Moskau. Die Entscheidung über die Krim-Besetzung war in Moskau einhellig und fiel im engsten Kreis. Wie ein Kreml-Insider berichtet, kam für den russischen Präsidenten Wladimir Putin nur ein Eingreifen infrage. Widerspruch von seinen Vertrauten muss der ehemalige KGB-Agent nicht fürchten. Eine Analyse.
Kritik kommt allenfalls von der russischen Geldelite. Die Zweifel werden aber auch nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Sollte sich der Konflikt verschärfen, könnte die russische Wirtschaft in eine Rezession rutschen. Westliche Staaten erwägen unter anderem, Guthaben im Ausland einzufrieren und Reisebeschränkungen zu erlassen. Diese Drohungen dürften aber bei Putins Überlegungen keine Rolle gespielt haben.
Liberale Denker haben kein Mitspracherecht
Putin kann sich bei wichtigen Entscheidungen auf ein System verlassen, das er seit seinem ersten Amtsantritt vor 14 Jahren aufgebaut hat. Selbst Debatten und Meinungsverschiedenheiten im Kabinett folgen dem staatlichen Fernsehen zuliebe oft einer sorgfältig geplanten Choreographie.
Die Entscheidung zur faktischen Besetzung der Krim fiel Insidern zufolge im engsten Kreis. Zu ihm gehören Präsidialamtschef Sergej Iwanow, die Berater Wjatscheslaw Wolodin und Wladislaw Surkow, Außenminister Sergej Lawrow und die Chefs der Geheimdienste. Die Ministerien für Wirtschaft und Finanzen fehlten bei dem Treffen bewusst. Das Votum fiel dementsprechend aus.
Putin stand von jeher für einen harten Kurs. In den vergangenen Jahren nahm er aber in gleichem Maße zu, wie der Einfluss kritischer Stimmen abnahm: Liberale Denker, die Putin einst nahestanden, wurden aus dem engsten Kreis verbannt.
Sanktionen als Ausrede
Möglicherweise kommen Putin die drohenden Sanktionen des Westens nicht ungelegen, weil er dann einen Sündenbock hat. Die russische Wirtschaft befand sich schon vor der Eskalation auf der Krim in Gefahr: Das Wachstum schwächelt. Die Investitionen fallen mager aus. Zudem sind die Staatsfinanzen selbst 20 Jahre nach dem Fall der Sowjetunion noch immer dem Ölpreis ausgeliefert. Nun jedoch lenkt die Krim-Krise von der wirtschaftlichen Misere ab - und Putin kann dafür dem Westen die Schuld geben. "Er weiß genau, dass er kaum etwas am Kurs der Wirtschaft ändern kann. Putin kann die Krim sehr gut als Ausrede gebrauchen", meint ein Insider.
Auch Sanktionen gegen die russische Elite in Form von Visa- und Kontensperren könnte Putin zu seinem Vorteil nutzen, indem er sie als Test für Gefolgstreue nutzt. Seit seinem erneuten Amtsantritt vor zwei Jahren hat er andere Politiker zur Aufgabe von Auslandskonten aufgefordert. Vermögende Russen würden wenig Mitgefühl bekommen, sollten sie öffentlich darüber klagen, dass sie an ihr Geld nicht herankommen und der Urlaub in ihren Ferienhäusern im Ausland ausfällt.
Da verwundert es nicht, dass die Oligarchen durch Schweigen auffallen. Sie dürften Putin kaum wegen eines verweigerten Visums herausfordern. "Unsere Elite hat keine andere Wahl", schrieb der Generaldirektor des Nationalen Fonds für Energiesicherheit, Konstantin Simonow, in der Zeitung "Wedomosti". "Der Westen hat sie im Prinzip vor eine harte Wahl gestellt: Entweder ihr bringt uns Putins Kopf, oder ihr verliert eure Villen in Nizza." Die Oligarchen fürchten jedoch seiner Ansicht nach nicht nur Putin, sondern misstrauen auch dem Westen. (Reuters)