Berlin. . Während der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD lässt sich die NRW-Ministerpräsidentin vom CSU-Generalsekretär provozieren und zu einem Wutausbruch hinreißen. Die Sitzung muss unterbrochen werden und Kanzlerin Merkel muss schlichten.
Die Stimmung ist getrübt, Andrea Nahles sucht eine Erklärung. 2005 bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen habe es wenigstens noch alkoholische Getränke gegeben, das hätte vielleicht auch diesmal geholfen, meint die SPD-Generalsekretärin kurz nach Mitternacht. „Aber heute“, klagt Nahles, „war da echt nix.“
Statt vorkoalitionärer Bierseligkeit herrscht tiefe Ernüchterung nach dem nächtlichen, achtstündigen Verhandlungsmarathon zwischen Union und SPD. Eigentlich wollten sie am Montag Koalitionsverhandlungen beginnen – die Zustimmung der Parteigremien vorausgesetzt – aber die zweite Sondierung in der Nacht zu Dienstag läuft nicht rund: Es gibt kaum Annäherung in den Streitfragen, stattdessen wird der Mindestlohn-Streit jetzt zum gefährlichen Bruchpunkt.
Am Tag darauf versucht die SPD-Spitze, die Enttäuschung herunterzuspielen – wegen der noch ausstehenden Sondierung mit den Grünen habe die Union keine Zugeständnisse machen können, heißt es. Man habe sich eben „mal gegenseitig die Preise genannt“, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Sind die Preise zu hoch?
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Wie angespannt die Stimmung bei einigen Unterhändlern ist, wird nach fünf Stunden Verhandlung deutlich: SPD-Vize Hannelore Kraft hat gerade das Ehegattensplitting als volkswirtschaftlich unsinnig kritisiert und die großen finanziellen Herausforderungen des Kitaausbaus für ihr Land beschrieben, da versucht CSU-General Alexander Dobrindt eine Provokation: Familienpolitik dürfe nicht unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten gemacht werden, Kraft gehe es beim Kitaausbau doch nur um die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, blafft Dobrindt.
Merkel verhindert Eskalation
Da platzt Kraft der Kragen, sie fühlt sich absichtlich missverstanden: „So was lasse ich mir nicht sagen“, ruft sie, „so können wir hier keine Verhandlungen führen.“ Kraft verlässt den Raum, die Sitzung wird unterbrochen. Angela Merkel hat offenkundig kein Interesse an der Eskalation. Erst spricht die Kanzlerin mit Kraft, danach führt ihr Amtschef Ronald Pofalla ein kurzes Gespräch mit Dobrindt – und der ist fortan ausgesprochen freundlich.
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Offenbar versuchten Unionspolitiker, Kraft wegen ihrer Bedenken gegen eine Große Koalition als Störenfried zu isolieren, heißt es tags darauf bei den Sozialdemokraten. Doch das Spaltungsmanöver aus der CSU misslingt: „Die SPD agiert sehr geschlossen, da sind alle eingebunden“, bilanziert ein CDU-Unterhändler respektvoll.
Ohnehin überdeckt der Krach das Maß an Übereinstimmung, das die Parteien schon gefunden haben: Von der Pflegereform über die Energiewende, mehr Geld für Bildung und Infrastruktur, eine bessere Mütterrente oder strengere Regeln für Leiharbeit bis zum Kurs in der Euro-Krise sei vieles kompromissfähig oder gar schon „abgeräumt“, berichten Teilnehmer.
Doch es bleiben Knackpunkte. Bei ihrer Forderung nach einem Mindestlohn habe sich die SPD „verrannt“, klagt die Union. „Die wissen doch, was wir nicht mit leeren Händen vor den Konvent treten können“, heißt es in der SPD.