Kiew. In der Ostukraine herrschen zunehmend bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Krisendiplomatie läuft weiter auf Hochtouren - bisher ohne Erfolg. Derweil gibt es Meldungen über Verletzte bei neuerlichen Auseinandersetzungen zwischen Regierungseinheiten und Separatisten.

Beim Vorrücken gegen prorussische Aktivisten in der ostukrainischen Stadt Slawjansk haben Regierungseinheiten nach Angaben des Innenministeriums in Kiew Verluste erlitten. Es gebe Tote, sagte Innenminister Arsen Awakow am Montag Medien zufolge. Eine Zahl nannte er nicht. Zuvor war die Rede von bis zu acht verletzten Sicherheitskräften gewesen. Awakow schätzte, dass etwa 800 bewaffnete Separatisten die Stellungen in Slawjansk hielten. "Sie setzen schwere Waffen ein, schießen mit großkalibrigen Waffen, benutzen Granatwerfer und sonstige Technik", sagte der Minister. Die Truppen hätten trotz der Gegenwehr den Fernsehturm der Stadt eingenommen.

Ukraine wirft Russland Kriegstreiberei vor

Der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow hat Russland Kriegstreiberei vorgeworfen. "Es ist ein Krieg gegen unser Land im Gange vonseiten der Russischen Föderation - sowohl im Osten als auch im Süden des Landes", sagte Turtschinow dem Kiewer Fernsehsender 5. Kanal. Russland versuche weiter, die Lage vor der Präsidentenwahl am 25. Mai "völlig zu destabilieren".

Dabei habe Moskaus Führung im Osten der Ukraine ihre Pläne bereits verwirklicht. Auch das russische Staatsfernsehen strahlte am Montag den Teil des Interviews aus, in dem Turtschinow einräumte, dass es in der Region Sympathien für eine Abspaltung von der Ukraine gebe.

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"Sagen wir doch mal ehrlich: Die Bürger dieser Regionen unterstützen die Separatisten, sie unterstützen die Terroristen, was die Durchführung der Anti-Terror-Operation erheblich erschwert", sagte der Interimspräsident in dem auch in Moskau gezeigten Fragment.

Erschwerend komme hinzu, dass die Polizei mit den prorussischen Kräften sympathisiere. "Das ist ein kolossales Problem", sagte Turtschinow. Der Politiker warf dem im Februar gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch vor, die "Provokationen" zu finanzieren. Janukowitsch hält sich in Russland auf.

Ukrainische Einheiten liefern sich blutige Gefechte mit Separatisten 

Militante prorussische Kräfte in der ostukrainischen Stadt Slawjansk berichten über neue Angriffe von Regierungstruppen. Mindestens fünf Angehörige der "Selbstverteidigungskräfte" seien am Montag bei Feuergefechten schwer verletzt worden, teilte ein Sprecher des Stabs der Agentur Interfax mit. Angegriffen würden Posten am Stadtrand, hieß es. "Wir sind durch einen dichten Ring (ukrainischer Einheiten) eingeschlossen. Viele Geschäfte machen zu, weil es keine Waren mehr gibt, mit denen zu handeln wäre", sagte ein Sprecher der Aufständischen.

In dem strategisch wichtigen Slawjansk mit einem bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt sind seit Tagen ukrainische Soldaten mit Panzerfahrzeugen, Hubschraubern und Gefechtswagen im Einsatz. Dabei gab es nach offiziellen Angaben zahlreiche Tote. Die "Anti-Terror-Operation" der prowestlichen Regierung in Kiew soll eine Abspaltung der Ostukraine von der Ex-Sowjetrepublik verhindern. Angesichts der ebenfalls gespannten Lage in Odessa hat die aus freiwilligen Kräften gebildete Nationalgarde in Kiew eine Sondereinheit in die Metropole am Schwarzen Meer geschickt, wie Innenminister Arsen Awakow mitteilte.

Bei einem schweren Brand im Gewerkschaftshaus der Stadt sowie bei Straßenschlachten waren dort am Freitag mindestens 46 Menschen gestorben und mehr als 200 verletzt worden.

Rebellen kontrollieren offenbar viele Verwaltungsgebäude in der Ostukraine

Unterdessen forderte der russische Präsident Wladimir Putin in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) laut Kreml einen Dialog der Konfliktparteien in der Ukraine. Putin bekräftigte seine Haltung, wonach die prowestliche Führung in Kiew dringend das Gespräch mit den moskautreuen Protestführern im Südosten des Landes suchen müsse.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wirbt zur Beilegung des Konflikts für eine zweite Genfer Konferenz. Die ursprünglichen Vereinbarungen der USA, Russlands, der Ukraine und der EU - darunter Gewaltverzicht und Entwaffnung aller illegal Bewaffneten - sind bisher nicht umgesetzt worden. Es sei daher nötig, "dass man dem ersten Genfer Treffen jetzt ein zweites Genfer Treffen folgen lässt, in dem endlich klare Verabredungen getroffen werden, wie man diesen Konflikt zum Stillstand bringt und nach und nach einer politischen Lösung zuführt", sagte Steinmeier im ARD-"Bericht aus Berlin".

