner Rachelust, die sich seit Beginn der Pubertät angestaut haben muss: das andere Geschlecht. Rodger fühlt sich von Mädchen böswillig ignoriert und sinnt auf drakonische Strafe: „Auslöschen!“

Student plante seinen "Tag der Vergeltung"

Bereits vor einem Jahr fasst er den Entschluss zu einem „Tag der Vergeltung“, kauft nach und nach ganz legal drei halbautomatische Pistolen, 400 Schuss Munition und legt den Tatort fest: Isla Vista, ein studentisch geprägtes Ausgehviertel nahe der am Pazifik gelegenen Universität von Santa Barbara nördlich von Los Angeles. Rodger studiert in der Nähe. Zweimal verschiebt er den Termin, einmal wegen einer Erkältung. Dann legt er den 24. Mai fest. Definitiv.

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, benutzt Rodger das Internet als Liftfaßsäule. Einträge in diversen sozialen Netzwerken aus den vergangenen 72 Stunden lesen sich wie digitale Bekennerschreiben eines Soziopathen, der seine Tötungsphantasien und deren absurde Rechtfertigung für die Nachwelt unbedingt konservieren will. Immer mit dem gleichen zynischen Grinsen. Immer mit der gleichen monotonen Stimme, die auch dann kontrolliert bleibt, wenn ihm mit gesetzten Worten Entsetzliches über die Lippen kommt: „Es wird mir ein Vergnügen sein, euch abzuschlachten.“

Sieben minütiges Abschiedsvideo auf YouTube

Fast sieben Minuten lang quält sein Abschieds-Video auf YouTube den Betrachter. In einem unerträglichen Monolog skizziert Rodger sich darin als bemitleidenswertes Opfer. „Ich bin immer noch Jungfrau, mit 22, ich habe noch nie ein Mädchen geküsst. Das ist Folter. Das ist nicht fair“, sagt der dunkelhaarige Jungmann, dem Dank seiner chinesisch-malaysischen leiblichen Mutter ebenmäßige Gesichtszüge und volle Lippen gegeben waren. „Ein hübscher Kerl“, heißt es in Internet-Foren. „Warum der keine abgekriegt hat - rätselhaft.“ Wer genauer hinhört, versteht.

Elliot Rodger beschreibt sich mit Verweis auf sein Auto, seine ausgesuchte Kleidung und seine 300-Dollar-Sonnenbrille als blendende Partie. Als „kultivierten, allerbesten Gentleman“, der keine „Zurückweisung“ verdiene, „während ihr euch widerwärtigen Kerlen an den Hals schmeißt“. Widerwärtig - das sind so ziemlich alle anderen. Dieses „Verbrechen“, urteilt Rodger in Scharfrichter-Tonlage, könne nie vergeben werden. „Wenn ich euch nicht haben kann, werde ich euch zerstören, ihr habt mir ein glückliches Leben verwehrt.“

Erst drei Männer erstochen, dann zwei Frauen erschossen

Irgendwann am Freitag beginnt er laut County-Polizeichef Bill Brown seinen Plan in die Tat umzusetzen. In seinem Appartement in Isla Vista ersticht er drei junge Männer, offenbar Mitglieder einer Wohngemeinschaft. Gegen 21.30 Uhr taucht er vor dem Haus einer bekannten Studentinnenvereinigung auf. Klopft. Und schießt. Zwei junge Frauen, Katherine (21) und Veronica (19), sterben an Ort und Stelle, ein dritte Studentin wird lebensgefährlich verletzt.

Bevor Rodger keine halbe Stunde später nach einer Konfrontation mit der Polizei in ein parkendes Auto kracht und sich (buchstabengetreu zu seinem Manifest...) eine Kugel in den Kopf schießt, eröffnet er an weiteren neun Schauplätzen im Viertel das Feuer. Am Supermarkt an der Pardall Road stirbt der 20-jährige Student Christopher Martinez. Die Bilanz am Ende: Sieben Tote. 13 weitere Opfer, vier davon Radfahrer, die Rodger über den Haufen fährt, liegen mit zum Teil lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus.

