Berlin. Angela Merkels Spagat zwischen der CSU und der SPD: Die CDU-Chefin muss im Koalitionsvertrag große Ausgabenwünsche beider Partner schlucken. Sowohl SPD-Chef Gabriel als auch der CSU-Vorsitzende Seehofer sind für sie nur begrenzt Verbündete. Merkels grüner Blazer bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages könnte man als kleines Warnsignal deuten.

Dass Angela Merkel mit ihrer Bekleidung manchmal kleine politische Duftmarken setzt, ist bekannt. Als die Bundeskanzlerin am Mittwoch ausgerechnet einen grünen Blazer wählte, um den schwarz-roten Koalitionsvertrag mit SPD und CSU zu unterzeichnen, dürfte deshalb kein Zufall gewesen sein.

Noch bevor die große Koalition ihre Arbeit aufnimmt, erinnerte Merkel ihre Partner vielmehr an die sich in Hessen bietende neue Bündnismöglichkeit der CDU mit den Grünen. Angesichts der sich sofort abzeichnenden Spannungen im Dreier-Bündnis in Berlin mag dieser dezente Hinweis sogar nötig sein.

Denn beim gemeinsamen Auftritt der drei Parteichefs von CDU, CSU und SPD in der Bundespressekonferenz wirkte Merkel nicht nur räumlich eingeklemmt zwischen den neuen, alten Partnern. Auch wenn das Trio aus Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer nach den schwierigen Koalitionsverhandlungen auf Harmonie gepolt war, offenbarten die Frotzeleien die tatsächlich existierenden Spannungen.

Merkels manchmal unsicherer Blick zu den Männern an ihrer Seite zeigte, dass die CDU-Chefin trotz ihres Wahlsieges bei der Bundestagswahl nicht unbedingt in einer komfortablen Situation ist - zumal sowohl Gabriel als auch Seehofer gleich zu Beginn der neuen Zweckehe bewiesen, immer das letzte Wort haben zu wollen.

Industrie und Opposition kritisieren geplante Mehrausgaben

Auch interessant

Merkels Probleme fangen bei den Inhalten an. Sofort nach Abschluss des Koalitionsvertrags musste sich die CDU-Chefin wortreich erklären, warum die vereinbarten teuren Koalitions-Versprechen vereinbar mit ihrem selbsterklärten Image als sparsame schwäbische Hausfrau sein sollen. Noch im Wahlkampf hatte sie den Einstieg in die Tilgung des riesigen deutschen Schuldenberges versprochen. An die von Unions-Politikern aufgemachte Rechnung, dass die angestrebte große Koalition Mehrausgaben von "nur" 23 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode vereinbart habe, glaubten am Mittwoch nicht einmal die Fachpolitiker des neuen Bündnisses.

Industrie und Opposition kritisieren offen, dass die große Koalition auf dem Prinzip Hoffnung aufbaue - nämlich auf die von Merkel erwähnte Erwartung, dass die Steuern immer weiter sprudeln. Jeder kleine Wirtschaftseinbruch dürfte das Dreierbündnis, das ohnehin keine politische Liebesheirat war, vor ernste Problem stellen, die gemachten Zusagen einhalten zu können.

Als alle außer Merkel lachten 

Auch interessant

Hinzu kommen parteitaktische Überlegungen, die für Merkel zum Problem werden. Denn die Kanzlerin hat zwei Partner, die nur bedingt ihr Ziel teilen, 2017 als erfolgreiche Regierungschefin zu erscheinen. Die SPD begann schon am Mittwoch, den Koalitionsvertrag als "sozialdemokratisch" darzustellen - was die ohnehin vorhandene Unruhe in der CDU schürt, man habe zu viele Kompromisse gemacht, etwa beim Mindestlohn. Und CSU-Chef Seehofer ist für Merkel nur begrenzt ein Verbündeter. Geht es um bayerische Regionalinteressen, dann paktiert der Chef der Schwesterpartei sofort mit den SPD-Länder etwa bei den Themen Energie oder Finanzen. "Wir nehmen das Geld auch in Bayern gerne", schmunzelte er am Mittwoch mit Blick auf die vereinbarten Milliardentransfers bei Verkehr oder Bildung.

Die Kanzlerin als Sachwalterin der Bundesinteressen schielte bei der Bemerkung eher schmallippig und fast hilfesuchend zum SPD-Vorsitzenden. Doch Gabriel ist zwar ebenfalls ein überzeugter Bundespolitiker, aber er kann hier wenig helfen: Er muss für den parteiinternen Frieden die Zustimmung der SPD-Ministerpräsidenten mit teuren Zusagen an Länder und Kommunen erkaufen.

Und als der SPD-Chef betonte, die Union auch in der Sozialpolitik in eine unerwartete Richtung bewegt zu haben, protestierte Seehofer sofort, deutete seine Geistesnähe mit der SPD auf diesem Gebiet an und lieferte Gabriel damit eine Steilvorlage gegen die CDU. Er habe ja schon in den Koalitionsverhandlungen gelernt, dass es die vielbeschworene Einheit aus CDU und CSU in Wahrheit gar nicht gebe, frotzelte der SPD-Chef. Alle außer Merkel lachten.

Wer die Finger in die Wunden der SPD legen könnte 

Allerdings weiß die Kanzlerin nach acht Jahren Regierungserfahrung mit SPD, FDP und CSU, dass sie nicht ganz chancenlos in Dreier-Koalitionen ist. Den SPD-Chef piesackte Merkel mit der lässig hingeworfenen Bemerkung, dass die drei Parteichefs natürlich über Ressortzuschnitte gesprochen hätten - was Gabriels Weigerung seltsam aussehen ließ, Ressorts und Personal der SPD vor dem Mitgliederentscheid bekanntzugeben. Die Nachsicht Merkels und auch Seehofers für die internen Probleme des neuen Koalitionspartner sollte nett klingen, war aber auch ein Hinweis darauf, dass man notfalls immer den Finger in die Wunden der SPD legen kann.

Und gegen Seehofer und dessen gestiegenes Selbstbewusstsein seit dem Gewinn der absoluten Mehrheit in Bayern könnte Merkel zumindest in den kommenden zwei Jahren helfen, dass er die Kanzlerin eben doch zur Umsetzung seiner lauthals vorgetragenen CSU-Wahlversprechen wie die Pkw-Maut braucht. Merkel jedenfalls bürdete die Last für die Umsetzung des umstrittenen Projekts gleich dem wahrscheinlich wieder von der CSU gestellten künftigen Verkehrsminister auf: "In meiner Regierung werden Gesetzentwürfe, die gut sind, immer verabschiedet", sagte sie süffisant - wohl wissend, dass SPD- und viele CDU-Politiker bezweifeln, dass ein "guter" Gesetzentwurf zur Maut angesichts der aufgestellten Bedingungen überhaupt möglich ist. (Reuters)