Ankara. . Der türkische Ministerpräsident Erdogan hebt das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst auf. Gläubige Musliminnen, die in den Verwaltungen arbeiten, sollen nun mit dem sogenannten Türban arbeiten dürfen. Außerdem will Erdogan den Kurden den Einzug ins Parlament ermöglichen.

Tayyip Erdogans Anhängerinnen mussten lange warten. Mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Amtsantritt erfüllt der islamisch-konservative türkische Ministerpräsident jetzt endlich ein lange gegebenes Versprechen: Das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst soll fallen.

Die Legalisierung des „Türban“, wie das islamische Kopftuch in der Türkei genannt wird, ist Teil eines mit Spannung erwarteten „Demokratiepakets“, das Erdogan am Montag in Ankara präsentierte. Es soll nicht zuletzt den Weg zu einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage ebnen, eines blutigen Konflikts, der die moderne Türkei seit ihrer Gründung vor 90 Jahren begleitet und über 40.000 Menschenleben gefordert hat.

Erdogans Reform macht auch Schluss mit pathetischem Gelübde

Nachdem das 1980 von den damals putschenden Militärs eingeführte Kopftuchverbot an den Universitäten in den vergangenen Jahren bereits weitgehend gelockert wurde, fällt es nun auch bei öffentlichen Institutionen. Staatsbedienstete dürfen künftig den Türban tragen, ausgenommen Richterinnen, Staatsanwältinnen, Polizistinnen und Angehörige der Streitkräfte.

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Lehrerinnen mit Kopftuch: Das wird nicht die einzige Veränderung an den türkischen Schulen sein. Erdogans Reform macht auch Schluss mit dem pathetischen Gelübde, das türkische Schüler zu Beginn jeden Schultags aufsagen müssen: „Ich bin Türke! Ich bin aufrichtig! Ich bin fleißig…“ Die Formel endet mit dem Satz: „Möge meine Existenz ein Geschenk für die Existenz der Türkei sein“.

Kurdische Ortsnamen sollen gestattet werden

Vielen türkischen Kurden kam der nationalistische Schwur nicht leicht über die Lippen. Das Demokratiepaket enthält Regelungen, die auf Forderungen der kurdischen Volksgruppe eingeht, wenn auch nicht immer in dem Umfang, den sich kurdische Bürgerrechtler erhofft hatten. So wird das Verbot der Buchstaben q, w und x aufgehoben, die zwar im kurdischen Alphabet vorkommen, nicht aber im türkischen. Auf den türkischen Computertastaturen gibt es die Buchstaben allerdings immer schon, wie sollte man auch sonst ins World Wide Web kommen.

Auch will die Regierung die Wiedereinführung kurdischer Ortsnamen gestatten, die vor allem unter der Militärdiktatur durch türkische Bezeichnungen ersetzt wurden. Kurdenpolitiker dürfen Wahlkampf in der Muttersprache machen. Die Hoffnung der Kurden auf Zulassung des Kurdischen als Unterrichtssprache an den staatlichen Schulen bleibt aber unerfüllt. Lediglich an Privatschulen soll Kurdisch erlaubt sein.

Zehnprozent-Hürde, die Kurden fernhält, soll fallen

Ein weiteres Thema, dass vielen Kurden auf den Nägeln brennt, ist die Zehnprozenthürde. Sie verhinderte bisher den Einzug kurdischer Parteien ins Parlament. Kurdenpolitiker konnten allenfalls als unabhängige Kandidaten in die Nationalversammlung kommen. Jetzt will Erdogan immerhin über eine Lockerung mit sich reden lassen: Man könne die Hürde auf fünf Prozent absenken. Die Entscheidung liegt beim Parlament, das am Dienstag aus der Sommerpause zurückkehrt.

Auch anderen Minderheiten will Erdogan entgegenkommen. Eine neue Institution soll Sprache und Kultur der türkischen Roma schützen. Der alevitischen Minderheit verspricht Erdogan mehr Gleichberechtigung. Das Aramäer-Kloster Mor Gabriel wird enteignete Ländereien zurückerhalten, versprach der Premier.

Christen sind enttäuscht

Von der erhofften Wiedereröffnung einer vor über 40 Jahren geschlossenen griechisch-orthodoxen Priesterschule bei Istanbul ist dagegen in dem Reformpaket keine Rede – eine Enttäuschung für die Christen in der Türkei.

Der Premier sagte, das Paket stehe in der Kontinuität des Reformprozesses, der seit dem ersten Wahlsieg seiner Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei vor elf Jahren ablaufe. „Dieses Paket ist nicht das erste, und es wird nicht das letzte sein“, sagte Erdogan und unterstrich, er mache sich nicht die Illusion, „dass damit alle Probleme des Landes gelöst werden“.

Abzuwarten bleibt, ob der stockende kurdische Friedensprozess nun wieder in Gang kommt. Die kurdische PKK hatte kürzlich den Rückzug ihrer bewaffneten Kämpfer aus der Türkei gestoppt, weil die Regierung versprochene Schritte schuldig geblieben sei. Die erste Reaktion der Kurdenpartei BDP auf das Paket klingt nicht sehr ermutigend: Es enthalte nur „oberflächliche Lösungen“, die mehr Probleme schaffen als lösen würden.