Das NRW-Gesundheitsministerium von Ministerin Barbara Steffens (Grüne) hat sich zu unseren Berichten über Hygienemängel in NRW-Krankenhäusern mit Hilfe einer Mitteilung geäußert, die an einen verdeckten Personenkreis versandt worden ist. Wir haben die Fakten der Mitteilung gecheckt.

Das NRW-Gesundheitsministerium von Ministerin Barbara Steffens (Grüne) hat sich zu unseren Berichten über Hygienemängel in NRW-Krankenhäusern mit Hilfe einer Mitteilung geäußert, die an einen verdeckten Personenkreis versandt worden ist. Zu den einzelnen Punkten dieser halboffiziellen Mitteilung wollen wir Stellung nehmen. Ein Faktencheck.

In der Mitteilung des Ministeriums heißt es:

Es existiert keine Untersuchung, nach der ‚NRW bei Klinik-Hygiene Schlusslicht in Deutschland‘ ist.

Das Ministerium schreibt weiter, “die Initiative Infektionsschutz habe dem NRW-Gesundheitsministerium mitgeteilt: ‚Die Darstellung des Journalisten können wir von Seiten der Initiative Infektionsschutz nicht teilen‘. Bei der Analyse seien weder ‚Bundesländer in eine Rangfolge gebracht‘, noch ‚eine Aussage über die in den Gesundheitseinrichtungen tatsächlich vorherrschenden Hygienestandards getroffen‘ worden.“

Die WAZ hatte die angeblich nicht existente Studie als Grundlage für die Schlagzeile ‚NRW bei Klinik-Hygiene Schlusslicht in Deutschland‘ benutzt.

"Kein Satz in dem WAZ-Bericht ist falsch"

Nachdem die Mitteilung des Ministeriums bei uns eingegangen ist, haben wir mit einem Mitglied der Initiative Infektionsschutz über unseren Bericht gesprochen; mit einem Mediziner, der die Untersuchung durchgeführt hat. Er sagt:

"Kein Satz in dem WAZ-Bericht ist falsch.“

Er sagt weiter: „Es stimmt so wie Sie es schreiben.“ Tatsächlich habe das unabhängige Expertengremium alle 16 Länderhygieneverordnungen in Deutschland untersucht, auf die Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes geprüft und entsprechend bewertet. Und bei dieser „vergleichenden Analyse“ hätten die Prüfer in keinem anderen Regelwerk so viele Schwachstellen markiert wie in der NRW Hygieneverordnung.

Eins und eins zusammengezählt

Allerdings hätten die Experten „keine Reihung vorgenommen“, also keine vorderen und hinteren Plätze für eine Länderverordnung vergeben. Das habe die WAZ getan, „indem Sie eins und eins zusammengezählt haben“, sagt ein Mitverfasser der Untersuchung.

Stimmt. Das haben wir. Und damit unsere Leser dies auch nachvollziehen können, veröffentlichen wir die Bewertung, die es nicht gibt, die Bewertung der Initiative Infektionsschutz an dieser Stelle.

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Anhand des vierfarbigen Bewertungsschaubildes auf Seite 6 kann jeder interessierte Leser selbst die grünen, gelben, orangenen und roten Plus- und Minuspunkte addieren, die die NRW-Hygieneverordnung gesammelt hat und diese mit den Ausbeuten anderer Länder vergleichen. Sie werden zu dem Ergebnis kommen, über das die WAZ berichtet hat: Die Vorschrift von Gesundheitsministerin Barbara Steffens schneidet am schlechtesten ab und bildet das Schlusslicht in Deutschland. In der Farbgebung der Infektionsschützer steht die Hygiene-Ampel in NRW auf dunkelgelb.

Die 80 Seiten starke Studie über einen Vergleich aller Länderhygieneverordnungen vermittelt darüberhinaus einen detaillierten Eindruck über Stärken und Schwächen der Länderhygieneregeln. Die Messlatten sind jeweils gleich: 13 Qualitätskriterien, die von den Prüfern als „Mindestanforderungen für eine effektive Vermeidung und Senkung der Zahl der Krankenhausinfektionen definiert“ wurden. Gemessen an diesen Anforderungen werden erhebliche Mängel in Länderhygieneverordnungen deutlich. Der Appell der Experten: „Die Initiative Infektionsschutz hält es daher für notwendig, dass die hier aufgeführten Aspekte im Rahmen anstehender Evaluierungen der rechtlichen Regelungen durch die Bundesregierung präzisiert und durch die Länderregierungen bei der Umsetzung berücksichtigt werden.“

Die meisten Mängel in der NRW-Verordnung 

Die Infektionsschützer entdecken in der NRW-Verordnung die meisten Mängel. Das Regelwerk erfüllt sechs von 13 Mindestanforderungen der Prüfer „überhaupt nicht“ oder „nicht ausreichend“. Das entspricht umgerechnet einer Durchfallquote von 46 Prozent bei den gesteckten Qualitätszielen. Zum Vergleich: Bayern schneidet am besten ab und erreicht eine Erfolgsquote von 85 Prozent. Elf der 13 Vorgaben werden in der bayrischen Hygienefibel erfüllt; sechs in vollem Maße, fünf „größtenteils“.

