Berlin. . Mit Materialschlacht, Plakaten und Internetaktionen mobilisieren die Parteien die Wähler wie noch nie. Auch Nachtschwärmer werden nicht verschont. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück macht auch am Sonntag noch Wahlkampf. Angela Merkel hat noch zwölf Großkundgebungen vor sich.

Wenn sie pünktlich war, hat die „Linie 150“ Mittwochnacht um ein Uhr in Essen gehalten. Kurzer Stopp an der Zeche Zollverein, Kamera raus, Foto ins Facebook, weiter geht’s. Erst Isenbruch, dann Düsseldorf – zum „Canvassing“. Kann was? Man könnte es auch Kundenfang nennen. Oder Stimmenwerbung. Oder Wahlkampf.

Das klänge bloß nicht hip genug, es würde nicht zum „teAM Deutschland“ passen. Canvassing ist ein englischer Fachausdruck. Er besagt, dass die Parteien systematisch ihre Anhänger abklappern. „Linie 150“ ist wiederum ein großer schwarzer Bus der CDU.

Wie ein Stapellauf

Unübersehbar prangt darauf Angela Merkels Bild. Schon am Montag hat die leibhaftige Kanzlerin in Berlin den Bus zur Endspurt-Tour verabschiedet. Großer Andrang um die Aktivisten in ihren orangefarbenen T-Shirts. Wie ein Stapellauf. 150 Städte wird er ansteuern. Jedes Mal steht für das „teAM Deutschland“ Canvassing an. Zwischendurch steigen „Promis“ wie Generalsekretär Hermann Gröhe zu und geben via Twitter Interviews. Erst am Samstag wird „Linie 150“ vor der CDU-Zentrale wieder zurück erwartet.

Schon immer haben die Parteien zum Endspurt angezogen. Aber diesmal erreicht die Dauerbeschallung neue Dimensionen. Das Gegenstück zur CDU und ihrer „Linie 150“ ist das 72-Stunden-Finale, das die SPD an diesem Donnerstag startet. Die „Tür-zu-Tür-Besuche“, bisher 4,1 Millionen, werden verstärkt.

Sogar nachts auf Wahlfang

Nicht mal der Sonntag ist heilig. SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück gibt am Morgen seine Stimme ab. Dann eilt er in die Godesberger Stadthalle – Wahlkampf für den örtlichen SPD-Bewerber. In Leipzig geht die Partei nachts auf Wahlfang, in Nürnberg am Sonntag bis vier Uhr morgens, in Hamburg-Eimsbüttel lädt sie zu einer Kneipentour ein. Kein Partygänger, kein Nachtschwärmer wird verschont.

Bundestagswahl 2013Die SPD verdoppelt die Anzahl ihrer Großflächenplakate von 7 000 auf fast 15 000. In Bayern klebte die CSU 2000 Plakate neu. Dabei brachte der Freistaat gerade eine Landtagswahl hinter sich. Wie Steinbrück hängt sich auch Merkel voll rein. Sie macht zwölf Großkundgebungen, am Samstag gibt sie nach der Schlussveranstaltung in Berlin eine Zugabe in Stralsund.

300.000 Kugelschreiber, 1,6 Millionen Postkarten

Union und SPD machen den Sieger der Materialschlacht untereinander aus. Die Sozialdemokraten geben für die Kampagne 23 Millionen Euro und die CDU 20 Millionen Euro aus, den Löwenanteil in dieser Woche. Ein paar Zahlen der SPD: 1,6 Millionen Postkarten, 300.000 Kugelschreiber und Türanhänger mit der Aufschrift „Wählen gehen“ werden verteilt.

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Das Internet spielt eine nie zuvor gekannte Rolle. So ist die „Linie 150“ online und der SPD-Schlussspurt als Live-Stream zu sehen. Die Liberalen verschicken an vier Millionen Haushalte Postkarten und rufen über ihre Internetseite zu Last-Minute-Aktionen auf. Die großen Plakate sollen mit so „Störern“ beklebt werden, die dazu aufrufen, der FDP die Zweitstimme zu geben.

72 Stunden vor der Wahl starten die Grünen eine „3-Tage-wach-Aktion“. Rund um die Uhr beantworten sie im Internet und auf dem Berliner Breitscheidplatz Fragen. Winfried Kretschmann, Claudia Roth oder Jürgen Trittin werden vor Ort sein. Die Linke will in den letzten Tagen den Haustürwahlkampf verstärken mit der Aktion: „Sprich’ hundert Leute an“.

„Wahlbeteiligung entscheidet“

Die Wahlkampfmanager hatten ein Schlüsselerlebnis. Das war die Wahl in Niedersachsen. Damals entschieden sich 30 Prozent der Wähler in den letzten fünf Tagen. Gerade die SPD setzt nun ihre Hoffnungen auf die letzten Meter. Zum einen legte Steinbrück einen Stolperstart hin; er hat was aufzuholen.

Zum anderen ist die Wahlbeteiligung entscheidend. Vor vier Jahren blieben viele Anhänger noch zu Hause. Das soll sich nicht wiederholen. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist sich sicher: „Gehen weniger als 70 Prozent zur Wahl. gewinnt Frau Merkel. Gehen 75 Prozent hin, gewinnt die SPD.“