Essen. . Die Unruhen in der Türkei beschäftigen die in Deutschland lebenden Migranten sehr. Doch die wenigsten wollen offen Stellung beziehen. Konflikte zwischen den verschiedenen Lagern in der türkischen Community spielen hierzulande nicht so eine große Rolle.

„Wir sind doch alle Geschwister“, klagt eine alte Frau mit Kopftuch und schaut mit entsetztem Blick auf die Titelseite einer türkischen Zeitung. Im vollen Warteraum eines türkischen Arztes in Gelsenkirchen wird es plötzlich ganz still. Es scheint, als wolle keiner so recht über die andauernden Proteste in der Türkei sprechen. Daheim sind die Fronten klar. Regierungsgegner demonstrieren, werden von der Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Knüppeln bekämpft. Hier in Deutschland verhält es sich bisweilen anders.

Zwar haben auch hier die unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Strömungen ihre eigenen Heimat- und Kulturvereine, doch ist die heterogene türkische Community in Deutschland über die Jahrzehnte weiter zusammengerückt als die plurale Gesellschaft in der Türkei. Konflikte zwischen den vielen verschiedenen Lagern spielen hier nicht so eine große Rolle. Die gemeinsamen Probleme und Herausforderungen der Migranten, die sie in Deutschland erlebten, haben zusammengeschweißt.

Emotionen werden herausgehalten

„Niemand will seinen Nachbarn verletzen“, sagt Mehmet Korkut, Taxifahrer aus Essen. In der Warteschleife vor dem Flughafen Düsseldorf diskutieren er und seine türkeistämmigen Kollegen über die Proteste. Emotionen werden dabei herausgehalten. Einig sind sich die Taxifahrer, dass die Polizei zu hart gegen die Demonstranten vorgeht. Dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen und es keine weiteren Verletzten oder Toten mehr geben darf.

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Als das Thema immer weiter vertieft wird, es um Premierminister Erdogan geht, darum, seine Politik zu bewerten, wird es plötzlich unruhig. Für einen kurzen Augenblick scheinen die Emotionen doch überhand zu gewinnen. Einer der Taxifahrer spürt, dass das Klima sich verändert. Er scherzt: „Wir fliegen alle nach Istanbul, dann könnt ihr für Erdogan demonstrieren und wir gegen ihn, und der Verlierer gibt später einen teuren Flughafen-Kaffee aus.“ Gelächter. Die Gemüter beruhigen sich. Das Thema wird gewechselt. Jetzt geht es um die Flutkatastrophe im Osten und Süden in ihrer neuen Heimat. „Wir sollten sehen, dass wir unter den Kollegen ein paar Scheine sammeln und spenden“, sagt ein junger Taxifahrer. Seine Kollegen nicken und warten weiter auf Kundschaft.

Türkische Jugendliche befassen sich plötzlich mit der Heimat ihrer Eltern

„Ich habe viele Freunde, die in der Türkei wohnen und in Istanbul studieren. Was sie mir berichten, hat mich berührt“, sagt Deniz Bulan. Deshalb sammelt er Informationen, übersetzt sie und stellt sie ins Internet. Er ist einer von zahlreichen Jugendlichen mit türkischen Wurzeln in Deutschland, die sich seit Tagen intensiv mit den Unruhen in der Türkei befassen. Bulan hatte sich bislang kaum mit der Heimat seiner Eltern befasst. Für ein Gespräch mit dieser Zeitung hat er sich als einer von wenigen auch fotografieren lassen. Viele kritisieren Erdogan aufs Schärfste. Ihre Namen und Fotos wollen sie aber nicht in der Zeitung wissen. „Glauben Sie mir, die Schergen von Erdogan beobachten auch die deutsche Presse“, sagt ein älterer Mann in der Essener Innenstadt.

Enes Yavuz (24) hat keine Probleme damit, offen über die Ereignisse in der Türkei zu reden: „Es wird alles ein wenig übertrieben dargestellt. Zu Beginn der Proteste ist die Polizei zu hart vorgegangen, aber mittlerweile hat sich die Lage geändert. Die Staatsbeamten schützen sich und Unbeteiligte doch nur“, sagt der Essener. Der 23-jährige Erkan Usta teilt die Meinung seines Freundes. „Mit gegenseitigem Respekt und demokratischer Meinungsäußerung hat das doch nichts zu tun“, betonen sie.

Proteste in der Türkei

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