An Rhein und Ruhr. . Nach einer OP in der Uniklinik Essen ist Bernd Z. mit dem Killerkeim MRSA infiziert. Er frisst ihn fast auf. In letzter Sekunde entdecken Ärzte in Mülheim den Keimherd und retten den Patienten. Eine landesweite Recherche unserer Zeitung zeigt: Hygienemängel in NRW-Kliniken öffnen Keimen Tür und Tor.
Man schaut vielleicht nicht gerne auf dieses Bild, aber es schärft den Sinn für die Gefahr. Die CT-Aufnahme zeigt einen menschlichen Brustkorb; die Reste. Dem Skelett fehlen Knochen. Enden und Mittelstücke der Rippen sind nicht mehr da. Die Schlüsselbeine schweben frei, ohne Gelenke. Das Bild zeigt, was der MRSA-Keim von Bernd Z. übrig gelassen hat.
Im Uniklinikum Essen wird der 63-Jährige am Brustbein operiert. Aus der Wunde läuft sehr viel graue Flüssigkeit. Die Frau des Patienten, gelernte Krankenschwester, fordert eine Untersuchung des Wundsekretes auf MRSA. Dies wird abgelehnt. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagt der Arzt. Doch die Wunde heilt nicht. Zwei Wochen nach der OP wird das Wundwasser getestet. Es ist mit MRSA infiziert.
Eine Muskeltransplantation soll die OP-Wunde verschließen. Bernd Z. wird ins Evangelische Krankenhaus Mülheim verlegt. Der Keim frisst sich immer tiefer in den Körper. Die Ärzte finden den Bakterienherd nicht. Chirurgen sägen befallene Knochen ab. Ein Millimeter Gewebe trennt den Keim noch vom offenen Herzen, da wird der Herd entdeckt. „Sie finden ihn oder ich sterbe, das waren meine Optionen“, sagt Bernd Z.
Nach fast 100 Eingriffen hat er Fragen: „Wie kam der Keim in meinen Körper? Über den Tubus, die Beatmungsmaske, einen versäumten Handschuhwechsel?“ Die Ärzte sagen nichts. „Zur medizinischen Behandlung von einzelnen Patienten“ gebe es „prinzipiell keine Stellungnahme“, schreibt die Uniklinik.
Das Schweigen ist kein Einzelfall. Auf Fragen zu Hygienemängeln weichen Krankenhäuser landesweit aus. Oder sie bestreiten Missstände, die Patienten am eigenen Leib erfahren und Angehörige gesehen haben. Dabei werden einige Vorwürfe vom Klinikpersonal bestätigt.
Unsere Zeitung hat 48 Kliniken in NRW damit konfrontiert: in Bad Berleburg, Bochum, Bottrop, Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Gladbeck, Hagen, Hamm, Herne, Krefeld, Marl, Mülheim, Oberhausen, Schwelm, Siegburg, Unna, Wuppertal. Häufige Mängel:
Kein Hygienebewusstsein
Marienhospital Bottrop: Ein blutüberströmter Mann in der Notaufnahme. Der Arzt bricht die Untersuchung ab, als sein Handy klingelt, greift sich das Mobiltelefon mit den blutigen Handschuhen, telefoniert, steckt das Handy dann wieder in die Tasche und will den Patienten weiter untersuchen. Auf Anfrage sagt die Klinik, sie nehme am Projekt „Saubere Hände“ teil und kontrolliere regelmäßig Mitarbeiter.
Keine Desinfektion
Erst rasiert die Krankenschwester der Patientin den Intimbereich. Danach wäscht sie sich nicht die Hände, desinfiziert sie auch nicht. „Das nächste, was sie anfasste, war die Türklinke“, berichtet eine Mitpatientin aus dem Dreibettzimmer im Duisburger Bethesda-Krankenhaus. Der Hygienebeauftragte, dem der Vorfall gemeldet worden sei, hätte sich auch gleich den Chefarzt vornehmen sollen. Der habe Patienten „zwar strahlend die Hand geschüttelt“, die Desinfektionsvorrichtung neben der Tür aber ignoriert.
