Essen. . In der letzten Zeit häufen sich die Meldungen über potenziell lebensgefährliche Keime in hiesigen Krankenhäusern. Im NRZ-Interview äußert sich Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens zu den Gefahren - und warnt vor übertriebener Furcht.

Die NRZ hat kürzlich von vielen Beschwerden über die Hygienesituation in nordrhein-westfälischen Krankenhäusern berichtet. Jetzt hat sich NRW-Gesundheitsminister Barbara Steffens (Grüne) bei einem Redaktionsbesuch zu den Vorwürfen geäußert.

Frau Ministerin, in den Krankenhäusern in NRW gibt es offenbar massive Hygieneprobleme. Uns haben Hunderte entsprechende Hinweise von Patienten, Angehörigen, Pflegern und Schwestern erreicht. Ist es gefährlich, in NRW im Krankenhaus behandelt zu werden?

Barbara Steffens: Es ist wichtig, ins Krankenhaus zu gehen, wenn man dort behandelt werden muss. Niemand sollte eine notwendige Operation aus Angst vor Hygienemängeln absagen. Bei den Hinweisen, die Sie ansprechen, handelt es sich nach meiner Kenntnis um etwa 300 sehr unterschiedliche Schilderungen aus einem Zeitraum, der sich über etwa sieben Jahre erstreckt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen rund 385 Krankenhäuser, in denen in einem solchen Zeitraum etwa 30 Millionen Patientinnen und Patienten behandelt wurden. Vor diesem Hintergrund finde ich es unfair, Krankenhäuser und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter den Generalverdacht zu stellen, überall gäbe es massive Hygieneprobleme. Klar ist aber: Hygiene ist eine elementare Voraussetzung für jede medizinische Versorgung. Und gemeinsam mit allen Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitssystems arbeiten wir beständig daran, die Hygiene weiter zu verbessern.

Die Einhaltung des Nichtraucherschutzgesetzes wird von den Ordnungsämtern streng kontrolliert. Die Kontrolle der Hygienesituation in den Krankenhäusern obliegt den Gesundheitsämtern. Diese Kontrollen scheinen nach den uns vorliegenden Informationen weniger streng zu sein. Warum ist das so?

Steffens: Der Eindruck täuscht. Beim Nichtraucherschutzgesetz kontrollieren die Ordnungsämter anlassbezogen, also dann, wenn entsprechende Beschwerden oder Hinweise vorliegen. Krankenhäuser werden routinemäßig überprüft und wenn eine Beschwerde oder ein Verdacht auf eine Auffälligkeit vorliegt. Dann geht das zuständige Gesundheitsamt auch sofort und unangemeldet in die Klinik. Manchmal suchen Mitarbeiter die Häuser auch noch auf Eigeninitiative nach Feierabend auf.

Wie oft finden diese unangemeldeten Kontrollen denn statt?

Steffens: Immer dann, wenn die zuständige Behörde vor Ort den Anlass dazu sieht. Aktuelle Zahlen fragen wir derzeit bei den Behörden ab. Fakt ist: Wenn beispielsweise eine Beschwerde über Hygienemängel vorliegt, müssen die Gesundheitsämter aktiv werden. Auch wenn auf meinem Schreibtisch entsprechende Beschwerden landen, leite ich die direkt an das zuständige Gesundheitsamt weiter und verlange einen Bericht.

Sollte ich mich denn als Patient oder Angehöriger direkt an das Gesundheitsamt wenden oder wäre es nicht sinnvoller, erst mit einem Arzt zu sprechen?

Steffens: Man kann natürlich erst mit dem Personal sprechen, wenn ein Problem vorliegt, oder mit den Patientenfürsprechern im Haus. Aber in vielen Fällen trauen sich Patienten oder Angehörige das nicht. Man ist ja als Patientin oder Patient ein stückweit abhängig vom ärztlichen und pflegerischen Personal und fühlt sich dadurch möglicherweise auch ein wenig hilflos. Deswegen gilt: Wenn man sich das nicht traut, sollte man sich direkt an das Gesundheitsamt wenden. Auch für Gesundheitsämter ist es wichtig, über solche Informationen zu verfügen, weil die ja nicht ständig in jedem Krankenhaus sein können.

Tatsächlich finden die meisten Kontrollen aber nach vorheriger Anmeldung statt. Die Krankenhäuser haben genügend Zeit, sauber zu machen. Wie sollen da Missstände aufgedeckt werden?

