Wiesbaden. Der Fall Edathy zieht weiter seine Kreise, BKA-Chef Jörg Ziercke gerät zunehmend unter Druck. Ein Spitzenbeamter aus den eigenen Reihen war offenbar auch unter den Kinderporno-Kunden. Doch warum verschwieg Ziercke diesen Vorfall, als er am 19. Februar im Bundestag zur Edathy-Affäre Stellung bezog?
Die Adresse Thaerstraße 11 hoch über dem Zusammenfluss von Main und Rhein ist eine weiße Festung. Stahltore, Drehkreuze und Videokameras sichern sie ab. In den 70er-Jahren hat hier Hausherr Horst Herold kugelsicher hinter Panzerglas gewohnt, geschützt vor dem RAF-Terror.
Doch in diesen Tagen ist das Wiesbadener Hauptquartier des Bundeskriminalamtes (BKA) höchst verwundbar. Angreifer sind Politiker aus dem fernen Berlin. Sie werfen den 5500 Mitarbeitern und ihrem Präsidenten Jörg Ziercke vor, mal als „Trottel am Werk“ zu sein (FDP-Mann Kubicki) und mal Vertreter des „kalkulierten Staatsversagens“ (Linksparteichef Bernd Rixinger) darzustellen.
Ein Teufelskreis
Es geht um den Fall Sebastian Edathy, den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten, seine Neigungen zu Fotos von nackten Jungs, um den Informationsfluss zwischen dem Amt und der Politik dazu und seit Ende der letzten Woche auch um einen Spitzenbeamten in den eigenen Reihen, der im Internet Fotos, auf denen nackte Jungen posieren, bei dem gleichen kanadischen Lieferanten bestellt hatte wie der Abgeordnete.
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Warum, fragt die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt, hat BKA-Boss Ziercke diesen doch bedeutenden eigenen Straftats-Fall beim Vortrag vor dem Bundestags-Innenausschuss am 19. Februar verschwiegen, als er zur Akte Edathy Stellung bezog? Wollte er seinen Ex-Mitarbeiter schützen? Wollte er vertuschen, dass das BKA die von kanadischen Kollegen übermittelten Namenslisten doch sehr früh sehr genau angesehen hatte und schon 2012 von Edathys Verstrickung gewusst hat?
Das BKA dreht sich seit Wochen im Teufelskreis von Verdächtigungen und Gegendarstellungen: Was hat Ziercke dem SPD-Fraktionschef Oppermann am Telefon über den Verdacht gegen Edathy wirklich erzählt? Musste er den Innenminister über Oppermanns Anruf informieren? Bewegte sich das Amt zu langsam bei der Aufklärung der Kinderporno-Affäre?
„Kesseltreiben“ nennt das Oliver Malchow, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Immer neu versucht Ziercke, die Abläufe der Operation „Spaten“ seit Übermittlung der Festplatten im Oktober 2011 durch die Kollegen in Toronto darzulegen. „Ich habe offen und ehrlich informiert“, beteuert Deutschlands Cheffahnder.
Ehrlich will er auch sein, wenn er über die zunächst verschwiegene Enttarnung des Porno-Polizisten berichtet: Einer BKA-Mitarbeiterin sei bei „Grobsichtung“ des kanadischen Materials mit 800 Hinweisen am 10. Januar 2012 der Name des „ihr persönlich bekannten und als Kunde geführten Beamten“ aufgefallen. „Dass der Name Edathy der Mitarbeiterin nicht auffiel, ist plausibel“. Der sei erst öffentlich wahrgenommen worden, als er zwei Wochen später Vorsitzender des NSU-Ausschusses wurde.
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Es ist ein Argument, mit dem es Ziercke schwer hat. Edathy war kein Unbekannter. Zwischen 2005 und 2009 hatte er auf dem Chefstuhl des Bundestags-Innenausschusses gesessen. Einen anderen Vorwurf kontert der BKA-Chef leichter: Das Amt hat nach der Enttarnung des eigenen Spitzenmannes sofort gehandelt. Die Staatsanwaltschaft Mainz wurde informiert. Die ermittelte. Der Beamte erhielt einen Strafbefehl über eine fünfstellige Summe. Unklar war bis gestern, wann er in den Vorruhestand versetzt wurde. Dass dies erst Ende 2013 passiert sei, dementiert die Behörde. Es sei früher gewesen.
Im Herbst will Ziercke in Pension
Jetzt wechseln sich Rücktrittsforderungen der Opposition an die Adresse Zierckes und Rufe nach einem Untersuchungsausschuss mit Solidaritätserklärungen von Seiten der Regierung ab. Dabei war der Ruf des BKA-Chefs über weite Strecken tadellos: Nach Amtsantritt 2004 baute der Sozialdemokrat und frühere Mordermittler den Apparat um, konnte Terroranschläge verhindern, sandte, den Trends der Globalisierung folgend, Verbindungsbeamte in 50 Länder, setzte auf elektronische Fahndungen und machte gegenüber der Bundesregierung den Rücken gerade, um die Fusion von BKA und Bundespolizei zu verhindern. Dass er die rechtsextremen Killer der NSU nicht aufs Radar bekam? Das hat ihn selbst am meisten getroffen.
Muss Ziercke gehen? Wenn, dann nur wenige Monate früher: Der 66-Jährige, den das Innenministerium nicht missen wollte, will im Herbst endlich in Pension.