Desinfektionsverweigerer fielen auch in der Augusta-Kranken-Anstalt und im St. Elisabeth-Hospital (beide Bochum), im Sana Klinikum Duisburg und im Malteser Krankenhaus St. Johannes-Stift Duisburg, im Uniklinikum und im Alfried Krupp Krankenhaus (beide Essen), in der Paracelsus-Klinik Marl sowie im St. Marien-Hospital Mülheim auf. Die Kliniken gingen auf bemängelte Verstöße nicht weiter ein.
Ein Lappen für alles
Reinigungskräfte wischen mit einem Lappen – alternativ: Aufnehmer oder Wischmopp – „Desinfektionsbehälter, Nachtschränke, Tabletts, Esstisch und Toilette“. Einsätze wie der im Essener Huyssenstift stießen Betroffenen, so oder ähnlich, in diversen Kliniken auf, darunter im Uniklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum, im Martin-Luther-Krankenhaus Wattenscheid und im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen. Über die Putzfrau im Huyssenstift, „die etwas von einem Speziallappen erzählte“, habe sich noch nie jemand beschwert, hört die Patientin vom Hygienebeauftragten.
Lasche Isolationspraxis
Im Düsseldorfer St. Vinzenz-Krankenhaus bekommt eine MRSA-freie Patientin eine Frau aufs Zimmer, deren MRSA-Test noch nicht ausgewertet ist. Am nächsten Tag stellt sich heraus: Der Neuzugang hat den Keim. Ein weiterer Test ergibt: Die zunächst keimfreie Patientin hat jetzt auch MRSA. Wenige Stunden Bett an Bett haben offenbar zur Ansteckung geführt. Die Frage nach der Zusammenlegung infektiöser und nichtinfektiöser Patienten lässt die Klinik offen.
Riskante Transporte
Er fahre „täglich mehrere MRSA-Patienten“, berichtet der Mitarbeiter einer Krankentransportfirma. „Leider gibt es dabei weder Schutz für uns noch für die Patienten.“ Die St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund wisse davon, sagt der Fahrer. „Und obwohl es per Gesetz festgeschrieben ist, gibt es grundsätzlich keine Reinigung nach den Fahrten.“ Dem Dortmunder St.-Johannes-Hospital sei „kein Fall bekannt“, heißt es auf Anfrage. „Die Krankentransportunternehmen werden von uns im Falle eines infektiösen Patienten im Vorfeld informiert.“
Sanitäre Mängel
Ein Duschraum für bis zu zehn Patienten im Martin-Luther-King-Krankenhaus Wattenscheid? „Nicht möglich“, sagt die Klinik. Bis zu acht Patienten, die sich eine Toilette im Essener Huyssenstift teilten? Das Krankenhaus sagt, es halte die NRW-Hygieneverordnung ein. Das Gesundheitsamt überprüfe das.
Dreckige Bettwäsche
„Trotz Eiter- und Blutflecken wurde die Bettwäsche nicht gewechselt“, empört sich ein Patient aus dem Bochumer Bergmannsheil. Dazu die Klinik: „Nicht nachvollziehbar.“ Die Augusta-Kranken-Anstalt Bochum geht auf einen ähnlichen Vorwurf nicht ein.
Blut auf dem Boden
Das Evangelische Krankenhaus Unna bestätigt einen Hygieneverstoß: Obwohl Blut auf dem Boden eines Krankenzimmers klebt, ist es in drei Tagen nur einmal geputzt worden. „Hier wurden die Bestimmungen nicht eingehalten“, sagt die Klinik. Der Fall sei „systematisch aufgearbeitet, das Personal noch einmal sensibilisiert“ worden.
Bernd Z., den Mann mit dem zerfressenen Skelett, treibt die Aufklärung seiner Leidensgeschichte. „Ein Oberarzt“ habe ihm „ins Gesicht gesagt: Bei ihnen ist viel schiefgelaufen“. Z. will das präzisiert haben. Sein Rechtsbeistand, der Essener Patientenanwalt Dr. Raimund Bürger, lässt ein Gutachten erstellen. Er sieht Gründe für mögliche Ansprüche: „Herr Z. ist in der Klinik an MRSA erkrankt. Da liegt die Infektionsquelle.“
Bernd Z. geht kaum noch aus dem Haus. Die verpflanzte Haut, die sein Herz schützt, ist hauchdünn. Ein Stoß gegen die Brust wäre lebensgefährlich.
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