Nach dem Urteil der Prüfer hinkt die NRW-Verordnung in einigen Kategorien hinterher:

Zum Beispiel bei der „Erfassung und Bewertung von Antibiotika-Resistenzen und -Verbrauch“. „Anforderung nicht ausreichend erfüllt“, lautet hier das Urteil der Prüfer. Damit verbucht NRW in dieser Rubrik das schlechteste Ergebnis bundesweit. Die Kritikpunkte: „Keine Pflicht zur Einhaltung einer Antibiotika-Strategie. Keine explizite Pflicht zum Erfassen von Antibiotikaresistenzen und -verbrauch“.

Zum Beispiel bei der „Rückmeldung, Umsetzung und Evaluierung der Erkenntnisse“. Auch hier attestieren die Prüfer: „Anforderung nicht ausreichend erfüllt“. Diesmal teilt sich NRW die schlechteste Bewertung im Bund mit Niedersachsen. Bemängelt werden in der NRW-Verordnung: „Keine explizite Pflicht zur Rückmeldung an das Personal. Keine explizite Pflicht zur Aufbereitung der Erkenntnisse. Keine Pflicht zur Evaluierung im Rahmen des Qualitätsmanagement“.

Zum Beispiel bei der „Einhaltung der Hygienemaßnahmen durch alle relevanten Personen“. Prüfurteil: „Anforderung nicht ausreichend erfüllt“; die schlechteste Bewertung im Bundesvergleich trifft neben NRW auch Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Sachsen und Schleswig-Holstein.

Gesundheitsministerin Barbara Steffens.
Gesundheitsministerin Barbara Steffens. © Karlheinz Schindler/Archiv

Zum Beispiel durch eine – bundesweit einmalige – Einschränkung: Die NRW-Hygieneverordnung gilt nicht per se für alle Krankenhäuser, wie es das Infektionsschutzgesetz des Bundes vorsieht. „Ausgenommen sind die von Religionsgemeinschaften betriebenen oder diesen gleichgestellten oder ihnen zuzuordnende Krankenhäuser“, heißt es in §1. Wegen dieser Kirchen-Klausel sehen die Prüfer ihre Vorstellungen von Infektionsschutz in NRW-Kliniken nur „größtenteils erfüllt“. In den Hygienevorschriften der 15 anderen Bundesländer gibt es keinen solchen Passus. Sie erfüllen die Anforderungen der Experten voll und ganz.

Kritik an der Sonderstellung kirchlicher Einrichtungen

Bei Recherchen zu dieser Rarität fällt auf: Selbst im – Steffens unterstehendem – Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG) wird die Kirchen-Klausel unter der Rubrik „Problem“ geführt. So steht es in Erläuterungen zur NRW-Hygieneverordnung, die „nach Übereinkunft“ von Vertretern des LZG, der kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe, der Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe und der Gesundheitsämter in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium verfasst wurden. Dem „Problem“ Kirchen-Kliniken folgt als „Lösung“ dieser Satz: „Treffen formal Regelungen in eigener Zuständigkeit, schließen sich in der Regel den staatlichen Regelungen an.“

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) kritisiert die Sonderstellung kirchlicher Kliniken in Nordrhein-Westfalen scharf. „Tragisch, dass der Verordnungsgeber in NRW den Patienten, die dort behandelt werden, den bestmöglichen Schutz vor Infektionen vorenthält“, sagt DGKH-Vorstand Prof. Dr. Klaus-Dieter Zastrow. „Fast jeder hat ja nun begriffen, dass Krankenhausinfektionen häufig sind und auch einen tödlichen Ausgang haben können.“ Angesichts des „sehr gelungenen Infektionsschutzgesetzes, das die Bundesregierung 2011 in Kraft gesetzt hat“, ist der bundesweit bekannte Hygieniker „fassungslos, dass für Krankenhäuser, die von Religionsgemeinschaften, also in der Regel der Kirche, betrieben werden, diese nicht gelten soll“. Denn: „Krankheitserreger marschieren auch in kirchliche Häuser ein, sie können zwischen kommunalen und konfessionellen Häusern nicht unterscheiden.“

Zur Erinnerung: Gesetze und Verordnungen sind das Instrument, das Politiker einsetzen können, um Missstände zu beseitigen. Steffens könnte sich jederzeit für eine Verschärfung der Hygieneverordnung einsetzen und etwa die Ausnahmeregelung für Kliniken in kirchlicher Trägerschaft beseitigen.

