Hamburg/Kiew. Helmut Schmidt vergleicht die Lage in der Ukraine mit der Situation kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Altkanzler kritisiert auch die EU: Brüssel mische sich zu sehr ein. Derweil legte Amnesty International einen Bericht zur alarmierenden Menschenrechtslage in der Ukraine vor.

Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) hat die Ukraine-Krise mit den Spannungen kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verglichen. "Die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag", sagte Schmid der "Bild"-Zeitung. Auf die Frage, ob er Europa wie damals am Abgrund sehe, sagte er: "Die Situation scheint mir zunehmend vergleichbar. Europa, die Amerikaner, auch die Russen verhalten sich so, wie es der Autor Christopher Clark in seinem lesenswerten Buch über den Beginn des Ersten Weltkriegs beschrieben hat: wie "Schlafwandler"."

Scharfe Kritik übte Schmidt an der EU-Kommission. Brüssel mische sich zu sehr in die Weltpolitik ein, "obwohl die meisten Kommissare davon kaum etwas verstehen". "Das jüngste Beispiel ist der Versuch der EU-Kommission, die Ukraine anzugliedern", sagte Schmidt mit Blick auf das Assoziierungsabkommen zwischen Brüssel und Kiew. "Sie stellen die Ukraine vor die scheinbare Wahl, sich zwischen West und Ost entscheiden zu müssen." Schmidt verurteilte auch den Versuch, Georgien enger an die EU zu binden. "Zur Erinnerung: Georgien liegt außerhalb Europas. Das ist Größenwahnsinn, wir haben dort nichts zu suchen!"

Vereinte Nationen kritisieren Menschenrechtslage

Die Vereinten Nationen haben in einem neuen Bericht zur krisengeschüttelten Ukraine eine "alarmierende Verschlechterung" der Menschenrechtslage besonders im Osten des Landes kritisiert. Vor allem gut organisierte und schwer bewaffnete Gegner der Regierung in Kiew seien in Gewaltexzesse wie Morde, Folter, Entführungen und Misshandlungen verwickelt, teilte UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay mit. Auch Journalisten würden Opfer von Übergriffen. Dutzende seien bedroht und zeitweise entführt oder festgehalten worden, heißt es in dem in Kiew vorgestellten Bericht.

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Besorgt zeigte sich die 34-köpfige Expertenkommission zudem wegen der Lage der Krimtataren auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim, die im März von Russland annektiert worden war. Die Minderheit beklagt Repressionen durch die neuen russischen Machthaber. Die Krimtataren, die an diesen Sonntag (18. Mai) an den 70. Jahrestag der Deportation durch Sowjetdiktatur Josef Stalin erinnern wollen, sehen sich zunehmend Druck von Behörden ausgesetzt.

Tausende haben die Halbinsel Krim verlassen

Nach dem international als völkerrechtswidrig kritisierten Anschluss der Krim an Russland hätten bisher mehr als 7200 Menschen die Halbinsel verlassen - vor allem Krimtataren, heißt es in dem Bericht. Die Krimtataren waren erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990ern wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.

Russland wies den 36-seitigen Bericht als "nicht objektiv" zurück. Er sei politisch gefärbt und lasse die für die UN übliche Neutralität vermissen, kritisierte der Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch. Allerdings listet das Papier auch Versäumnisse ukrainischer Behörden auf und fordert die Regierung in Kiew zur Einhaltung internationaler Standards auf. (dpa)