Essen. Viele Schüler sind gestresst. Viele Eltern klagen über die Belastung und machen sich Sorgen um ihre Kinder. Doch ist tatsächlich G 8 daran schuld? Was würde eine Rückkehr zum G9-Abi bringen? Eine Bestandsaufnahme über die Debatte in Familien, Verbänden und Kollegien.

Es dauert nicht mehr lang, dann jährt sich die Schulzeitverkürzung zum zehnten Mal. Etabliert hat sich das G8 aber noch lange nicht. Nach wie vor ist von Turbo-Abi die Rede, und tatsächlich haben viele Eltern das Gefühl, ihre Söhne und Töchter werden durch das Gymnasium „geschleust“. So grummelt es nach wie vor in den Familien wie in der Lehrerschaft.

Verschärft hat die Debatte in den vergangenen Wochen die Ankündigung der benachbarten Bundesländer Hessen und Niedersachsen, ganz oder teilweise zum längeren Lernen zurückkehren zu wollen; nun reagiert auch die rot-grüne Landespolitik und beruft einen runden Tisch zum Thema ein.

Längere Schulzeit ohne "Mogelpackung"

Einer von denen, die gegen G8 mobil machen, ist der Siegener Vater Marcus Hohenstein. Er möchte nicht länger hinnehmen, dass er seine Tochter auf eine Schule schicken muss, in der bis zum späten Nachmittag unterrichtet wird und in der ab Klasse sechs eine zweite Fremdsprache Pflicht wird. G8, so seine Überzeugung, ruiniere die Kindheit und sei die Ursache von Kopfschmerzen und Magersucht.

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Von Siegen aus betrachtet liegt dass hessische Schulsystem in greifbarer Nähe. Dort können die Familien inzwischen wählen, ob die Kinder „Turbo-Abi“ machen oder nach alter Art mit zweiter Fremdsprache in Klasse sieben und Unterricht bis zum Mittagessen daheim. Hohenstein möchte, dass seine Tochter, die noch die Grundschule besucht, eben diese Wahlmöglichkeit bekommt – also gründete er mit Gleichgesinnten die Initiative „G9 jetzt in NRW“.

Hohensteins Tochter könnte das Peter-Paul-Rubens-Gymnasium in Siegen besuchen, das am Modellversuch G9-neu teilnimmt. Doch für den Schulaktivisten ist das keine Alternative. Er will das traditionelle Gymnasium zurück, keine „Mogelpackung“ mit zweiter Fremdsprache in Klasse sechs.

Die Schule von acht bis eins gibt es nicht mehr 

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Ein anderer Vater, es ist Ralf Leisner aus Essen, hält das für verlorene Mühe. „Das G9 von früher mit Unterricht von acht Uhr morgens bis ein Uhr mittags wird es nie wieder geben“, sagt der Vorsitzende der Landeselternschaft Gymnasien. Schließlich gehe es um die Anpassung der Schulsysteme im föderalen Deutschland. Dort, wo es eine Rückkehr zu G9 gebe, werde ein neuer, durchaus anspruchsvoller Lehrplan erstellt plus zweiter Fremdsprache ab Klasse sechs. Leisner kennt die Klagen vieler Eltern durchaus. „Die meisten aber wollen gar nicht zu G9 zurück, sondern einfach einen besseren Unterricht.“

Neuer Schwung durch G 8

Und natürlich weniger Stress. Hier kommt Peter Silbernagel ins Spiel, der Vorsitzende des Philologenverbandes NRW. Anders als sein Kollege aus Niedersachsen steht er hinter G8. Die Schulzeitverkürzung habe eine Menge Schwung ins System gebracht, sagt er. Doch nach wie vor seien die Schultage vor allem in der Mittelstufe viel zu überfrachtet. „Es gibt noch immer Luft in den Lehrplänen, nicht in Mathematik, Deutsch oder den Naturwissenschaften, aber in einigen anderen Fächern.“

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Silbernagels klare Forderung an Silvia Löhrmann lautet daher: „Die Stundenzahl muss runter.“ Für Heinz Hilgers, Kopf des Kinderschutzbundes, ist das alles viel zu pauschal. Die Debatte um G8, G9, Stundenkürzung und Lehrplanentschlackung gehe an den Bedürfnissen des einzelnen Kindes vorbei, sagt er. Weder könne man generell behaupten, die Ursache für die Zunahme der magersüchtigen, kopfschmerzgeplagten oder hochgradig gestressten Jugendlichen sei die Schulzeitverkürzung.

Noch könne man das ausschließen. „Es gibt Kinder, die kommen sehr gut mit G8 klar. Die wären möglicherweise mit G9 unterfordert“. Vereinzelt würden auch sieben Jahre reichen. Andere bräuchten bis zum Abi womöglich länger als neun Jahre. Und so lautet das Fazit des Kinderschützers nicht, generell das Niveau runterzuschrauben. „Es geht um die Stärken“, sagt er. Und die müsse ein Schulsystem fördern – egal, „ob das länger oder kürzer dauert“.

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