Berlin. Im Koalitionsvertrag geht es bei weitem nicht nur um harte Themen, wie Renten, Maut und Mindestlohn. Der Katalog ist prall gefüllt mit Wünsch-Dir-Was, Skurrilitäten wie etwa die neue Gehaltsstruktur von Bahn-Vorstand Grube und Kleinkariertem wie die “Schwerpunktaufgabe“ Kinderfilm.

Alle reden über Renten, Pkw-Maut, Mindestlohn. In Wahrheit ist das 180 Seiten-Papier der Großen Koalition ganz was anderes: Es ist ein dicker Warenhaus-Katalog geworden – prall gefüllt mit Wünsch-Dir-Was, mit Versprechungen, Mahnungen, Belehrungen – und gelegentlich auch mit „Befehlen“. Wir müssen nur blättern.

Wer redet zum Beispiel über das Gehalt von Herrn Grube? Der neue Regierungsvertrag natürlich. Der Bahnchef sollte hineingucken und dann einen vorbeugenden Blick auf den Stand seines Girokontos werfen. Denn abseits aller Megathemen will ihm Schwarz-Rot ans Geld.

Bahnhof und Abfahrt - Boni gibt's nur bei pünktlichen Zügen

Kein Scherz. Auf Seite 42, Überschrift „System Schiene“, kündigen die künftigen Koalitionäre an, dass „moderne sowie barrierefreie Bahnhöfe“, „Pünktlichkeit“ und „Zuverlässigkeit“ ab jetzt das Markenzeichen der Bahn sein sollen. Und dann, mit drohendem Unterton: „Vorstandsboni sollen an das Erreichen der genannten Ziele gebunden sein“.

Wem ist Grube da über den Fuß gerollt? Oder sind Koalitionsunterhändler zu spät zur Sitzung gekommen? Weil Stellwerker fehlten (Mainz), Gleise geschwommen haben (Elbe), weil der Bergbau den Standfestigkeit unserer Züge unterhöhlt (Essen)?

Jedenfalls geht es um nicht wenig Kohle. Ausweislich des DB-Geschäftsberichts hat Rüdiger Grube im Jahr 2012 etwa 900.000 Euro verdient – ohne Bonus. Die Bonuszahlungen lagen am Ende aber bei 1,7 Millionen Euro. Alle fünf Vorstandsmitglieder der Bahn AG zusammen bekamen 8,7 Millionen Euro zusätzlich überwiesen.

Der „Befehl des Koalitionsvertrags“, wie Verkehrsminister Ramsauer allgemein die Regierungsvereinbarungen versteht: Der Bahnchef muss seinen Lokführern Dampf machen, damit er privat nicht die roten Zahlen rutscht. Zuvor ist zu klären, ob Verspätungen bis zu fünf Minuten, die nach der Bahn-Definition als „pünktlich“ gelten, dies auch gemäß des Koalitionsvertrags sind.

Große Aufgabe für große Koalition: Parkplätze für Elekro-Autos in Städten 

So ganz bange sein muss es dem eigentlich populären Bahnchef, der auch schon mal Kunden selbst anruft, um sich für den Ausfall der ICE-Klimaanlage zu entschuldigen, aber nicht. Er muss nur 22 Seiten weiter im Koalitionsvertrag nachschauen. Da gibt’s für den Notfall gute Tipps für ihn.

Dort steht: „Die Inanspruchnahme des Dispositionskredits soll nicht zu einer übermäßigen Belastung eines Bankkunden führen“. Denn nicht nur für die Bahn, auch für die Banken hat der schwarz-rote Vertrag ein paar Anordnungen übrig.

„Die Banken sollen verpflichtet werden, beim Übertritt in den Dispositionskredit einen Warnhinweis zu geben“. Mehr noch: „Bei dauerhafter und erheblicher Inanspruchnahme sollen sie dem Kunden eine Beratung über mögliche kostengünstigere Alternativen zum Dispositionskredit anbieten“.

Was lehrt uns das? Dass das Kleingedruckte in diesem Merkel-Gabriel-Seehofer-Opus im Alltag nicht nur für Rüdiger Grube und Kollegen entscheidender sein kann als die heißen Themen, die den Wahlkampf diktiert haben. Das Papier ist ganz breit angelegt. Es setzt sich für die Wiedereinführung des „amtlichen Presseausweises“ ein, für die Saatgutvielfalt, kämpft für „die traditionelle, arbeitsintensive Küstenfischerei“ und mischt bei der Parkplatz-Suche mit.

Parkplätze sind genau so knapp wie pünktliche Züge und schwarze Zahlen auf Girokonten, wissen wir. Und deswegen geht die neue Regierung auch hier in aller Schärfe vor. „Im Straßenverkehrsrecht schaffen wir die Möglichkeit, dass Kommunen Parkplätze rechtssicher für Carsharing-Autos und Elektroautos ausweisen können“, verspricht sie. Von letzteren soll es bis 2020 übrigens eine Million geben.

Und wer auf Fernstraßen unterwegs ist, der bekommt mit den Brummis zu tun. 6000 zusätzliche Lkw-Stellplätze sollen in den nächsten vier Jahren entlang der Autobahnen eingerichtet werden. Wohin soll der mautgebeutelte Pkw?

Auch Geschichte ist wichtig - sehr sogar

Man sieht: Das schwarz-rote Trio geht hier und da durchaus barsch vor. Es verteilt gerne Aufträge. Die EU bekommt ihr Fett weg, die „Krumme Gurken“-Debatte ist den Koalitionären wohl auf den Magen geschlagen: „Die Europäische Union muss sich bei der Normensetzung selbst zurücknehmen“, fordert es.

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Die Krankenkassen haben künftig dafür zu sorgen, dass Gesetzlich Versicherte binnen vier Wochen einen Termin beim Facharzt erhalten. Die Kulturschaffenden im Land sollen dafür sorgen, dass „der deutsche Kinderfilm“ eine „Schwerpunktaufgabe“ wird.

Und lernen sollen wir alle – vor allem aus der Geschichte. Denn Geschichte, das Feiern und das Gedenken soll in den nächsten vier schwarz-roten Jahren die ganz große Rolle spielen. Ernstes und Freudiges. Der Koalitionsvertrag zählt auf: 100 Jahre 1. Weltkrieg. Das Gedenken an 70 Jahre Befreiung der Konzentrationslager. Das Ende des 2. Weltkriegs. Bald vor 25 Jahren ist die Mauer gefallen und es hat die Einheit gegeben.

Und dann wird Beethoven noch 250. Das wird zwar 2020 sein, wohl jenseits von Merkel, Gabriel und Co. Aber „die Vorbereitung dieses wichtigen Jubiläums ist eine nationale Aufgabe“. Verstanden.