Essen. . Lettland, Estland und Littauen fürchten Russlands Stärke mehr denn je. Die sowjetische Vergangenheit hat tiefe Narben hinterlassen. „Wir setzen unsere Hoffnungen auf Europa“, sagt ein lettischer Unternehmer. Doch die Abhängigkeit von Russland ist nach wir vor groß.

Lettland ist klein. Nur knapp so groß wie Bayern. 2,3 Millionen Menschen leben hier, eingeklemmt zwischen der Ostsee und dem großen Nachbarn. Russland ist groß. Es ist mit über 17 Millionen Quadratkilometern der größte Staat der Welt, in dem 140 Millionen Menschen leben. Spannungsfrei kann eine solche Nachbarschaft kaum sein. Zumal aus Sicht der Kleinen. Angst? Nein, aber große Sorgen vor dem Einfluss des übermächtigen Russland, das schon, sagt Andris Lovnieks, der das Speditionsunternehmen „Rix Logistics“ in der lettische Hauptstadt Riga leitet.

„Ich glaube nicht, dass bald russische Panzer durch Lettland rollen“, erzählt er dieser Zeitung. Man sei ja schließlich seit 2004 in der Nato und Mitglied der Europäischen Union. Aber: „Wir waren immer misstrauisch gegenüber Russland, hatten nie Vertrauen“, sagt Lovnieks. „Viele europäische Politiker haben uns nicht geglaubt, dass eine große Gefahr von Russland ausgeht. Jetzt sieht man, dass es stimmt.“

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Der Politikwissenschaftler und Baltikum-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Kai-Olaf Lang, kennt die Gemütslage der Menschen in Estland, Lettland und Litauen. Die sowjetische Besatzungszeit brachte für die Länder „traumatische historische Erfahrungen“ mit sich, die sich „tief ins kollektive Bewusstsein eingeprägt haben. Russland war über lange Zeiträume nicht Partner oder Verbündeter, sondern Gefahr und Gegner. Jetzt sehen sie ihre Warnungen bestätigt und kritisieren Europa für übermäßige Naivität“, sagt Lang.

„Hier sind Leute, die mit Geld aus Russland Unruhe stiften wollen“

Wie viele seiner Mitbürger befürchtet auch der Speditionsunternehmer Lovnieks, dass pro-russische Kräfte den Frieden gefährden könnten. „Hier sind einige Leute, die mit Geld aus Russland Unruhe stiften wollen. Das war immer die Politik unseres großen Nachbarn. Unsere Sicherheitskräfte müssen das unter Kontrolle behalten.“ Lovnieks glaubt an gezielte Provokationen, aber nicht an einen Aufruhr der russisch-stämmigen Einwohner, die mit gut 30 Prozent einen starken Bevölkerungsanteil in Lettland stellen. „Das sind normale Leute, die wollen keine Unruhe“, glaubt Lovnieks. Politik-Experte Lang hingegen sieht hier einen Hebel für die Destabilisierungspolitik des Kreml: „Man kann die Unzufriedenheit dieser Bevölkerungsgruppen instrumentalisieren, um Unruhe in diese Länder zu tragen“, meint Lang.

Alles wurde besser in Lettland seit 1990, seit der Unabhängigkeit, sagt Lovnieks. „Es gab eine steile Entwicklung nach oben, wie eine Explosion. Das ist unglaublich, viele haben das bis heute nicht verstanden.“ Die neue Freiheit bedeutete auch: keine Schlangen mehr vor den Geschäften, keine leeren Regale mehr, freies Handeln, Wirtschaften und Reisen. Und vor allem: Die möglichst enge Anbindung an den Westen. Keiner will die historische Uhr wieder zurückstellen, jedenfalls nicht in den kleinen baltischen Ländern. Sanktionen gegen Russland sehen sie aber mit gemischten Gefühlen. „Das würde auch uns treffen“, weiß der Fuhrunternehmer, Export und Handel würden leiden. „Trotzdem bin ich dafür. Einen anderen Weg gibt es nicht.“

Das größte Problem sei die Energieabhängigkeit von Russland. Lovnieks: „Die Gazprom-Macht wirkt wie eine Waffe. Russland belohnt oder bestraft die baltischen Länder über die Gaspreise.“ Hier sieht auch Kai-Olaf Lang eine Gefahr: „Erdgas kommt in allen drei Ländern zu einhundert Prozent aus Russland. Gazprom hat eine dominante Stellung auf dem Markt, und es gibt keine alternativen Pipelines, über die man Gas aus dem Westen importieren könnte.“ Der Bau eines Terminals für Flüssiggas in Litauen sei ein wichtiger Schritt, sich von russischen Lieferungen abzunabeln.