Düsseldorf. Rente mit 63, Mindestlohn und Mietpreisbremse: Bundespolitische Themen sorgen beim Hannelore Krafts Auftritt zum 1. Mai in Düsseldorf für ein freundliches Klima. Das war im vergangenen Jahr noch anders: Da war die NRW-Ministerpräsidentin nach der Nullrunde für Landesbeamte ausgepfiffen worden.
Den Ort hätten sie für Hannelore Kraft nicht besser wählen können. Erstmals stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am 1. Mai seine Bühne für die zentrale NRW-Kundgebung zum „Tag der Arbeit“ auf den Düsseldorfer Johannes-Rau-Platz am Rhein, direkt vor die Tür der „Villa Horion“. Hier residierte Rau 20 Jahre lang als Ministerpräsident und erwarb sich mit teurer, aber sozialverträglicher SPD-Politik einen bleibenden Ruf als Freund der Gewerkschaften.
Kraft nahm die Vorlage dankbar auf. Rau habe für Mitbestimmung und das sozialverträgliche Auslaufen der Montanindustrie gestanden, rief die heutige SPD-Ministerpräsidentin mit Gewerkschafts-Timbre in der Stimme und schlug den Bogen in die Gegenwart: „Ich wünschte mir, Johannes Rau hätte noch erlebt, dass wir den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn hinbekommen haben.“
Themen wie Mindestlohn und Frauenquote sorgen für freundliches Klima
Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote, Mietpreisbremse – viele bundespolitische Themen, die auf der Agenda der Großen Koalition in Berlin stehen, sorgen an diesem 1. Mai ebenso wie die Düsseldorfer Frühjahrssonne für ein freundliches Klima, das Kraft beim ersten größeren Auftritt nach ihrem Osterurlaub genießen kann. Immer wieder brandet freundlicher Applaus auf.
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Das war im vergangenen Jahr noch völlig anders. Kraft musste damals bei der zentralen Mai-Kundgebungen in Duisburg Pfiffe und Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Ihre rot-grüne Landesregierung hatte gerade eine doppelte Nullrunde für viele Landesbeamte beschlossen. Kraft, die seit ihrem Amtsantritt 2010 die Nähe zu den Arbeitnehmer-Organisationen gepflegt hatte, schien ausgerechnet beim 1. Mai, diesem sozialdemokratischen Hochamt, allerhand Sympathien verspielt zu haben.
"Ein gutes Jahr für die Gewerkschaften"
Diesmal schlug schon DGB-Landeschef Andreas Meyer-Lauber eine andere Tonlage an: „Das vergangene Jahr war ein gutes Jahr für die Gewerkschaften“, bilanzierte er. Kraft forderte sogar, an diesem 1. Mai könne man „sich auch mal freuen“. Kein Zweifel, Staatskanzlei und DGB haben sich wieder lieb. Kritische Themen wie die von der Industriegewerkschaft IGBCE heftig bekämpfte rot-grüne Verkleinerung des Braunkohle-Tagebaus „Garzweiler II“ oder weiter bestehende Ungereimtheiten bei der Energiewende blieben ausgespart.
Kraft, selbst Ökonomin, verteidigte dafür den Mindestlohn gegen wirtschaftswissenschaftliche Kritik und lobte das teure Rentenpaket der Bundesregierung inklusive CDU-Wahlkampfschlager Mütterrente. „Auch wenn einige Teile hätten steuerfinanziert werden müssen, da bleibe ich bei“, fügte die mächtigste SPD-Frau hinzu. Sie gelobte selbstkritisch Besserung, was die rund 4,5 Prozent Befristungsquote im NRW-Landesdienst angeht und schoss sich unter lebhaftem Applaus auf die reichen Steuersünder ein, die ihr Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) mit dem Ankauf von Bankdaten-CDs öffentlichkeitswirksam jagt. Seit Frühjahr 2010 seien allein in NRW 14.600 Selbstanzeigen reuiger Steuerbetrüger eingegangen.
Explizit höhere Steuern forderte Kraft nicht mehr. Das übernahm Meyer-Lauber, der daran erinnerte, dass in NRW die 180.000 Reichsten über 36 Prozent des Gesamtvermögens verfügten. Er forderte die Einführung einer Vermögensteuer zur Finanzierung der klammen Kommunen und maroden öffentlichen Infrastruktur. Er versprach dafür den „reichsten Düsseldorfern“ an jeder sanierten Schule oder Brücke ein Messingschild, auf dem prangen soll: „Finanziert durch die Vermögensteuer“.