Kiew. Die Bundesregierung freut sich über das glimpfliche Ende des Geiseldramas in der Ostukraine, muss sich aber auch Kritik gefallen lassen. In der Ostukraine und anderen Landesteilen eskaliert derweil die Gewalt.
Nach der Freilassung der entführten Militärbeobachter gleitet die Ostukraine zunehmend in bürgerkriegsähnliche Zustände ab. Mit Kampfhubschraubern und Panzerfahrzeugen gingen Regierungstruppen am Sonntag erneut gegen prorussische Separatisten vor, es gab Tote und Verletzte. Der "Anti-Terror-Einsatz" werde fortgesetzt, kündigte Innenminister Arsen Awakow in Kiew an. Moskau befürchtet eine Großoffensive der ukrainischen Sicherheitskräfte. Die Bundesregierung verteidigte die Entsendung ihrer OSZE-Militärbeobachter in die Kampfzone.
Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen prorussischen und proukrainischen Kräften schwappen auf andere Landesteile über. Dabei verwandelt sich die Schwarzmeermetropole Odessa zu einem weiterem Zentrum der Gewalt. Eine mit Knüppeln bewaffnete Menge stürmte am Sonntag den örtlichen Sitz der Miliz, um moskautreue Gesinnungsgenossen zu befreien. Spezialeinheiten drängten die Angreifer laut örtlichen Medienberichten zuerst zurück. Unter dem Druck der Demonstranten habe die Polizei später zahlreiche Gefangene freigelassen, die nach den jüngsten Unruhen festgenommen worden waren. Augenzeugen sprachen von 30 Menschen.
Streit um die Verantwortung für die Eskalation
Angesichts der nicht enden wollenden Gewalt streiten Russland und die ukrainische Führung weiter, wer dafür verantwortlich ist. Kiew verantworte ein "Blutvergießen, das schießende Truppen an unbewaffneten Menschen" anrichteten, erklärte das Außenamt in Moskau. Awakow sagte jedoch: "Wir werden weiter gegen Extremisten und Terroristen vorgehen, die Gesetze ignorieren und das Leben der Bürger gefährden."
Gemeint sind die prorussischen Aktivisten, die mehr Autonomie für die Regionen im Osten der früheren Sowjetrepublik fordern. Seit Wochen halten die zum Großteil bewaffneten Kräfte in der Region Dutzende Verwaltungsgebäude besetzt, sie haben zudem eine "Volksrepublik Donezk" ausgerufen.
Von der Leyen rechtfertigt Entsendung deutscher Beobachter
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen rechtfertigte die Entsendung der unbewaffneten Militärbeobachter in die umkämpfte Region. Die CDU-Politikerin wies Vorwürfe zurück, die Mission unter Leitung von Bundeswehroberst Axel Schneider sei zu riskant gewesen. Die Bundesregierung dürfe sich "nicht einschüchtern lassen", sagte sie.
Nach acht Tagen Geiselhaft war das in Slawjansk festgesetzte Team am Samstag freigekommen. Die Männer, unter ihnen vier Deutsche, landeten abends an Bord einer Bundeswehr-Maschine in Berlin. Dem Team gehörten auch ein Tscheche, ein Däne und ein Pole an. Fünf Ukrainer, die das Inspektorenteam begleitet hatten, wurden von der Bundeswehrmaschine in Kiew abgesetzt. Ein kranker Schwede war schon vor einigen Tagen freigekommen.
Der Leiter der Mission, Oberst Schneider, äußerte sich erleichtert. "Von uns fällt im Moment ein beträchtlicher Druck", sagte Schneider. Es sei immer bedrohlicher geworden. Nach Beginn der jüngsten Offensive von Regierungseinheiten sei sprichwörtlich das Feuer von Handwaffen und von Artillerie immer näher gekommen.
Kritik am Einsatz wird lauter
CSU-Vizechef Peter Gauweiler kritisierte, die Aktivitäten von Bundeswehrsoldaten in der Ostukraine - zeitgleich und außerhalb der diplomatischen OSZE-Sondermission - seien nicht im deutschen Interesse. So lasse sich Deutschland "in plumper Weise" noch tiefer in den Konflikt hineinziehen.
Der Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss, Alexander Neu, sagte, bis heute habe die Bundesregierung nicht plausibel dargestellt, was eigentlich unbewaffnete Bundeswehrangehörige in einem Krisengebiet zu suchen hatten. Offen sei auch, was die Beobachter ausgerechnet in Slawjansk inspizieren wollten. "Diese Mission war ein schwerer politischer Fehler, für die die Bundesregierung die Verantwortung trägt", bilanzierte er. Die Linke werde im Parlament Aufklärung verlangen.
Der SPD-Verteidigungsexperte Lars Klingbeil forderte einen Bericht des Verteidigungsministeriums. Fraglich sei, ob die Militärbeobachter im Sinne des Wiener Dokuments wirklich die Aufgabe hatten, nach Slawjansk zu fahren, sagte er.
Sturm auf Polizeistation
In Odessa entlud sich am Sonntag nach einer Kundgebung von rund 2000 Gegnern der Regierung in Kiew neue Gewalt. Moskautreue Aktivisten stürmten eine Polizeistation. Bereits am Freitag lieferten sich Anhänger und Gegner der Übergangsregierung in Kiew schwere Straßenschlachten. Dabei wurde das zentrale Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt, wo Dutzende Menschen starben. Die Staatsanwaltschaft zählte insgesamt 46 Tote und 214 Verletzte.
Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk machte Russland dafür verantwortlich. Es habe sich um einen "organisierten Angriff auf das Volk" gehandelt, sagte der prowestliche Politiker während eines Besuchs in der Millionenstadt am Sonntag. "Es war Russlands Absicht, in Odessa zu wiederholen, was sich im Osten des Landes ereignet", meinte Jazenjuk. (dpa)