Aber noch einmal zurück zum NRW-Gesundheitsministerium, zu dessen Pressemitteilung.

Das Ministerium verweist darauf, dass die WAZ eine Infektionsschutz-Untersuchung aus dem Jahr 2012 zitiert hat. Stimmt. Das haben wir. Denn die Untersuchung bezieht sich auf die NRW-Hygieneverordnung, die bis heute unverändert in Kraft ist. Auch sie stammt aus 2012.

Das NRW-Gesundheitsministerium sagt, die Untersuchung treffe keine Aussage über die tatsächlich vorherrschenden Gesundheitsstandards. Dazu stellt ein Mitverfasser der Untersuchung fest: „Das hat die WAZ auch nicht geschrieben.“

Kontrollen mit Anmeldung 

Das NRW-Gesundheitsministerium äußert sich auch zu Hygiene-Kontrollen mit Voranmeldung, über die wir berichtet haben. Das Ministerium, das die Gesamtverantwortung für die Krankenhausaufsicht im Lande trägt, sagt: „Gesundheitsämter in NRW kontrollieren Kliniken selbstverständlich unangemeldet, wie in allen anderen Bundesländern aber aus zwingenden Gründen ebenfalls angemeldet.“ So haben wir es auch berichtet. Darüber hinaus liegen der WAZ Dokumente und Eidesstattliche Versicherungen vor, die belegen, dass Kliniken über zahlreiche Kontrollen vorher im Bilde waren und sind.

Das reicht uns aber nicht. Wir wollen es ganz genau wissen. Deshalb haben wir beim NRW-Gesundheitsministerium angefragt: Wie viele Hygiene-Begehungen in NRW-Kliniken sind seit 2010 mit vorheriger Ankündigung erfolgt? Und wie viele ohne Ankündigung? Wir sind gespannt auf die Antwort. Wir werden darüber berichten.

Das NRW-Gesundheitsministerium sagt: „Seit Barbara Steffens Gesundheitsministerin ist, wurden die Aktivitäten um Klinikhygiene und die Verringerung und Vermeidung der Verbreitung multiresistenter Keime deutlich verstärkt. Die Zahl der meldepflichtigen MRSA-Fälle in Krankenhäusern ist von 2012 auf 2013 leicht zurückgegangen (2012: 1457 / 2013: 1355).“

Zahl der Fälle hat sich seit Steffens' Amtsantritt deutlich erhöht

Was das NRW-Gesundheitsministerium nicht sagt: Seit Barbara Steffens Gesundheitsministerin ist, hat sich die Zahl der MRSA-Fälle in den Kliniken des Landes um mehr als 30 Prozent erhöht. Das bestätigt Steffens‘ eigenes Ministerium an anderer Stelle. In einer Mitteilung vom 25.02.2014 zeichnet ein Sprecher die MRSA-Kurve seit dem Amtsantritt der Ministerin nach: Sie stieg von 943 MRSA-Fällen im Jahr 2010 auf jene 1355 MRSA-Fälle, die das Ministerium jetzt für 2013 bestätigt. Steffens ist seit Mitte 2010 Gesundheitsministerin in NRW.

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Was das Ministerium von der WAZ haben will, bekommt es nicht: „Alle der Redaktion vorliegenden Informationen über akute Hygienemängel in Kliniken von Nordrhein-Westfalen“ sollen wir der Behörde übergeben. Das werden wir nicht tun. Weil wir unsere Informanten und deren Persönlichkeitsrechte schützen. Hinter jeder Unterlage, jedem Dokument, jedem Foto, jeder Akte, jeder Eidesstattlichen Versicherung steckt eine Quelle. Das sind Menschen, die als Patienten oder Beschäftigte der betroffenen Kliniken persönliche Nachteile befürchten, wenn Rückschlüsse darauf möglich wären, dass sie Informationen an uns weitergegeben haben. Und solche Rückschlüsse wären sehr schnell zu ziehen. Jedes kleine Detail eines Sachverhaltes kann eine Quelle auffliegen lassen. Das müssen wir ausschließen. Und genau das tun wir.

Die WAZ ist nicht die Aufsichtsbehörde für die Kliniken in NRW. Auch nicht die Hygiene-Polizei des Landes. Die WAZ berichtet. Den Missständen nachgehen und sie ahnden müssen die Gesundheitsämter. An die WAZ haben sich Patienten vertrauensvoll gewandt, weil sie den Gesundheitsbehörden nicht mehr zutrauen, den Missständen nachzugehen. Wir können das Vertrauen dieser Menschen nicht missbrauchen, indem wir ihre Privatdaten und Krankenakten an ein Ministerium weiterreichen, dass die Verantwortung anderen zuschreiben will, und nicht in der Lage ist selbst für Ordnung zu sorgen.

Am besten durch unangemeldete Kontrollen.

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