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Nach dem Ende der Geiselnahme von OSZE-Militärbeobachtern kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) an, dass die von der Bundeswehr geführte Mission nachträglich überprüft wird. "Wir werden sicherlich die Situation - diese spezifische - nochmal analysieren müssen", sagte sie am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". "Vor allem müssen wir uns die Frage stellen, wie man stärker darauf pochen kann, dass das Gastland die Sicherheitsgarantien auch umsetzen kann." Prorussische Separatisten in Slawjansk hatten die westlichen Militärbeobachter, darunter vier Deutsche, acht Tage lang festgehalten. Die Geiseln waren erst nach großem internationalem Druck und russischer Vermittlung am Samstag freigelassen worden.

Blutige Auseinandersetzungen greifen auf weitere Landesteile über 

Prorussische Separatisten haben nach eigenen Angaben zentrale Gebäude in Donezk (1 Million Einwohner) sowie in weiteren Großstädten wieder unter ihrer Kontrolle. "Wir haben die Verwaltungsgebäude in den entscheidenden regionalen Zentren eingenommen", sagte der Anführer der selbst ernannten Volksmiliz, Miroslaw Rudenko, am Sonntag der Agentur Interfax. Allgemein sei die Lage ruhig, die Gefechte seien am Abend vorübergehend eingestellt worden.

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Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der prowestlichen Regierung in Kiew gehen auf andere Landesteile über. In der Schwarzmeermetropole Odessa stürmte eine mit Knüppeln bewaffnete Menge am Sonntag den örtlichen Sitz der Polizei, um moskautreue Gesinnungsgenossen zu befreien. Spezialeinheiten drängten die Angreifer laut örtlichen Medienberichten zuerst zurück. Unter dem Druck der Demonstranten ließ die Polizei dann aber doch nach offiziellen Angaben 67 Personen frei.

Angesichts der nicht enden wollenden Gewalt streiten Russland und die ukrainische Führung darüber, wer dafür verantwortlich ist. Kiew verantworte ein "Blutvergießen, das schießende Truppen an unbewaffneten Menschen" anrichteten, erklärte das Außenamt in Moskau. Awakow sagte jedoch: "Wir werden weiter gegen Extremisten und Terroristen vorgehen, die Gesetze ignorieren und das Leben der Bürger gefährden."

CDU-Europapolitiker warnt vor weiteren Sanktionen gegen Russland 

Der CDU-Europapolitiker Hermann Winkler hat davor gewarnt, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verschärfen. "Sanktionen schaden uns nur selbst und treffen vor allem die ostdeutsche Wirtschaft", sagte der Sprecher der ostdeutschen Abgeordneten im Europaparlament, der Zeitschrift "Super Illu".

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Vorwürfe erhob Winkler gegen die Vereinigten Staaten. Dass gerade die USA nach Verschärfungen der Sanktionen riefen, deute darauf hin, dass Washington wirtschaftliche Ziele verfolge. "Schließlich sind die USA seit dem Fracking-Boom auf dem Weg zu einem der größten Gasexporteure weltweit. Russland ist nun ein unliebsamer Konkurrent. Wir müssen aufhören, ein Diener der Amerikaner zu sein", erklärte Winkler.

Die Ukraine-Krise könne nur durch Kooperation mit Russland gelöst werden. Andernfalls brächen historisch gewachsene Geschäftsbeziehungen ostdeutscher Betriebe mit Russland weg, die dann von Wettbewerbern besetzt würden. Eine Politik der Konfrontation sei "blind gegenüber der Geschichte und taub gegenüber der anderen Seite".

Auswärtiges Amt rät nun auch dringend von Reisen in Südukraine ab 

Auch in die Südukraine sollten Reisende derzeit besser nicht fahren. Das Auswärtiges Amt in Berlin erweiterte seinen Reisehinweis für das Land und rät nun auch dringend von Reisen in die südlichen Landesteile ab. Bislang galt das nur für den Osten und die Krim. Grund dafür sind gewaltsame Ausschreitungen auch in Odessa. Die meisten Reiseveranstalter und Reedereien bieten derzeit wegen der politischen Krise ohnehin keine Reisen in die Ukraine an. (dpa)