Berlin. . Härte gegen Regierungskritiker, eingeschränkte Unabhängigkeit der Justiz: Für die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind solche Schlagzeilen Gift. Da bleibt auch Kanzlerin Merkel skeptisch. Sie wollte Premier Erdogan beim Berlin-Besuch keine Zusagen machen.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat in Berlin um mehr Unterstützung für den EU-Beitritt seines Landes geworben, ist damit bei der Regierung aber auf taube Ohren gestoßen. Die Regierung betrachte die Beitrittsverhandlungen der Türkei nach wie vor "als einen ergebnisoffenen Prozess", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag an der Seite Erdogans. So sehe es auch die Koalitionsvereinbarung vor.
Erdogan hatte am Vormittag bei einem Vortrag bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (dgap) gesagt, dass die Türkei von Deutschland "weiter Unterstützung auf dem Weg in die EU und bei dem Beitrittsprozess" erwarte. "Wir wünschen uns, dass Deutschland uns noch stärker unterstützt als bisher." Nicht nur brauche die Türkei Europa, sondern auch Europa brauche die Türkei, sagte Erdogan.
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Sein Land könne eine wichtige Rolle bei der Lösung der Konflikte in der Region spielen. "Die historischen und kulturellen Verbindungen der Türkei in Nordafrika beispielsweise sind eine Chance für den Friedensprozess" im Nahen Osten, sagte er. Auch in Zentralasien und auf dem Balkan könne die Türkei gut vermitteln.
Erdogan drängt zum Handeln in Syrien
Merkel sagte dazu, sie stehe einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU weiterhin "skeptisch" gegenüber. Die Beitrittsgespräche seien ergebnisoffen und außerdem "zeitlich nicht befristet". Gleichwohl könne sich die Regierung "sehr gut vorstellen, dass die Rechtsstaatskapitel 23 und 24 baldmöglichst geöffnet werden", fügte Merkel hinzu.
Ankara verhandelt seit Oktober 2005 mit der EU über einen möglichen Beitritt. Von den 35 Verhandlungskapiteln wurde bislang allein das Kapitel Wissenschaft und Forschung vorläufig abgeschlossen. Derzeit geht es um Kapitel 22 zur Regionalpolitik.
Der türkische Ministerpräsident drängte in Berlin zudem die internationale Gemeinschaft zum Handeln in Syrien. Während die Türkei 700.000 Flüchtlinge aufgenommen habe, seien es in Europa gerade einmal 18.000. Dies sei weder "gewissenhaft" noch "menschlich", sagte Erdogan bei der dgap. Gegen die Tragödie müsse sich "die ganze Menschheit stellen", sagte er später an der Seite Merkels.
Kritik wegen Korruptionsaffäre weist Erdogan zurück
Die Türkei werde ihre Politik der offenen Grenzen fortsetzen, sagte Erdogan mit Bezug auf die Flüchtlingsfrage. Letztlich müsse aber der UN-Sicherheitsrat reformiert werden, um bei dem Thema "arbeitsfähig" zu sein. Immer wieder waren UN-Resolutionen gegen die syrische Führung am Widerstand der Vetomächte Russland und China gescheitert. Merkel sagte, dass Berlin sehr intensiv mit Moskau spreche. Der Schlüssel liege aber "beim UN-Sicherheitsrat".
Kritik an seinem Umgang mit der Korruptionsaffäre in der Türkei wies Erdogan unterdessen zurück. Bei den Bemühungen "zur Erfüllung der europäischen Standards", seien seiner Regierung "eine Vielzahl an Fallen gestellt worden", sagte Erdogan bei der dgap. Merkel sagte dazu lediglich, dass ein Austausch der Justizminister beider Länder geplant sei, bei dem es auch um die Unabhängigkeit der Justiz gehen solle.
Erdogan wollte sich am Dienstagabend im Berliner Tempodrom auch an seine in Deutschland lebenden Landsleute wenden. Diese werden bei der Präsidentschaftswahl im Sommer erstmals die Möglichkeit haben, zu wählen. Die Stimmabgabe werde vier Tage lang in sieben Wahllokalen möglich sein, sagte Erdogan. (afp)