Paris. Bundeskanzerlin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy haben am Mittwoch gemeinsam der Opfer des Ersten Weltkriegs gedacht. Es war das erste Mal, dass ein Regierungschef des einstigen Feindeslandes an den französischen Gedenkfeiern teilnahm.

Auch wenn im offiziellen französischen Sprachgebrauch sehr neutral nur vom "Tag des Waffenstillstandes" die Rede ist, empfindet der Durchschnittsfranzose den 11. November tief im Herzen als etwas anderes: als Tag des heldenhaften Sieges über Deutschland im Ersten Weltkrieg. Gestern hat Präsident Nicolas Sarkozy dem Gedenktag - in Gegenwart von Kanzlerin Angela Merkel - einen neuen Anstrich verpasst: Frankreich begeht den reformierten 11. November künftig als Tag der deutsch-französischen Versöhnung.

Wenn's ums perfekte militärische Zeremoniell geht, sind die Franzosen wahre Weltmeister. Tausende Soldaten säumen bereits weit vor Beginn der minutiös durchgeplanten Feier den "Etoile Charles de Gaulle" rund um den Triumphbogen. Es herrscht eine derart unüberschaubare Vielfalt an französischen Uniformen und Säbeln, Fahnen und Orden, dass die deutschen Abordnungen dagegen schmucklos wirken.

Besonders prachtvoller Musikzug

Chöre und Musikkapellen von Heer, Luftwaffe und Marine sind aufgezogen sowie der besonders prachtvolle Musikzug der Republikanischen Garde. Mal spielt die Fanfare "La Marche", dann "Aux Morts". Allein dreimal lassen sie die "Marseillaise", das "Deutschlandlied" und die Europahymne "Ode an die Freude" erklingen. Schwarz-Rot-Gold knattert neben der Trikolore im Wind.

"Die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich ist ein Schatz", sagt Nicolas Sarkozy, nachdem er mit Angela Merkel die Ehrenformationen abgeschritten und die Ewige Flamme neu entfacht hat. Er erinnert daran, dass der letzte französische Weltkrieg-I-Veteran Lazare Ponticelli im letzten Jahr mit 110 Jahren verstorben ist. Deshalb sei der Blick nach vorn frei. Er beschwört die Formel "Nie wieder Krieg", warnt vor den Folgen des "menschlichen Wahnsinns" und beklagt die mangelnde "Großzügigkeit der Sieger". Auch einen besonders wunden Punkt in der deutsch-französischen Geschichte berührt der Präsident: das Schicksal der Elsässer und Lothringer. Dass sie "mit deutscher Uniform und französischem Herzen" in die Schlacht ziehen mussten, unterstreiche die Absurdität der einstigen Erbfeindschaft.

Dank für "ausgestreckte Hand"

Angela Merkel ist die erste deutsche Bundeskanzlerin, die sich an einem 11. November vor dem Grab des Unbekannten Soldaten am "Arc de Triomphe" verneigt. Sie bedankt sich für Frankreichs ausgestreckte Hand nach dem Zweiten Weltkrieg und beschwört die "Kraft der Versöhnung" - zum Wohle der beiden Länder und Europas. Gegenüber dem symbolischen Händedruck von Mitterrand und Kohl in Verdun mag der gestrige Tag von Paris nur eine Fußnote im Geschichtsbuch hergeben. Trotzdem spricht Nicolas Sarkozy mit großer Genugtuung von einer "geste historique".

Es ist unübersehbar: Die unruhigen Zeiten, als sich Paris demonstrativ von Berlin ab- und lieber London zuzuwenden schien, sind Vergangenheit. Frankreich braucht Deutschland und besinnt sich unter Nicolas Sarkozy wieder der Nähe zum treuen Nachbarn auf der anderen Rheinseite. Es herrscht eine Eintracht, die der Präsident und die Kanzlerin für alle sichtbar vorleben: mit zärtlichen Wangenküsschen und einem freundlichen Du ("lieber Nicolas", chère Angela"). Nur zwei Tage zuvor war der französische Präsident in die deutsche Hauptstadt gekommen, um den Jahrestag des Mauerfalls mitzufeiern. Und so wie Sarkozy in Berlin Deutsch sprach ("Wir sind alle Berliner"), gab auch Angela Merkel gestern in Paris eine kleine Französisch-Kostprobe ("Vive la France, vive l'Allemagne, vive amitié").

Wie weit die freundschaftliche Umarmung durch Paris noch gehen kann, wird sich im Januar zeigen. Geht es nach dem Willen der forschen Franzosen, könnte es nach der Überarbeitung des Elysée-Vertrages in Zukunft sogar einen deutsch-französischen Minister geben, der an beiden Kabinetten mit am Tisch sitzt. Der Sozialist Jack Lang, unter Mitterrand Kulturminister und der in Paris am häufigsten genannte Kandidat für diesen Posten, begrüßt die Initiative ausdrücklich. "Pourquoi pas?", "Warum nicht?", sagte er der Zeitung "Le Parisien" augenzwinkernd.

Gottesdienst in Westminster Abbey

Auch in Großbritannien und Belgien wurde an die Schrecken des Ersten Weltkriegs erinnert. Königin Elizabeth II. sowie hohe Vertreter aus Politik und Streitkräften kamen zu einem Gottesdienst in der Westminster Abbey in London zusammen. Noch heute dächten die Menschen voll Trauer an Giftgas und Schlamm, Stacheldraht und Bomben, sagt Dekan John Hall.

In Brüssel legten König Albert II. und Premierminister Herman Van Rompuy Kränze am Grab des Unbekannten Soldaten nieder. In Ypern versammelten sich Zehntausende Menschen zu einer Feier am Kriegerdenkmal, auf dem die Namen von 55.000 vermissten Soldaten eingraviert sind.