Berlin. Die Neuauflage der großen Koalition ist ein riesiges Stück näher gerückt: Nach einer Marathonsitzung bis in den frühen Morgen einigen sich die Spitzen von Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Jetzt muss noch die große Runde zustimmen - und die SPD-Basis.

Wenige Stunden nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen haben die Parteichefs von CDU, CSU und SPD ihre Unterschriften unter den Vertrag über die gemeinsame Regierung gesetzt. Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) kamen am Mittwochmittag in das Berliner Reichstagsgebäude und unterzeichneten die Vereinbarung aus der Nacht vor laufenden Kameras.

Nach einer 17-stündigen Marathonsitzung hatten sich die Spitzen von Union und SPD am frühen Mittwochmorgen in Berlin auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Der Beschluss wurde anschließend in großer Runde gebilligt. Zuvor hatten sich beide Seiten auf die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, Verbesserungen bei der Rente und die Erleichterung der doppelten Staatsbürgerschaft verständigt. Auch soll eine Pkw-Maut für Ausländer kommen. Auf Steuererhöhungen für neue Projekte will man verzichten.

Das neue schwarz-rote Bündnis unter Kanzlerin Angela Merkel steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die SPD-Basis in der ersten Dezemberhälfte in einer Mitgliederbefragung zustimmt. So lange soll die Aufteilung der Ministerien und ihre Besetzung offen gelassen werden, wie die dpa aus Verhandlungskreisen erfuhr. Wenn die insgesamt 475 000 SPD-Mitglieder grünes Licht geben, könnte Merkel in der Woche vor Weihnachten - am 17. Dezember - im Bundestag als Kanzlerin wiedergewählt werden.

Im Koalitionsvertrag soll festgeschrieben werden, dass von 2015 an keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Union und SPD verständigten sich auch auf einen Finanzrahmen für zusätzliche Ausgaben und Investitionen bis 2017. Nach dpa-Informationen sollen für die Projekte einer schwarz-roten Koalition zusätzlich 23 Milliarden Euro ausgegeben werden.

<blockquote class="twitter-tweet" lang="de"><p>Harte Verhandlungen ... <a href="https://twitter.com/ArminLaschet">@ArminLaschet</a> <a href="https://twitter.com/Ralf_Stegner">@ralf_stegner</a> <a href="http://t.co/pU5ezyYaGl">pic.twitter.com/pU5ezyYaGl</a></p>&mdash; Julia Klöckner (@JuliaKloeckner) <a href="https://twitter.com/JuliaKloeckner/statuses/405436880872693762">26. November 2013</a></blockquote>

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Union und SPD wollen ihren Koalitionsvertrag an diesem Mittwochmittag vorstellen. Die gemeinsame Pressekonferenz der Parteichefs von CDU, CSU und SPD - Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel - sei für 12 Uhr angesetzt, hieß es am frühen Morgen aus Verhandlungskreisen. Die drei präsentieren das Vertragswerk in der Bundespressekonferenz in Berlin. Kurz zuvor soll der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden.

Mindestlohn soll 8,50 Euro pro Stunde betragen

Einig wurde man sich über einen gesetzlichen Mindestlohn. Er soll 2015 kommen und bundesweit 8,50 Euro pro Stunde betragen. Allerdings können die Tarifpartner in einer Übergangszeit bis 2017 auch Abschlüsse vereinbaren, die unter 8,50 Euro liegen. Das kommt Union und Wirtschaft entgegen. Die Verständigungen zu Mindestlohn, Renten und zur doppelten Staatsbürgerschaft könnten die kritische SPD-Basis beruhigen, die über einen Koalitionsvertrag abstimmen wird.

Der Rentenkompromiss sieht so aus, dass die von der SPD geforderte abschlagfreie Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren und die von der Union versprochene Besserstellung älterer Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, zum 1. Januar 2014 eingeführt werden. Ferner soll eine "solidarische Lebensleistungsrente" für Geringverdiener von bis zu 850 Euro pro Monat ab 2017 kommen.

Maut soll nur ausländische Autofahrer belasten 

Auch im Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft erzielten beide Seiten eine Verständigung. Danach müssen sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern künftig nicht mehr bis zum 23. Geburtstag für einen der beiden Pässe entscheiden. Einen Kompromiss gab es auch bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung.

Die Maut-Einigung wurde unterschiedlich gewertet. Während die CSU von einem Erfolg für sich ausging, wurde in Kreisen von CDU und SPD die Formulierung für den Koalitionsvertrag lediglich als Prüfauftrag gewertet. Bedingung soll sein, dass die Maut nur ausländische Autofahrer belastet und mit dem Europarecht vereinbar ist. Dazu soll 2014 ein Gesetz verabschiedet werden. Merkel hatte vor der Wahl erklärt, mit ihr werde es keine Pkw-Maut geben.

