Washington. Ihm werden vierfacher Mord, Körperverletzung in Hunderten Fällen und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen vorgeworfen. Nun fordern die USA für den mutmaßlichen Bombenleger von Boston ganz offiziell die Todesstrafe. Das gab es in den vergangenen Jahrzehnten selten.
Für Judy Clarke tickt seit gestern die Uhr. Sie ist die Spezialistin im Team der Verteidiger von Dschochar Zarnajew. US-Justizminister Eric Holder hat für den 20-jährigen, der gemeinsam mit seinem Bruder Tamerlan für den Bombenanschlag auf den Marathon-Lauf am 15. April 2013 in Boston verantwortlich sein soll, die Todesstrafe beantragt.
Clarke ist die wohl erfolgreichste Juristin Amerikas, wenn es darum geht, ihre als „Monster“ empfundenen Mandanten zu „humanisieren“ und ihnen so die Giftspritze zu ersparen. Theodore J. Kaczynski, der Una-Bomber, der mit Briefbomben drei Menschen tötete. Jared Loughner, der im Januar 2011 vor einem Einkaufszentrum in Tucson/ Arizona Amok lief, sechs Menschen ermordete und der Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords in den Kopf schoss. Zacarias Moussaoui, der sogenannte 20. Attentäter vom 11. September 2001. Allen blieb dank Clarke der Todestrakt erspart.
Bei Zarnajew steht die 61-jährige Straftverteidigerin aus Kalifornien vor ihrem bislang schwersten Fall. Nach landesweiten Umfragen sind 70 Prozent der Amerikaner dafür, dass Zarnajew für seine Taten mit dem Leben bezahlt.
Drei Menschen starben, 260 wurden verletzt
Durch die von den Brüdern in Schnellkochtöpfen deponierten Sprengsätze an der Boylston Street im Herzens Bostons starben drei Menschen. 260 wurden zum Teil schwer verletzt. Sie mussten Amputationen und Folgeoperationen über sich ergehen lassen. Auf der Flucht erschossen die Brüder einen Sicherheitsbeamten. Boston war tagelang mit über 10.000 Polizisten im Einsatz städtisches Sperrgebiet.
Dem Ruf nach alttestamentarischer Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Gerechtigkeit steht jedoch die Realität der Zahlen gegenüber. Seit auf Bundesebene die Todesstrafe 1988 wieder in Amerika eingeführt wurde, haben die jeweiligen Justizminister in rund 500 Fällen die finale Bestrafung für Extrem-Straftäter beantragt. In 70 Fällen wurde sie verhängt. Nur drei Verurteilte wurden am Ende tatsächlich von Staats wegen hingerichtet, zuletzt 2003 Louis Jones Jr. für den Mord an der 19-jährigen Soldatin Tracie McBride.
Todesstrafen-Verfahren sind kompliziert, langwierig und teuer
In vielen Fällen haben die zuständigen Staatsanwälte bereits vor Prozessbeginn ihre von Washington im Grundsatz abgesegnete Strafforderung auf "lebenslänglich ohne Begnadigungsmöglichkeit" heruntergefahren. Ein Grund: Todesstrafen-Verfahren gehören zu den kompliziertesten, langwierigsten und teuersten.
Bereits zwölf Geschworene zu finden, die sich vor Prozessbeginn hundertprozentig bereit erklären, die Todesstrafe am Ende auch wirklich zu verhängen, ist schwer. Wenn nur ein Jury-Mitglied kalte Füße bekommt im Prozessverlauf, ist die „death penalty“ hinfällig.
Im Fall Zarnajew liegen die Dinge aus heutiger Sicht besonders schwierig. Zum einen steht unverändert im Raum, dass der zur Tatzeit 19-Jährige unter dem Einfluss seines bei der Flucht von der Polizei getöteten Bruders Tamerlan (26) stand - also eher ein Mitläufer war, was mildernde Umstände begründen könnte.
Seit 67 Jahren nicht mehr verhängt
Zum anderen wurde die Todesstrafe in Massachusetts, dem Bundesstaat, in dem Boston liegt, seit 67 Jahren nicht mehr verhängt. 1984 wurde sie dort offiziell abgeschafft. In dem liberalen Ostküsten-Staat sind die Umfragen entsprechend anders. 33 Prozent sprachen sich im vergangenen Herbst für die Todesstrafe im Fall Zarnajew aus. 57 Prozent wollen den aus jungen Mann mit tschetschenischen Wurzeln für immer hinter Gittern sehen. Atmosphärisch könnte sich das nach Einschätzung von Experten auf eine Jury auswirken, auch wenn der Fall nach Bundesrecht und nicht nach Landesrecht verhandelt wird.
Von den Angehörigen der drei Todesopfer hat bisher nur die Mutter von Krystle Campbell (29) öffentlich für die Todesstrafe plädiert. Ein Prozesstermin für Zarnajew steht noch nicht fest.