Washington/Kabul. Die Entscheidung steht kurz bevor: US-Präsident Barack Obama plant, zusätzlich mehrere zehntausend Soldaten nach Afghanistan zu entsenden. Die Truppenaufstockung werde wahrscheinlich schon im Januar beginnen. US-Außenministerin Hillary Clinton setzt auf deutsche Unterstützung.
US-Präsident Barack Obama will nach Informationen aus Regierungskreisen zusätzliche Truppen im Umfang von mehreren zehntausend Soldaten nach Afghanistan entsenden. Die Entscheidung stehe kurz bevor und werde wohl noch Ende des Monats zusammen mit einer breiteren Strategie für Afghanistan vorgestellt, erfuhr die Nachrichtenagentur AP in Washington. Mehrere Mitarbeiter des Weißen Hauses erklärten, die Truppenaufstockung werde wahrscheinlich schon im Januar beginnen.
Die von General Stanley McChrystal geforderte Verstärkung um 40.000 Mann wird es aber wohl nicht ganz geben. Im Weißen Haus wird der Plan daher als «McChrystal light» bezeichnet. Die neuen Truppen sollen die von McChrystal vorgeschlagene Strategie der Konzentration auf Bevölkerungszentren umsetzen und besonders zehn Städte und deren Ballungsräume schützen, wie am Montag aus Regierungskreisen verlautete. Vorhut könnte eine Heeresbrigade aus Fort Drum im US-Staat New York sein, die sich zuletzt noch auf einen Einsatz im Irak vorbereitet hat und deren Marschbefehl kurzfristig annulliert wurde. Eine US-Brigade umfasst für gewöhnlich etwa 3500 Soldaten.
Präsidentensprecher Robert Gibbs sagte, Obama werde die Afghanistan-Strategie am Mittwoch wieder mit wichtigen Mitgliedern seines außenpolitischen und militärischen Beraterstabs besprechen. Eine Entscheidung werde voraussichtlich erst nach seiner Asienreise Ende des Monats bekanntgegeben. McChrystal hat in einem Bericht an Obama vor knapp drei Monaten gewarnt, dass dem Einsatz in Afghanistan ohne eine Truppenaufstockung das Scheitern drohe.
250 Tonnen Material zum Bombenbau sichergestellt
NATO- und afghanische Soldaten haben unterdessen bei einer gemeinsamen Razzia in der südafghanischen Stadt Kandahar 250 Tonnen an Material zum Bau von Bomben sichergestellt. Wie die NATO am Dienstag mitteilte, wurden bei dem Einsatz am Sonntag unter anderem 226 Tonnen Ammoniumnitrat-Dünger sichergestellt, der oft zum Bau von Bomben benutzt wird. Zudem wurden 5000 Teile gefunden, die offenbar dem Bau von Bomben dienen sollten, die am Straßenrand versteckt werden. 15 Verdächtige wurden festgenommen. In einem nahen Lagerhaus wurden weitere 4000 Düngersäcke zu je 45 Kilogramm gefunden.
"Es scheint US-Ausrüstung zu sein"
Ein vom Fernsehsender Al Dschasira ausgestrahltes Video zeigte unterdessen Aufständische in Ostafghanistan, die über Munition und Minen mit US-Kennzeichnung verfügten. «Es scheint US-Ausrüstung zu sein», sagte ein NATO-Sprecher. Laut Al Dschasira brachten die Aufständischen die Ausrüstung nach Angriffen auf zwei Außenposten in ihre Gewalt. Etwa 200 Aufständische hatten am 3. Oktober gemeinsame Stützpunkte der US- und der afghanischen Streitkräfte in der Provinz Nuristan angegriffen. Die US-Streitkräfte gaben den Stützpunkt später auf, erklärten jedoch, sie hätten keine Munition zurückgelassen.
Japan kündigte unterdessen neue Finanzhilfen für Afghanistan an. Innerhalb der nächsten fünf Jahre seien fünf Milliarden Dollar für den Aufbau der Polizei, die Landwirtschaft und Infrastrukturprojekte geplant, teilte das Außenministerium in Tokio mit. Die Mittel sind auch als Ausgleich dafür gedacht, dass die neue Regierung von Ministerpräsident Yukio Hatoyama die Unterstützung beim Auftanken von US-Kriegsschiffen im Indischen Ozean einstellen will.
Hoffen auf Unterstützung von Deutschland
US-Außenministerin Hillary Clinton setzt auf Deutschlands Unterstützung für eine neue Afghanistan-Strategie der USA. Es müsse verhindert werden, «dass Afghanistan wieder eine Zuflucht für Terroristen wird», sagte Clinton in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit MDR INFO. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte im Bundestag in Berlin, der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan müsse «in eine neue Phase» geführt werden.
"Wir hoffen, Deutschland wird dabei sein, denn es ist in unser aller Sicherheitsinteresse», sagte Clinton. Die Aufständischen suchten «nur eine Gelegenheit, Deutschen, Amerikanern, Briten oder Franzosen Schaden zuzufügen». Die US-Chefdiplomatin würdigte zugleich den Beitrag Deutschlands in Afghanistan. «Deutschland hat nicht nur Truppen geschickt - und Verluste und Opfer bei diesen Truppen hinnehmen müssen. Deutschland hat auch zivile und finanzielle Unterstützung geleistet», sagte Clinton
"Gemeinsam weitermachen"
Deutschland habe zudem die «Erfahrung und Expertise» für die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. «Es gibt also eine Reihe von Möglichkeiten, wie Deutschland mitmachen kann», führte die US-Außenministerin aus. Daher hoffe sie, «dass, was auch immer Präsident Obama entscheiden wird, so überzeugend sein wird, dass wir gemeinsam weitermachen werden». Letztlich müssten das aber natürlich die deutsche Regierung und die Menschen in Deutschland entscheiden.
Merkel sagte in ihrer Regierungserklärung, der «Kampfeinsatz» in Afghanistan fordere Deutschland «in ganz besonderer Weise». Mit den Bündnispartnern, der afghanischen Regierung und den Ländern der Region solle Anfang kommenden Jahres bei der geplanten Afghanistan-Konferenz besprochen werden, «wie und mit welchen konkreten Schritten» eine neue Phase gestaltet werden könne. «Wir wollen eine Übergabestrategie in Verantwortung festlegen», sagte Merkel. Von der Regierung in Kabul werde unter anderem eine gute Regierungsführung erwartet.(ap/afp)