Kleve. . Bundespräsident Joachim Gauck hat zur Teilnahme an der Europawahl aufgerufen. Die Menschen sollten sich nicht als „Konsumenten“ verstehen, sondern als Bürger - „und Bürgerinnen und Bürger gehen wählen“, sagte Gauck am Dienstag bei einem Besuch in der niederrheinischen Grenzstadt Kleve.

Der Bundespräsident hat sich schon eine Weile von oben, vom ­Klever Fischmarkt aus, nach unten durch die Menschenmassen in der Fußgängerzone treiben lassen, als es endlich Zeit für einen typischen Gauck ist. Eine Frau bedankt sich bei ihm, weil er sich das traut, so einfach mitten in die Menge zu gehen. „Ich komme aus der Menge“, antwortet er ihr mit einem gütigen ­Lächeln. Sie ist selig.

Was für seine Sicherheitsleute ein Albtraum ist, ist für Joachim Gauck bei seinem Besuch in Kleve ein ­Genuss. Bürger. Überall Bürger, die ihn anfassen, mit ihm sprechen, sich mit ihm fotografieren lassen wollen. Die ihm zujubeln, die ihn loben. Für seine klaren Worte in der Türkei zum Beispiel, wo er kürzlich die Politik des autoritär regierenden Ministerpräsidenten Erdogan kritisierte.

„Wir haben ihm gedankt für seinen Mut“, sagt Isabella Keller. Und was hat er geantwortet?: „Er fand das nicht mutig, er fand das selbstverständlich“, sagt ihr Lebensgefährte Jan Peters. Gauck, der Bescheidene!

"Mit der Sprache des Herzens"

Na gut, es sind nicht alle Klever aus dem Häuschen. „Der hat doch auch nur Arme und Beine wie alle“, brummt einer. Und ein Junge sieht es ganz pragmatisch. Er hat zwei Autogrammkarten ergattert, dreht sich um und ruft: „Wer will ‘ne Autogrammkarte für 50 Euro kaufen?“

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Am Morgen, im Museum Kurhaus, wo handverlesene Honoratioren dem Staatsoberhaupt vor dem Gang durch die Fußgängerzone begegnen dürfen, hat Gauck für Europa Werbung gemacht. Und wieder so, wie er es mag. Das Redemanuskript bei­seite gelegt, um „mit der Sprache des Herzens“ zu reden.

Kleve, das sei ja keine Metropole, sagt er, aber hier werde eben Europa gelebt. Passt in der Tat: Am Ende des Zweiten Weltkriegs lagen Kleve und das benachbarte Nimwegen auf niederlän­discher Seite in Trümmern, Misstrauen und Hass saßen beiderseits der Grenze tief. Heute ist davon gar nichts mehr spürbar. Viele Niederländer leben in Kleve und kaufen hier ein, in Nimwegen studieren ­Tausende junge Deutsche. Ein „bürgerschaftliches Miteinander“, nennt es Gauck. „Da lebt etwas, was einmal künstlich getrennt war.“

Gauck weist Kritik an EU und Nato zurück

DemokratieEr ruft bei der Gelegenheit eindringlich zur Beteiligung an der Europawahl am 25. Mai auf. Vor ­dieser Wahl werde das Projekt ­Europa aktuell „in seiner Dimension als Friedensprojekt“ deutlich, so Gauck. Der „Schutz und die Bewahrung des Friedens“ als ein „zentrales Element von Politik“ seien derzeit besonders sichtbar, da plötzlich ­„militärische Gewalt und imperia­listisches Denken wieder die Politik bestimmen“, sagt er und bezieht sich natürlich auf die Krise in der ­Ukraine. Dort habe eine Nation, die „sich aufgemacht hat, an Europa dichter heranzukommen“, deshalb jetzt Schwierigkeiten mit „dem Nachbarn und Teilen der eigenen Bevölkerung“ bekommen.

Vor Studenten in der Hochschule Rhein-Waal weist Gauck später scharf die Kritik zurück, die Europäische Union und die Nato hätten durch eine aggressive Ausdehnungspolitik Russland bedrängt. „Es ist eine Vorstellung aus der Fabelwelt, dass die EU und die Nato Putin ­etwas zugemutet haben“, befand der Bundespräsident. Im Gegenteil: Die EU-Erweiterung sei sogar „eher ­zurückhaltend“ erfolgt.