Berlin. . SPD-Chef Sigmar Gabriels Kampfrede kommt in der Partei gut an, sorgt aber für Verwirrung in der Union. Gabriel setzt alles daran, seinen Sozialdemokraten eine Große Koalition so schmackhaft wie möglich zu machen. Es ist ein gewagtes Spiel, denn keiner ahnt, wie die Partei abstimmen wird.

In neun Tagen wollen Union und SPD ihren Koalitionsvertrag fertig haben, der Weg dahin wird aber holpriger als erwartet: Unter dem Eindruck der schlechten Stimmung auf ihrem Parteitag verschärft die SPD ihre Tonlage – und auch aus der Union kommen jetzt Unmuts-Signale. Die Kampfesrufe soll vor allem die eigenen Anhänger beruhigen.

Das koalitionäre Verwirrspiel beginnt SPD-Chef Sigmar Gabriel am Samstag mit seiner Abschlussrede auf dem Parteitag. Die Stimmung unter den Delegierten ist mieser als erwartet, die Skepsis gegen eine Koalition nicht ausgeräumt. Nun dreht Gabriel auf und gibt den Delegierten doch noch, was sie hören wollen: „Jetzt müsst ihr liefern, liebe Leute von der Union“, ruft er in den Saal, „wir sind nicht zum Nulltarif, wir sind auch nicht zum halben Tarif zu haben.“

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Er werde die SPD nicht in eine Koalition führen, von der er nicht überzeugt sei. Gabriel zählt noch einmal die Bedingungen für eine Koalition auf: Mindestlohn, neue Regeln für Leiharbeit, Verbesserungen bei der Rente, Geld für die Kommunen. Und schließlich: „Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist.“ Der Parteichef hat den Ton getroffen, die Delegierten jubeln.

„Wenn die Führung wackelt...“

Dabei ist überhaupt nichts neu von dem, was Gabriel fordert: Alle seine Punkte - auch den Doppelpass - hat auf seinen Vorschlag schon ein kleiner Parteitag Ende Oktober als „unverzichtbare“ Kernforderungen beschlossen. Vieles ist bereits geklärt, Gabriel könnte dem Parteitag Trophäen vorzeigen; aber das würde die Schlussverhandlungen doch belasten und den erhofften „Oho-Effekt“ nach der Einigung gefährden.

Denn darum geht es Gabriel eigentlich: Wenn er die Forderungen durchgesetzt habe, dann müsse die SPD auch unterschreiben. Er faltet die Hände, wird leise: „Dann brauche ich eure Hilfe. Ihr müsst dann mithelfen, es erklären, durchkämpfen.“ Beim Mitgliederentscheid, dem die Parteiführung mit Sorge entgegensieht, trage jedes einzelne Mitglied die gleiche Verantwortung. Gabriel warnt unverblümt: „Es geht um die Zukunft der Sozialdemokratie in den nächsten 20, 30 Jahren“. Und, für den Fall eines negativen Votums: „Wenn die Führung wackelt, wackelt die ganze Partei.“

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Wie sehr Gabriel um die Koalition kämpft, kommt nicht bei allen in der Union an: „Es geht nicht, dass die SPD ihren Mitgliederentscheid als Drohpotenzial einsetzt“, schimpft CSU-Frau Dorothee Bär. „Wir dürfen uns von der SPD nicht am Nasenring herumziehen lassen“, klagt Fraktionsvize Michael Fuchs. Auch die Kanzlerin fordert Zurückhaltung von der SPD: Es könne nicht sein, dass der eine für das Einnehmen und der andere fürs Ausgeben zuständig sei.

Zentrale Fragen sind geklärt

Das alles klingt nach Krise. Doch geht unter, was Angela Merkel vor der Jungen Union in Erfurt auch noch sagt: Der Mindestlohn von 8,50 Euro wird kommen. „Es hat keinen Sinn, sich irgendwelchen Illusionen hinzugeben.“ Die Kanzlerin deutet auch an, dass die abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte mit mehr als 45 Versicherungsjahren geplant ist - auch das ist eine von Gabriel erneut vorgetragene Forderung.

Zentrale Fragen sind im Grundsatz seit dem 17. Oktober geklärt. Da haben die drei Parteichefs bei der dritten Sondierungsrunde un­ter sechs Augen die Grundzüge besprochen: Es gibt 8,50-Euro-Mindestlohn und eine Öffnung für den Doppelpass (für die SPD), Pkw-Maut (für die CSU), keine Steuererhöhung, keine Homo-Ehe, dafür solide Haushaltsführung (darauf pochen CDU/CSU), dazu kommen Mütterrente und andere Renten-Wohltaten, Leiharbeits-Regulierung. Nur die Details – und die Finanzierung – sind nicht klar.