<blockquote class="twitter-tweet" lang="de"><p>Knoten durch! Einigung erreicht.</p>&mdash; M. Grosse-Brömer (@MGrosseBroemer) <a href="https://twitter.com/MGrosseBroemer/statuses/405544303885561856">27. November 2013</a></blockquote>

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In der wichtigen Frage des Ausbauziels für erneuerbare Energien soll ein Ökostromanteil von 55 bis 60 Prozent bis zum Jahr 2030 angestrebt werden. Zuvor hatte die Union auf 50 bis 55 Prozent plädiert, die SPD hatte 75 Prozent als Ziel genannt. An der Zahl orientieren sich letztlich auch die Investitionsentscheidungen für neue Windparks, aber auch für neue konventionelle Kraftwerke.

Union und SPD schreiben sich den Kampf gegen Börsen-Spekulation ohne Bezug zur Realwirtschaft auf die Fahnen. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag heißt es: "Unsere Finanzmarktpolitik gibt der realwirtschaftlichen Dienstleistungsfunktion des Finanzsektors Vorrang vor spekulativen Geschäften." So werde sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Vorschläge der europäischen Expertengruppe um den finnischen Zentralbanker Erkki Liikanen zur Einschränkung riskanter Geschäfte, zur Einführung von Beleihungsobergrenzen bei Immobilienkrediten und einer strikteren Trennung von Investment- und Geschäftsbanking auf europäischer Ebene umgesetzt würden.

Union und SPD wollen Gedenktag für Flucht und Vertreibung einführen

Die künftige große Koalition will einen Gedenktag zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung einführen. Darauf haben sich Union und SPD in dem in der Nacht zu Mittwoch ausgehandelten Koalitionsvertrag geeinigt. "Wir halten die mahnende Erinnerung an Flucht und Vertreibung durch einen Gedenktag lebendig", heißt es im Koalitionsvertrag. Es solle zudem an den Möglichkeiten vertriebenenrechtlicher Aufnahme in Deutschland festgehalten werden. Außerdem sollten die Hilfen für die deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten der Aussiedler fortgesetzt werden.

Aus Rücksicht auf die SPD-Mitgliederbefragung Anfang Dezember wurde überlegt, die Namen der künftigen Minister vorerst nicht zu nennen. Fest steht aber, dass die SPD in einem schwarz-roten Kabinett unter Kanzlerin Merkel sechs Ministerien bekommen soll, die CDU fünf (plus Kanzleramtsminister) und die CSU drei. SPD und Union waren bereits zwischen 2005 und 2009 unter Merkel gemeinsam an der Regierung. Zuvor gab es zwischen 1966 und 1969 schon einmal eine große Koalition. (dpa/rtr)

Der Koalitionsvertrag

Gesetzlicher Mindestlohn

Der gesetzliche Mindestlohn soll 2015 kommen und bundesweit 8,50 Euro pro Stunde betragen.

Doppelte Staatsbürgerschaft

In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern sollen sich künftig nicht mehr bis zum 23. Geburtstag für einen der beiden Pässe entscheiden. Die sogenannte Optionspflicht entfällt.

Steuern

Für die Finanzierung der Projekte einer großen Koalition sollen trotz eines milliardenschweren Rentenpakets keine Steuern erhöht werden.

Schulden

Ab 2015 will die große Koalition keine neuen Schulden machen.

Rente

Der Rentenkompromiss sieht so aus, dass die von der SPD geforderte abschlagfreie Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren und die von der Union versprochene Besserstellung älterer Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, zum 1. Januar 2014 eingeführt werden.

Pkw-Maut

Bedingung für die Einführung soll sein, dass die Maut nur ausländische Autofahrer belastet und mit dem Europarecht vereinbar ist.

Erneuerbare Energien

Der Anteil erneuerbarer Energien an der Erzeugung soll bis 2025 auf bis zu 45 Prozent steigen. Die SPD war mit der Forderung von 75 Prozent bis 2030 in die Gespräche gegangen.

Spekulanten

Union und SPD schreiben sich den Kampf gegen Börsen-Spekulation ohne Bezug zur Realwirtschaft auf die Fahnen: "Unsere Finanzmarktpolitik gibt der realwirtschaftlichen Dienstleistungsfunktion des Finanzsektors Vorrang vor spekulativen Geschäften."

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