Steffens: Bei den angemeldeten Kontrollen geht es nicht in erster Linie darum festzustellen, ob Böden oder Bäder frisch geputzt sind. Hier wird beispielsweise geprüft, ob Wartungs- und Sterilisationsprotokolle über einen langen Zeitraum vorschriftsmäßig geführt wurden oder ob Zustand und Ausstattung von Räumen aktuellen Vorschriften widerspricht. Teilweise müssen für Kontrollen auch Geräte außer Betrieb genommen werden. Das alles geht nur mit Voranmeldung. Wer dennoch meint, bei einer Voranmeldung könnten Kliniken alle Mängel vertuschen: Nach einer angemeldeten Begehung ist auch schon der komplette Sterilisationsbereich eines Krankenhauses wegen gravierender Mängel geschlossen worden.

Nordrhein-Westfalen ist laut einer uns vorliegenden Studie der „Initiative Infektionsschutz“ bundesweit Schlusslicht was die Hygienevorschriften betrifft. Das muss Ihnen als Landesgesundheitsministerin doch ziemlich peinlich sein.

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Steffens: Wäre es, wenn es stimmen würde. Doch da ist einfach eine Initiative medial missverstanden worden. Das ist sehr bedauerlich, weil das bei Menschen Angst schürt. Und Angst hat einen negativen Einfluss auf Heilungsprozesse. Die Initiative Infektionsschutz hat mir zur Klarstellung sofort geschrieben, dass sie weder eine Aussage über die in den Gesundheitseinrichtungen tatsächlich vorherrschenden Hygienestandards getroffen, noch ein Länder-Rangfolge vorgenommen hat.

Das Pflegepersonal in den Krankenhäusern ist völlig unterbesetzt. Kann das nicht auch dazu führen, dass Hygienevorschriften schon aus Zeitmangel nicht eingehalten werden?

Steffens: Es wird leider beim Pflegepersonal gespart, das ist richtig. Wir haben unabhängig von der Hygiene-Frage ein massives Defizit bei Pflegefachkräften. Deswegen fordern wir vom Bund, nur der kann das regeln, einen adäquaten Personalschlüssel. Trotzdem kann man nicht sagen, dass per se die Hygiene zu kurz kommt, weil das Personal Stress hat. Wir haben Krankenhäuser, die mit sinnvollen technischen Hilfsmitteln arbeiten, beispielsweise Desinfektionsspendern, die piepen, wenn man sie auf dem Weg in den OP nicht benutzt.

Wenn ich als Patient das Gefühl habe, dass ich Opfer mangelnder Krankenhaushygiene geworden und durch einen multiresistenten Keim krank geworden bin, an wen kann ich mich dann wenden?

Steffens: Grundsätzlich kann man sich immer eine zweite ärztliche Meinung einholen. Das unterstützen auch die Krankenkassen, an die man sich ebenfalls wenden kann. Aber über eines müssen wir uns im Klaren sein: Der größte Keimträger ist der Mensch selber. Keime sind, wie etwa unsere Darmkeime, lebenswichtig für uns. Diese Keime können uns aber auch gefährden, wenn wir gesundheitlich angeschlagen sind, etwa, weil wir gerade operiert worden sind. Daher ist es immer die Frage: Hat uns ein fremder Keim krank gemacht, weil im Krankenhaus etwas falsch gelaufen ist, oder waren es doch unsere eigenen Keime. Ein großer Anteil von Infektionen im Krankenhaus entsteht durch eigene Keime.

Die Niederlande werden immer wieder als positives Beispiel für den Umgang mit Krankenhauskeimen genannt. Was können wir von unseren Nachbarn lernen?

Steffens: Es ist nicht mehr so, dass die Niederlande grundsätzlich besser aufgestellt wären als Deutschland. Die AOK hat gerade eine Studie verbreitet, wonach die Infektionsrate in Deutschland mit 5,1 Prozent deutlich niedriger ist als in den Niederlanden. Richtig ist aber: Die Niederlande waren lange Zeit besser, weil man sich dort frühzeitig mit der Gefahr durch multiresistente Keime beschäftigt hat. Deutschland hat aufgeholt, seit wir mit zielgruppenspezifischen Screenings angefangen haben, bei denen besonders gefährdete Personengruppen – so genannte Risikogruppen - auf multiresistente Keime untersucht werden. Also beispielsweise Menschen, die mit kranken oder älteren Menschen zusammenarbeiten oder in der Landwirtschaft tätig sind.