Essen/Düsseldorf. . In NRW halten die meisten Genossen wenig von der Idee ihrer Parteispitze, in Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU einzutreten. Sie sehen wichtige SPD-Wahlkampfthemen auf dem Abstellgleis. Viele hätten sich auch Gespräche mit der Linkspartei gewünscht.
Die Bereitschaft der SPD-Spitze, mit der Union in Koalitionsverhandlungen einzusteigen, stößt bei Sozialdemokraten im Ruhrgebiet auf Widerstand. Es irritiert sie, dass die Verhandlungsführer von SPD und CDU/CSU so schnell von „einem ausreichenden Maß an Gemeinsamkeiten und Vertrauen“ sprechen. Vor dem kleinen SPD-Parteitag, der am Sonntag der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen soll, protestieren Genossen im Ruhrgebiet gegen den Schmusekurs der großen Parteien.
So sagt Arno Bischof, der stellvertretende SPD-Chef in Essen: „Die Art, wie die Gespräche mit der Union geführt werden, kommt an der Basis nicht gut an. Wir sehen, dass die SPD-Verhandlungsführer selbst bei Herzensthemen wie Mindestlohn Hintertürchen zulassen.“ Wenn Andrea Nahles das Wort ,Lohnuntergrenze’ in den Mund nehme, dann bediene sie sich des Vokabulars der anderen Seite. „Die Basis mag es auch nicht, wenn das Signal gesetzt wird, es gibt keine Steuererhöhungen. Das passt uns nicht“, so Bischof weiter.
Dortmunds SPD-Chef hält Große Koalition für "bedenklich"
Der Dortmunder SPD-Chef Franz Josef Drabig ist „mit der Dortmunder SPD sehr skeptisch, was eine Große Koalition angeht“. Er hält sie sogar für „staatspolitisch bedenklich“. Die SPD im Bund habe sich – anders als die NRW-SPD nach ihrer Niederlage 2005 – weder als Regierungspartei noch in der Opposition profilieren können. „Ich würde sogar sagen, dass die SPD im Bund derzeit gar nicht in der Lage ist, Regierungspartei zu sein“, so Drabig weiter.
Die stellvertretende SPD-Chefin von Duisburg, Gisela Walsken, spricht ebenfalls von „großer Skepsis“. SPD-Forderungen wie der Mindestlohn müssten in Verhandlungen auf jeden Fall durchgesetzt werden.
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Auch SPD-Landtagsfraktionschef Norbert Römer sieht ein Bündnis mit der Union weiter kritisch: „Vor dem Eintritt in Koalitionsverhandlungen muss eines allen Beteiligten klar sein: Am Ende muss es ein Ergebnis geben, dem die SPD-Mitglieder zustimmen können. Das bedeutet: Die Inhalte müssen stimmen.“
SPD-Linke fordert "echten Mitgliederentscheid mit Urnenwahl"
Die Sprecherin des linken Flügels der SPD, Hilde Mattheis, setzt die Parteispitze unter Druck: Das Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag müsse „ein echter Mitgliederentscheid mit Urnen- und Briefwahl“ sein. Eine Abstimmung in Regionalkonferenzen reiche nicht.
Auch in Südwestfalen blicken die Genossen argwöhnsich auf die geplanten Koalitionsverhandlungen. Bernd Banschkus, Vorsitzender des Kreisverbandes Olpe: „Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin kein Freund der Großen Koalition. Aber wenn wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro durchsetzen können, kann man keinen Rückzieher mehr machen.“
Uschi Metz-Demnitz, stellvertretende Vorsitzende der SPD in Hagen wirft ihrer Parteispitze Fehler vor. „Es gibt in Deutschland eine Mehrheit links der Mitte und die SPD hat die Chance vertan, durch Gespräche mit der Linkspartei mehr Druck auf die Union aufzubauen.“ Spätestens für 2017 rechnet auch Friedhelm Peters, Vorsitzender der Genossen in Menden damit, dass sich seine Partei im Bund mit der Linkspartei unterhalten werde. Bundestagswahl 2013
"Dass der Mindestlohn durchgesetzt wird, reicht nicht"
Und auch am Niederrhein sind die Sozialdemokraten mehr als skeptisch, blicken sie eine mögliche Große Koalition. „Der entscheidende Punkt für mich ist der substanzielle Erfolg für Menschen mit prekärer Beschäftigung: gesetzlicher Mindestlohn, Einschränkung von Leiharbeit, Werkverträgen und Miniojobs. Wenn das das Ergebnis einer Koalitionsverhandlung ist, bin ich nicht dagegen. Ich habe aber auch keine Probleme mit Rot-Rot-Grün“, sagt Mark Rosendahl, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Moers-Rheinkamp und stellvertretender Unterbezirksvorsitzender. Und Roland Katzy, Kreisvorsitzender SPD in Kleve ist der Meinung: „Ich bin unsicher, ob die Große Koalition besser als gute Opposition ist. Dass der Mindestlohn durchgesetzt wird, reicht nicht. Mittel für die Bildung müssen deutlich erhöht werden. Das wird das Zukunftsprojekt.“
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Deutlich moderatere Töne kommen dagegen aus dem Kreis Wesel. „Eine große Koalition ist eine Frage der Verantwortung. Wir müssen das Gesamtinteresse über das Parteiinteresse stellen, auch wenn wir selbst bei guter und transparenter Politik vom Wähler später abgestraft und die FDP und radikale Kräfte erstarken werden. Neuwahlen wären die weitaus größere Katastrophe“, sagt Peter Heß, Schriftführer SPD-UB Kreis Wesel.
In Oberhausen erhielt NRW-Parteichefin Hannelore Kraft am Freitagabend Unterstützung für Koalitionsverhandlungen. Eine Abstimmung zum Meinungsbild der Partei unter 100 versammelten SPD-Funktionären vom Niederrhein ergab eine 85-prozentige Zustimmung.
Eines ist indes schon jetzt mehr als sicher. Die SPD-Parteispitze wird bei Koalitionsverhandlungen jede Menge herausholen müssen, um bei ihrer Basis im Mitgliederentscheid grünes Licht für eine Regierungsbeteiligung zu bekommen.