München. Geldstreit im NSU-Prozess: Weil das Gericht den Zschäpe-Anwälten im Voraus zu wenig für ihre Verteidigung zugestanden habe, reichten diese am Dienstag Anträge wegen Befangenheit ein. 77.000 Euro wollte einer von ihnen - und bekam 5000. Der Prozess wurde bis Donnerstag unterbrochen.

Eigentlich war diese Verhandlungswoche des NSU-Prozesses straff durchgeplant. Immerhin 20 Zeugen hatte das Oberlandesgericht für die drei Prozesstage nach München geladen. Es sollte vor allem um die Morde an Mehmet Turgut und Mehmet Kubasik gehen. Beide wurden mutmaßlich von Mitgliedern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" in den Jahren 2004 und 2006 erschossen.

Doch jetzt werden die wichtigsten Zeugen wieder umgeladen – darunter die Tochter und die Witwe von Kubasik. Auch andere Angehörigen der Opfers reisten umsonst nach München an. Das Gericht vertagte am gestrigen Abend die Verhandlung auf Donnerstag. Der für Mittwoch geplante Prozesstag wurde komplett gestrichen.

Richter hielten die Verteidigung finanziell kurz

Auch am Dienstag kam die Verhandlung nicht voran. Statt Zeugenvernehmungen gab es ausschließlich Debatten über zwei Befangenheitsanträge der Hauptangeklagten Beate Zschäpe gegen den 6. Strafsenat und eine stetige Abfolge von Unterbrechungen. Die Vorwürfe: Die Richter hielten die Verteidigung finanziell kurz, betrieben eine "evidente Vorverurteilung" und sagten im Übrigen die Unwahrheit.

Bereits am Montag hatte Zschäpe über ihre drei Anwälte ein sogenanntes Ablehnungsgesuch eingereicht. In dem 18-seitigen Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, bezieht sie sich auf einen Streit ihres Verteidigers Wolfgang Stahl mit dem Gericht, der sich diese Woche offenkundig aus Protest von dem Prozess abgemeldet hat.

Zschäpe-Anwalt wollte im Voraus 77.000 Euro

Der Anwalt, der für seine Arbeit vom Staat bezahlt wird, hatte einen Antrag auf einen pauschalen Abschlag für die Vorbereitung des Prozesses gestellt. Die von ihm für 756 Arbeitsstunden veranschlagte Summe: 77.000 Euro. Doch der im 6. Senat für Kostenfragen zuständige Richter Konstantin Kuchenbauer lehnte diese Höhe ab – und genehmigte nur 5000 Euro.

Stahl und seine beiden Kollegen Anja Sturm und Wolfgang Heer betrachten dies als Behinderung ihrer Arbeit. "De facto" führe der geringe Vorschuss den Zweck der Pflichtverteidigung der Mandantin "ad absurdum", heißt es in dem Schreiben. Ein "ordnungsgemäßer Beistand" werde so erschwert. Zudem sehen die Anwälte angesichts der niedrigen Zahlung eine berufliche "Existenzgefährdung" für sich selbst.

Schreiben des Richters interpretieren sie als Vorverurteilung

Der zweite Vorwurf der Verteidigung betrifft den Umgang mit Zschäpe selbst. So räumte das Gericht in seiner Begründung des Kostenbeschlusses unter anderem ein, dass der Nachweis der Mittäterschaft Zschäpes bei der NSU-Mordserie schwierig sei. Wörtlich sprach Richter Kuchenbauer von "tatsächlichen Problemen des Tatnachweises".

