Berlin. . Die Koalitionsverhandlungen gehen in die letzte Runde. Am Ende müssen diedrei Vorsitzenden die Stücke zusammenfügen. Menschlich passt es schon jetzt: alle drei sind machtbewusste, aber bodenständige Krisengewinnler, die auch mal eine Auszzeit brauchen – daheim auf dem Land.
Von der „schönen Nacht“ mit Ulla Schmidt schwärmt er bis heute, da haben sie den Gesundheitsfonds zusammengerührt. Ein paar Jahre sind seither vergangen, Horst Seehofer ist quasi zwei Koalitionen weiter. Nun sitzt er wieder mit der SPD zusammen, nur ist alles härter, da sei die Nacht mit Ulla Schmidt „ein Klacks dagegen“.
In Wahrheit aber, verriet er zu Beginn der Endphase der Verhandlungen, werde es so sein wie immer: Mögen 72 andere am Tisch sitzen, „die wichtigsten Fragen werden am Ende bei uns Parteichefs landen“. Bei ihm, Sigmar Gabriel (SPD) und bei der CDU-Kanzlerin Angela Merkel.
Nur mündliche Absprachen
Schon die Hürden vor Beginn der Verhandlungen hatten sie in Sechs-Augen-Gesprächen geklärt. Dazu muss man wissen, dass die Eckpunkte mündlich verabredet wurden – keiner bestand auf Papier – und dass aus ihren Treffen nichts herausdrang. Vertrauen und Diskretion, das ist wohl der Kitt.
178 Seiten lang ist der Entwurf, der am Montag vorlag. Der Kurs ist klar, die Flughöhe noch nicht: Überschrift und Präambel fehlen. Da sind die Chefs gefragt. Das letzte Kapitel ist leer, der Titel: „Arbeitsweise der Koalition“, wozu die Personalien gehören. Außerdem müssen ein paar Streitfragen geklärt werden, etwa über den Doppelpass. Und man ahnt schon: Chefsache.
Sie kennen sich seit langem, saßen zusammen im Kabinett, die Männer als Ministerkollegen, Merkel als ihre Chefin. „Ich halte ihn für einen absolut seriösen und inhaltlich kompetenten Gesprächspartner“, sagt Seehofer über Gabriel. Der Qualitätssprung ist, dass sie mit ihrer Ex-Chefin nun auf Augenhöhe verhandeln. Seehofers Platz ist in Bayern, wo sich Gabriel wiederfinden wird, ist eine offene und spannende Frage. An Merkels Tisch?
Uckermark, Goslar, Ingolstadt
Seehofer ist mit 64 der Senior, zehn Jahre älter als Gabriel. Alle drei sind machtbewusst – und Krisengewinnler. Merkel kam im Zuge der Kohl-Affäre hoch. Gabriels Stunde schlug nach dem SPD-Wahldebakel 2009, und mit Seehofer machte die CSU einen Neuanfang, als seine Vorgänger an der Spitze von Partei und Freistaat das Glück verließ.
Alle drei sind – noch eine Parallele – bodenständige Typen. Was Merkel das Ferienhaus in der Uckermark ist, sind Gabriel die Heimfahrten nach Goslar. Seehofer verbringt den Urlaub in einem Ferienhaus unweit Ingolstadt, wo er zu Hause ist.
Die Parteichefs vertrauen einander und respektieren sich. An Gabriel imponiert Merkel sein Kämpferherz und Instinkt. Sie hat nicht vergessen, wie er der Union im Wahlkampf 2009 quasi im Alleingang zusetzte. Beide Männer können mit einer Rede die Stimmung in einem Saal kippen – ein Temperament, das die Kanzlerin fasziniert. Sie selbst ist zu nüchtern, kopfgesteuert, detailversessen.
Merkel und zwei Bauchmenschen
Gabriel und Seehofer gelten als Bauchmenschen, auch in der Kraftmeierei nicht unähnlich. Humor ist der Punkt, den jeder beim anderen schätzt. Seehofer hat Gabriel nach dessen Wiederwahl als SPD-Chef eine SMS geschrieben: „Gratulation zur Wiederwahl von Ihrem kleinen Koalitionspartner.“ Gabriel hat es so verstanden, wie es gemeint war: als Frotzelei über einen Gernegroß. „Ich habe schon immer Ihre Ironie und Ihren Sinn für Humor bewundert“, simste er zurück.
Seehofer behauptet von sich, er sei „als Erster“ für die Große Koalition gewesen; so wie er als Sozialpolitiker immer für den Mindestlohn gewesen sei. Gabriel wird dazu müde lächeln. Ein CDU-Mann, der das Tauziehen um das Symbolthema erlebt hat, schildert es ohnehin anders. Merkel hatte vertraulich einem Mindestlohn von 8,50 Euro zugestimmt, Seehofer erfuhr davon wiederum im Auto von einem Journalisten, gab gleich ein Interview und „sprang auf den Zug“ auf. Eine Haltung, die so oder ähnlich auch Gabriel zuzutrauen wäre. Am CSU-Chef schätzt Gabriel, dass getroffene Vereinbarungen gelten.
Merkel und Gabriel dick verpackt in Grönland
Da kann Gabriel in Erinnerungen an die letzte Koalition schwelgen. Das Signalfoto dieser Zeit entstand 2007 auf einer Reise durch Grönland und zeigt ihn mit Merkel: Seite an Seite auf einem Boot, in dicke Jacken gehüllt, Umweltminister und Klimakanzlerin.
„Natürlich ist Frau Merkel eine sympathische Frau“, sagte Gabriel erst Anfang des Jahres. Der Kontakt zu ihr sei auch in der Opposition nicht abgerissen. Für seine Verhältnisse hielt sich der SPD-Mann im Wahlkampf zurück: keine persönlichen Angriffe. Merkel hielt es genauso. Gabriel gratulierte ihr noch in der Wahlnacht zum Sieg. Sie antwortete mit dem Koalitionsangebot, beides selbstredend per SMS, das Medium der Stunde. Die Simser sind dran.