Köln. Der geplante Mindestlohn sieht Ausnahmen für Langzeitarbeitslose und Minderjährige vor — doch einzelne Branchen haben Sonderwünsche für Taxifahrer, Rentner oder Erntehelfer. Aber ein Rechtsgutachten warnt davor: Ausnahmen verstießen gegen das Prinzip “gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Die von Wirtschaft und Teilen der Union verlangten Ausnahmen für Rentner, Mini-Jobber, Erntehelfer und Taxifahrer beim gesetzlichen Mindestlohn sind nach einem Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-Stiftung verfassungswidrig. Teilzeitbeschäftigte wie auch geringfügig Beschäftigte seien im Sinne des Gesetzes "normale Arbeitnehmer". Auch für sie gelte "das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit", schreibt der Arbeits- und Sozialrechtler Ulrich Preis (Köln) in dem Gutachten für die gewerkschaftsnahe Stiftung.
Eindringlich warnt der Jurist davor, willkürlich bestimmten Branchen oder Berufsgruppen Ausnahmeregelungen beim Mindestlohngesetz zu gewähren. Die Ausgrenzung von Rentnern würde zudem "krass gegen das Verbot von Altersdiskriminierung" verstoßen, schreibt Preis.
Als äußerst problematisch sieht der Wissenschaftler in diesem Zusammenhang auch die von der Koalition vorgesehene Herausnahme von unter 18-Jährigen beim Mindestlohn an. "Anstößig ist die Regelung, weil sie unseriöse Arbeitgeber geradezu anreizen dürfte, einfache Tätigkeiten (zum Beispiel Regaleinräumer) in Teilzeit (neben dem Schulunterricht) an Minderjährige zu vergeben. Die Norm sollte gestrichen werden, um die nicht von der Hand zu weisende Gefahr der Förderung niedrig bezahlter Kinder- und Jugendarbeit zu vermeiden", heißt es in dem Gutachten.
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Zudem würden die Verfassungsbedenken der Altersdiskriminierung in diesem Fall nicht dadurch geringer, dass die Altersgrenze etwa auf 21 Jahre heraufgesetzt wird, schreibt Preis.
Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn verstößt nach Aussage von Preis weder gegen die Tarifautonomie noch gegen die Berufsfreiheit der Arbeitgeber. "Die Regelung markiert den Mindestlohn gewissermaßen als gesetzlich fixierte Sittenwidrigkeitsgrenze", heißt es in dem Gutachten.
Mindestlohn hilft, Sozialleistungen zu verringern
Auch leiste der Mindestlohn einen Beitrag zur Verringerung der Sozialleistungen und wirke der Fehlentwicklung entgegen, dass immer mehr nicht existenzsichernde Entgelte durch Hilfen des Staates aufgestockt werden müssten. In dem Gutachten wird darauf verwiesen, dass inzwischen mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte in Deutschland zusätzlich Sozialleistungen erhalten, um das Grundsicherungsniveau der Sozialhilfe zu erreichen.
Verwiesen wird auf Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Statistischen Bundesamtes, wonach seit 2001 die Zahl der Voll- und Teilzeitbeschäftigten mit einem Niedriglohn von 17,4 Prozent auf 21,7 Prozent gestiegen ist. Zwischen 11 und 15 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland hätten inzwischen einen Stundenlohn unterhalb von 8,50 Euro. (dpa)