Bilder zum NSU-Prozess

Der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU hat begonnen.
Der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU hat begonnen. © REUTERS
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wird wieder dem Richter vorgeführt.
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wird wieder dem Richter vorgeführt. © TA
Mit Zschäpe stehen vier mutmaßliche Helfer der Terrorzelle vor Gericht.
Mit Zschäpe stehen vier mutmaßliche Helfer der Terrorzelle vor Gericht. © REUTERS
Bevor der Prozess fortgesetzt wird, spricht Zschäpe mit ihrem Anwalt Wolfgang Heer.
Bevor der Prozess fortgesetzt wird, spricht Zschäpe mit ihrem Anwalt Wolfgang Heer. © REUTERS
Die Anwälte der Ermordeten werfen den Verteidigern der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vor, den Prozess zu verschleppen.
Die Anwälte der Ermordeten werfen den Verteidigern der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vor, den Prozess zu verschleppen. © REUTERS
Der erste Prozesstag gegen die rechte Terrorgruppe NSU: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ....
Der erste Prozesstag gegen die rechte Terrorgruppe NSU: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe .... © REUTERS
.... betrat ohne Handschellen den Gerichtssaal. Ihr wird ...
.... betrat ohne Handschellen den Gerichtssaal. Ihr wird ... © REUTERS
... die Mittäterschaft an den Morden und Anschlägen der rechtsradikalen Untergrundgruppe vorgworfen. Die beiden mutmaßlichen anderen Mittäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begingen  vor ihrer Verhaftung Selbstmord.
... die Mittäterschaft an den Morden und Anschlägen der rechtsradikalen Untergrundgruppe vorgworfen. Die beiden mutmaßlichen anderen Mittäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begingen vor ihrer Verhaftung Selbstmord. © dpa
Mitangeklagt sind vier mutmaßliche Helfer der Terrorgruppe wie André E., Holger G., Carsten S., der die Tatwaffe besorgt haben soll, und der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben.
Mitangeklagt sind vier mutmaßliche Helfer der Terrorgruppe wie André E., Holger G., Carsten S., der die Tatwaffe besorgt haben soll, und der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. © Getty Images
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Beate Zschäpe mit ihren Anwälten Anja Sturm (r.), Wolfgang Heer and Wolfgang Stahl (l.).
Beate Zschäpe mit ihren Anwälten Anja Sturm (r.), Wolfgang Heer and Wolfgang Stahl (l.). © REUTERS
Die Sicherheitsmaßnahmen rund um den Prozess sind enorm. Das Verfahren gilt als größter Terroristenprozess seit der juristischen Aufarbeitung der linksradikalen RAF.
Die Sicherheitsmaßnahmen rund um den Prozess sind enorm. Das Verfahren gilt als größter Terroristenprozess seit der juristischen Aufarbeitung der linksradikalen RAF. © Getty Images
Hunderte Journalisten aus der ganzen Welt beobachten das verfahren. Im Gerichtssaal selbst ...
Hunderte Journalisten aus der ganzen Welt beobachten das verfahren. Im Gerichtssaal selbst ... © AFP
... sind nur 50 Plätze für Presse vertreter reserviert. Das Verfahren zur Vergabe der Plätze hatte für Proteste gesorgt - und musste nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes wiederholt werden.
... sind nur 50 Plätze für Presse vertreter reserviert. Das Verfahren zur Vergabe der Plätze hatte für Proteste gesorgt - und musste nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes wiederholt werden. © dpa
Vor dem Prozessgebäude kam es zum Teil zu ...
Vor dem Prozessgebäude kam es zum Teil zu ... © dpa
... tumulartigen Szenen und Demonstrationen gegen rechte Gewalt.
... tumulartigen Szenen und Demonstrationen gegen rechte Gewalt. © AFP
Eine junge, türkischstämmige Frau versucht gewaltsam in die Bannmeile vor dem Gericht einzudringen und wird von Polizisten abgeführt.
Eine junge, türkischstämmige Frau versucht gewaltsam in die Bannmeile vor dem Gericht einzudringen und wird von Polizisten abgeführt. © dpa
Adile Simsek (L), Witwe des von der NSU ermordeten Enver Simsek mit ihrer Rechtsanwältin - die Hinterbliebenen der Terroropfer sind als Nebenkläger vor Gericht vertreten.
Adile Simsek (L), Witwe des von der NSU ermordeten Enver Simsek mit ihrer Rechtsanwältin - die Hinterbliebenen der Terroropfer sind als Nebenkläger vor Gericht vertreten. © REUTERS
Die Anwälte von Beate Zschäpe auf dem Weg ins Gerichtsgebäude:  Wolfgang Stahl, Anja Sturm and Wofgang Heer (von links).
Die Anwälte von Beate Zschäpe auf dem Weg ins Gerichtsgebäude: Wolfgang Stahl, Anja Sturm and Wofgang Heer (von links). © AFP
Die Angeklagte Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten kommen in einem Fahrzeugkonvoi zum Gericht in München.
Die Angeklagte Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten kommen in einem Fahrzeugkonvoi zum Gericht in München. © dpa
Die Angeklagten auf dem Weg ins Gerichtsgebäude.
Die Angeklagten auf dem Weg ins Gerichtsgebäude. © Getty Images
Die Angeklagten auf dem Weg ins Gerichtsgebäude
Die Angeklagten auf dem Weg ins Gerichtsgebäude © REUTERS
Proteste gegen rechtsradikale Gewalt vor dem Prozess.
Proteste gegen rechtsradikale Gewalt vor dem Prozess. © REUTERS
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Die Verteidiger interpretieren den Begriff "Tatnachweis" als Vorverurteilung ihrer Mandantin, da damit die Tat an sich als gegeben vorausgesetzt werde. Zschäpes Schuld, argumentieren sie, stehe offenkundig für das Gericht schon fest – weshalb das Verfahren noch ganz neu aufgerollt werden müsse.