Täter kommt aus gutem Hause

Wie oft bei Massentötungen kam der Täter nicht aus verwahrlosten Milieus. Sondern aus einer Familie der oberen Mittelschicht. Elliots Großvater George war ein weltberühmter Fotograf, der einst mit Legenden wie Robert Capa und Henry Cartier-Bresson die Foto-Agentur Magnum gründete. Vater Peter trat in dessen Fußstapfen, machte sich aber zuletzt mehr in der Filmbranche einen Namen, etwa als Regie-Assistent bei dem Epos „The Hunger Games“ (Die Tribute von Panem). Stief-Mutter Soumaya Akaaboune, eine Schauspielerin mit marokkanisch-französischen Wurzeln, war an der Seite von Matt Damon in dem Irak-Drama „The Green Zone“ zu sehen. Klein-Elliot war schon früh als Gast auf dem roten Teppich dabei, wenn Hollywood zur Premiere lädt. Star Wars-Erfinder George Lucas war (mehr) als ein Freund seiner leiblichen Mutter. Ein Leben wie im Film. Wer will da schon die Risse sehen?

Elliot kommt als Knirps mit fünf aus London an die amerikanische Westküste. Die Familie wohnt in 1 a-Lagen. Zuletzt in Calabasas, einem teuren Viertel in den Hügeln oberhalb von Malibu. Der Junge besucht Top-Schulen, fliegt Business durch die Welt und regelmäßig zur Oma nach England, wird zu Privatkonzerten mit Popsternchen wie Katy Perry eingeladen, hat in Santa Barbara ein eigene Bude und ein teures Auto. Elliot Rodgers gebricht es materiell an nichts. Als Mensch aber ist er bitterarm, leer und gestört. „Eine schöne Umgebung“, sagt er einmal über die atemberaubende Meer-Lage von Santa Barbara, „kann die dunkelste Hölle sein, wenn du sie allein erleben musst.“ Alle seine Auftritte im Internet kreisen um ihn selbst. Auf der Seite „Puahate“, wo verkorkste Männer lernen wollen, wie man richtig Frauen aufreißt, schreibt er: „Für die Rache ist es wert zu leben.“ Die Rache an den Frauen.

Beobachter in sozialen Medien nahmen Todesdrohungen offenbar nicht Ernst

Haben die Eltern die Deformation ihres Sohnes nicht bemerkt? Ist ihnen entgangen, dass Elliot von der Überzeugung beseelt war, es gebe für ihn ein verbrieftes Anrecht auf Sex und Zweisamkeit? Alan Shifmann, der Anwalt der „vollkommen erschütterten“ Familie, sagte gestern, dass der Junge bei verschiedenen Therapeuten in Behandlung war und die Rodgers erst vor kurzem die Polizei über „alarmierende Videos“ ihres Sohnes in Kenntnis gesetzt hätten. Darin sei es um „Selbstmord“ gegangen und das „Töten von Menschen“. Bei einem Verhör habe die Polizei jedoch einen „perfekt höflichen, netten und wunderbaren“ Menschen angetroffen. Elliot selbst schreibt über die delikate Begegnung Ende April in seinem Manifest: Hätten die Beamten seine Wohnung nur etwas genauer untersucht (und die Waffen gefunden), dann wäre alles aufgeflogen...

Das Bekenner-Video auf YouTube und weitere 20 deprimierende Filmchen, die der Mörder von sich machte, haben in den einschlägigen Foren einen Kommentar-Tsunami ausgelöst. Auffällig: Nicht wenige Zeitgenossen waren in den vergangenen Wochen auf den übergeschnappten, düsteren, radikalen und extrem frauenfeindlichen Ton des Täters von Isla Vista aufmerksam geworden. Offenbar ohne laut die Alarmglocken zu läuten. „Verlass endlich den Auschwitz-Modus“, schrieb einer. Ein anderer ließ Elliot Rodger wissen, dass Mädchen ungeachtet von Geld und Ruhm gerne mit Jungen zusammen sind, mit denen man Spaß haben kann. „Mit Dir scheint das nicht zu gehen.“