Berlin. . Obwohl bei vielen Genossen die Skepsis tief sitzt, versammelt sich die Mehrheit des Parteikonvents hinter dem Parteichef. Die Große Koalition wird immer wahrscheinlicher. Über den Mitgliederentscheid sagt das Abstimmungsergebnis noch gar nichts. An der Basis ist das Bündnis mit der Union unbeliebt.

„Wir sind das Wir“, haben die wütenden Genossen auf ihr Plakat geschrieben, am Mittag vor der SPD-Zentrale. Drinnen soll es gleich um die Koalitionsverhandlungen mit der Union gehen, für die 80 demonstrierenden SPD-Leute aber ist klar: Ein Regierungsbündnis mit der Union kommt nicht infrage. Viele der über 200 Delegierten, die ins Willy-Brandt-Haus marschieren, haben durchaus Sympathien für die Truppe. Die Skepsis in den Landesverbänden ist nach wie vor hoch, die Rede ist schon von einer drohenden Austrittswelle.

Doch das Ergebnis, mit dem der kleine Parteitag gut vier Stunden später auseinandergeht, überrascht trotzdem niemanden: Eine große Mehrheit gibt beim Konvent den Weg frei für Koalitionsverhandlungen. Der geplante Mitgliederentscheid ist eine Art Rückversicherung, einstweilen aber erlebt Parteichef Sigmar Gabriel einen großen Vertrauensbeweis. Er bekommt viel Unterstützung, auch aus der Parteiführung. SPD-Vize Hannelore Kraft wirbt mit großem Nachdruck für die Koalition, die sie doch eigentlich nicht wollte. Als Peer Steinbrück Gabriel in hohen Tönen lobt, gibt es viel Beifall.

Mindestlohn soll als "unverzichtbar" erklärt werden

Trotzdem trickst der Parteichef ein bisschen, als er mit einem Katalog von Kernforderungen die Genossen auf seinen Kurs einschwören will.

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Die Trophäe, die er mit CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer ausgehandelt hat, wird konkret benannt: 8,50 Euro Mindestlohn. Bei vielen anderen Punkten, die für „unverzichtbar“ erklärt werden, bleibt die SPD auf Gabriels Wunsch vage. Gefordert wird eine Pflegereform, die durch eine Beitragserhöhung finanziert wird, die bessere Gleichstellung von Frauen und Männern, mehr Mieterschutz, Investitionen in Schulen, Unis und Wissenschaft, die Entlastung der Kommunen, mehr Geld für die Infrastruktur.

Im Prinzip, das ist Gabriels Trick, hat die SPD längst geklärt, dass alles davon mit der Union machbar sei. Was die Union abgelehnt hat, wie Steuererhöhungen oder das Aus für das Betreuungsgeld, zählt nun einfach nicht mehr zu den SPD-Kernforderungen.

„Nur Minimalforderungen“

Teils verfolgen Merkel und Seehofer identische Ziele, von der Rente über Investitionen bis zur Pflege, teils sind Kompromisse längst ausgelotet. Und bei ganz wenigen Punkten hat die Union eingelenkt: Das gilt für den Mindestlohn und für die doppelte Staatsbürgerschaft.

Unterm Strich ist klar, dass die Koalition vor allem üppige Ausgaben plant, je nach Ausgestaltung geht es um deutlich über 10, womöglich 20 Milliarden Euro im Jahr: Höheres Kindergeld, bessere Mütterrente, Zuschuss für Armutsrenten, zusätzliche Milliarden für Verkehrswege, Bundesgelder an die Kommunen, Milliarden für die Bildung. Wie das alles finanziert werden soll, ist völlig offen: Die Union beharrt darauf, dass die gute Konjunktur genug Steuermittel in die Kasse spült.

Viele Genossen sind irritiert. Was die SPD vorlege, seien nur „Minimalforderungen“, sagen SPD-Linke wie Ralf Stegner. Gabriel müsse mehr herausholen. Viele wollen, dass die SPD weiter für Steuererhöhungen kämpft. Für eine Absage an Gespräche ist am Ende nur eine Minderheit, dazu steht zu viel auf dem Spiel. Zudem ist die Parteilinke gespalten, es herrscht viel Streit und Missmut. Das erleichtert Gabriel die Sache.