Unorganisierter Eindruck am Oberlandesgericht

Das Oberlandesgericht München vermittelte gestern einen unorganisierten Eindruck. Obwohl das Schreiben Zschäpes bereits am Montagnachmittag bei Gericht einging, war außer den Richtern und der Verteidigung der Hauptangeklagten niemand im Saal informiert. Dennoch verlangte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl von den Prozessbeteiligten eine Stellungnahme dazu, ob die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung über die Befangenheit vorläufig fortgesetzt werden soll.

Während sich die Bundesanwaltschaft und mehrere Nebenklage-Vertreter für eine Fortsetzung aussprachen, machten andere Opferanwälte und Verteidiger geltend, dass sie erst einmal jeder über den Inhalt des Gesuches informiert werden müssten. Götzl unterbrach daraufhin die Hauptverhandlung bis zum Mittag. Bis dahin sollen die Kopien des Befangenheitsantrages allen Beteiligten vorliegen.

Anja Sturm bezichtigt Richter der Lüge

Doch auch am Nachmittag wurde die Verhandlung mehrfach vertagt. Gegen 16 Uhr verlas Anwältin Anja Sturm den zweiten Antrag, in dem sie Mitglieder des Strafsenats der Lüge bezichtigte. Richter Kuchenbauer habe nämlich ihrem Kollegen Stahl persönlich mitgeteilt, dass der gesamte Senat über den Vorschuss entscheide – weshalb Zschäpe in ihrem ersten Antrag das gesamte Gericht für befangen erklärt habe. Wenn nun aber alle Richter in dienstlichen Erklärungen behaupteten, dass allein Kuchenbauer entscheiden habe, müssten zumindest mehrere Richter die Unwahrheit sagen. Deshalb der zusätzliche Befangenheitsantrag.

Nach einer erneuten Unterbrechung verkündete der Vorsitzende Richter die Entscheidung, den Prozess bis Donnerstag zu unterbrechen. Laut Strafprozessordnung muss bis dahin ein anderer Senat des Oberlandesgerichts über die Gesuche von Zschäpe entscheiden. Bereits zu Beginn des NSU-Prozesses im Frühjahr hatte das Oberlandesgericht mehrere Befangenheitsanträge der Verteidigung abgelehnt.