Soma. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat der Türkei bei der Bergung der Verunglückten Hilfe angeboten. NRW habe mit seiner langen Bergbau-Tradition das nötige Wissen im Grubenrettungswesen. Derweil demonstrieren Tausende gegen die Regierung und die Haltung von Ministerpräsident Erdogan.
Nach dem Grubenunglück in der Türkei hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in einem Kondolenzschreiben der Türkei Hilfe bei der Bergung der Verunglückten angeboten. "Wir in Nordrhein-Westfalen haben eine lange Tradition des Bergbaus und verfügen daher auch über spezielles Know How im Grubenrettungswesen", schrieb sie am Donnerstag an den türkischen Botschafter in Berlin.
"Wenn wir Sie von hier aus in irgendeiner Form unterstützen können, dann lassen Sie mich das bitte wissen." In Herne hat die "Hauptstelle für das Grubenrettungswesen" ihren Sitz. Sie wird von dem Bergbauunternehmen RAG betrieben.
Erdogan-Vertrauter tritt Demonstranten und facht die Wut der Bürger weiter an
Mit Tritten auf einen am Boden liegenden Demonstranten am Ort des Grubenunglücks von Soma hat ein Berater des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan helle Empörung ausgelöst. Auf einem am Donnerstag über soziale Medien verbreiteten Foto ist zu sehen, wie Berater Yusuf Yerkel zum Tritt ausholt, während zwei Sicherheitskräfte einen Mann am Boden festhalten.
Yerkel hatte am Mittwoch Erdogan bei einem Besuch in Soma begleitet. Dabei war es zu Buh-Rufen und Protesten gegen den Ministerpräsidenten gekommen. Die Regierung ist wegen des schwersten Grubenunglücks in der Geschichte der Türkei mit mehr als 280 Toten unter großen Druck geraten.
Yerkel bestätigte dem türkischen Dienst der BBC, dass er auf dem Bild zu sehen sei. Türkischen Medienberichten zufolge sagte Yerkel, bei dem Mann habe es sich um einen militanten Linken gehandelt, der ihn und Erdogan angegriffen und beleidigt habe.
In der Hauptstadt Ankara und in der Metropole Istanbul hatten am Mittwochabend Tausende Menschen wegen des Grubenunglücks den Rücktritt der Regierung gefordert. Kritiker werfen ihr vor, trotz Sicherheitsbedenken eine schützende Hand über das Kohlebergwerk gehalten zu haben.
Gewerkschaft Türk-Is ruft zum Streik auf
Der größte türkische Gewerkschaftsbund Türk-Is hat seine Mitglieder nach dem verheerenden Grubenunglück zur Niederlegung der Arbeit am Donnerstag aufgerufen. Gewerkschafter sollten stattdessen am Arbeitsplatz der mehr als 280 Bergleute gedenken, die bei dem Unglück vom Dienstag an der Zeche Soma ums Leben kamen, teilte Türk-Is am Mittwoch mit. Der Gewerkschaftsbund sprach im Zusammenhang mit der Katastrophe vom größten "Mord" am Arbeitsplatz in der Geschichte der türkischen Republik, gegen den protestiert werden müsse. Bei Türk-Is sind 35 Einzelgewerkschaften organisiert.
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Die Zahl der Toten bei dem verheerenden Grubenunglück in der Türkei ist nach Angaben der Regierung auf 282 gestiegen. In den vergangenen zwölf Stunden seien aus dem Kohlebergwerk Soma keine Kumpel mehr lebend geborgen worden, sagte Energieminister Taner Yildiz am Donnerstag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu.
Die Bergbau-Katastrophe löste bereits am Mittwoch in der Türkei heftige Proteste gegen die Regierung aus. Die Polizei ging am Mittwoch in Ankara und Istanbul mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstranten vor.
Demonstranten fordern in Sprechchören Erdogans Rücktritt
Die Demonstranten in Istanbul forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung wegen des Unglücks. Einige hielten Plakate in die Höhe, auf denen stand: "Kein Unfall - Mord". Die Polizei hinderte die Demonstranten daran, weiter in Richtung des zentralen Taksim-Platzes vorzudringen.
In Ankara hatten Hunderte Demonstranten am Nachmittag versucht, zum Energieministerium vorzudringen. Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, aus den Reihen der Demonstranten seien Molotow-Cocktails und Steine geworfen worden. Die Sicherheitskräfte hätten über Megafon auf die von der Regierung verfügte Staatstrauer für die Opfer der Katastrophe hingewiesen.
Seit der Explosion in dem Kohlebergwerk Soma am Dienstag waren immer mehr Tote aus dem Schacht geborgen worden - die Katastrophe gilt inzwischen als das weltweit schwerste Grubenunglück seit mehr als zwei Jahrzehnten.
Regierung rief dreitägige Staatstrauer aus
Noch rund 120 Kumpel seien unter Tage eingeschlossen, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. 80 Menschen seien bei dem Brand in dem Kohlebergwerk verletzt worden.
Energieminister Taner Yildiz sagte in Soma, die Hoffnung schwinde, noch Überlebende zu retten: "Es ist schlimmer, als zunächst erwartet." Zum Zeitpunkt des Unglücks am Dienstagnachmittag seien 787 Arbeiter in der Zeche gewesen. 1992 waren beim bislang schwersten Unglück in einem Bergwerk in der Türkei 263 Menschen ums Leben gekommen.
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In Soma hatte Medienberichten zufolge ein elektrischer Defekt in einem Trafo zunächst eine Explosion und dann einen Brand verursacht, der nach Angaben von Yildiz in 150 Metern Tiefe ausbrach. Wegen des Unglücks rief die Regierung eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land und an den türkischen Vertretungen im Ausland wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt.
Auch Griechenland und Israel boten Unterstützung an
Ministerpräsident Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül sagten wegen des Unglücks Auslandsreisen ab. Erdogan besuchte den Unglücksort am Mittwoch. Türkische Medien berichteten, die Regierungspartei AKP habe im vergangenen Monat Forderungen der Opposition zurückgewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen an der Zeche Soma zu überprüfen. Die Bergwerksgesellschaft teilte mit, die letzten Sicherheitsüberprüfungen habe es vor zwei Monaten gegeben.
Das Grubenunglück in der Türkei löste weltweit Trauer aus. Mehrere Länder boten der Türkei Hilfe an. Darunter waren auch Israel und Griechenland, deren Verhältnis zur Türkei angespannt ist. Bundespräsident Joachim Gauck sprach dem türkischen Staatschef Gül seine Anteilnahme aus. Kanzlerin Merkel schrieb Erdogan: "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer."
In der Türkei kommt es immer wieder zu tödlichen Grubenunfällen. Mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Verstöße gegen Sicherheitsregeln oder es wurden veraltete Arbeitsgeräte eingesetzt. (dpa)