Washington. US-Präsident Obama hält sich in seiner Fernsehansprache einen Militärschlag gegen das Assad-Regime in Syrien offen - trotz Aussicht auf internationale Kontrolle der Chemiewaffen. Die Diplomatie habe zunächst Vorrang, die Abstimmungen im Kongress über einen Waffengang sind verschoben worden.
Begleitet von Demonstrationen einiger Dutzend Kriegsgegner vor dem Weißen Haus hat US-Präsident Barack Obama am Vorabend der Gedenkfeiern der Terroranschläge vom 11. September 2001 das amerikanische Volk gebeten, seinen Kurs im syrischen Bürgerkrieg mitzutragen. Das heißt: bis auf weiteres einer durch Russland angestoßenen friedlichen Lösung zur Eindämmung der syrischen Chemiewaffen den Vorzug zu geben - aber die Androhung einer militärischen Strafaktion unverändert aufrecht zu erhalten, falls die Diplomatie scheitern sollte.
In einer 15-minütigen Fernsehansprache beschuldigte Obama in klaren Worten ohne viel Emotion das Assad-Regime des Chemiewaffen-Einsatzes gegen das eigene Volk. Dabei seien am 21. August "über 1000" Menschen zum Teil "qualvoll" gestorben, darunter viele Kinder. Regierungs-Streitkräfte hätten den C-Waffeneinsatz tagelang vorbereitet. Es seien vorher gezielt Gasmasken an Regierungs-Soldaten verteilt worden, dann seien Raketen mit Sarin in elf Stadtviertel gefeuert worden, aus denen Aufständische vertrieben werden sollten.
Später hätten Assad-Truppen die Gebiete nachträglich konventionell bombardiert. Tausende Videos und Handy-Fotos in den sozialen Medien, deren Anblick laut Obama "krank macht", sowie Gewebe- und Bodenproben belegten eindeutig die Folgen und die Urheberschaft des Giftgaseinsatzes, der ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" darstelle.
"Wir sollten keinen Diktator mit Gewalt entfernen"
"Die USA sind keine Weltpolizei", sagte Obama, "aber die Ideale, Prinzipien und die nationale Sicherheit der USA stehen in Syrien auf dem Spiel". Reagiere Amerika, das seit 70 Jahren "Anker der globalen Sicherheit" sei, nicht auf den Verstoß gegen die weltweit geltende Chemiewaffen-Konvention, bestehe die Gefahr, dass Assad erneut Nervengas einsetzt und dabei Nachbarstaaten wie Jordanien oder Israel gefährde. Auch könnten sich andere Länder, wie etwa der Iran, ermutigt fühlen könnten, in Zukunft ebenfalls internationale Normen zu ignorieren. Obama wörtlich: "Wenn wir mit bescheidenem Einsatz und Risiko verhindern können, dass Kinder vergast werden, sollten wir handeln."
Obama betonte ausdrücklich, dass es ihm nicht um einen Regime-Wechsel in Damaskus gehen. "Wir können nicht die Bürgerkriege anderer Völker durch Waffen lösen", sagt er, "wir sollten keinen Diktator mit Gewalt entfernen."
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Streitkräfte im Mittelmeer bleiben in höchster Bereitschaft
Vorläufig will Obama einer diplomatischen Lösung des Konflikts Zeit geben. Wie viel Zeit genau, sagte er ausdrücklich nicht. Daher habe er den Kongress gebeten, für diese Woche geplante Abstimmungen über einen Militärschlag gegen das Assad-Regime zu verschieben. Um den Druck auf den Diktator aufrecht zu erhalten, habe er die zum Teil im Mittelmeer liegenden Streitkräfte jedoch angewiesen, in höchster Bereitschaft zu bleiben. Damit wäre jederzeit eine Militäraktion möglich.
Obama betonte mehrfach, dass Amerika kriegsmüde und nach den kostspieligen Einsätzen in Irak und Afghanistan ein erneuter US-Militäreinsatz alles andere als populär sei. Beleg: Nach neuen Umfragen des Pew-Centers sind inzwischen 63 Prozent der Amerikaner gegen eine US-Intervention in Syrien; Tendenz steigend. Sollte es dennoch zu einer Aktion kommen, so Obama, werde es sich um eine andere Qualität und Dimension als etwa in Afghanistan handeln: kein Einsatz von Bodentruppen, kein offenes Ende, keinen längeren Luftkrieg.
Obama droht, das US-Militär mache nicht nur Nadelstiche
Zweck eines Militärschlags wäre ausschließlich, Assad von einem erneuten Einsatz von Chemiewaffen abzuhalten und die dazu nötigen technischen Fähigkeiten des Regimes hinreichend zu zerstören.
Spekulationen, ein symbolischer Angriff werde in der Sache nicht viel ausrichten, trat Obama so entgegen: Niemand, erst recht nicht Assad, solle denken, dass ein Angriff harmlos verlaufen werde. "Das US-Militär macht keine Nadelstiche. Selbst ein eingeschränkter Schlag sendet eine Botschaft, die keine andere Nation liefern kann." Umgekehrt bestehe kein nennenswertes Risiko: Das syrische Regime hat keine Mittel, das US-Militär ernsthaft zu bedrohen, sagte der Oberbefehlshaber.
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UN-Resolution mit China und Russland erarbeiten
Ob der russische Vorstoß für eine schnelle internationale Kontrolle des syrischen Chemiewaffenarsenals samt späterer Vernichtung Erfolg haben werde, ließ Obama ausdrücklich offen. Die Initiative habe "das Potenzial, die Bedrohung durch chemische Waffen ohne den Einsatz militärischer Gewalt zu beseitigen". Allerdings sei es noch zu früh für eine abschließende Beurteilung. Erst müsse gemeinsam mit Russland und China eine tragfähige UN-Resolution erarbeitet werden. Über Details sollen am morgigen Donnerstag US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow in Genf sprechen.
Obama bekräftigte, er werde weiter die Unterstützung zusätzlicher Staaten suchen - bislang sind es 32 -, die wie die USA eindeutig Assad als Urheber der Giftgasanschläge vom 21. August identifiziert haben und Konsequenzen fordern. Russland hatte dagegen bis zuletzt behauptet, Assad sei unschuldig.
Obamas Aufgabe war am Dienstag erschwert worden
Obamas Aufgabenstellung - die Amerikaner davon zu überzeugen, dass Syriens Chemiewaffen Amerikas Sicherheit bedrohen und dass ein limitierter Militärschlag die Gefahr reduzieren kann, wenn eine Verhandlungslösung nicht gelingt - war kurzfristig im Lauf des Dienstags erschwert worden.
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Frankreichs früher Vorstoß für eine erste Resolution im UN-Sicherheitsrat, die militärische Sanktionen vorsieht für den Fall, dass Damaskus seine gegebenen Versprechen nicht halte sollte, wurde von Moskaus Außenminister Lawrow als "unannehmbar" bezeichnet.
Putin fordert, USA müssten auf Gewalt verzichten
Später legte Russlands Präsident Putin nach und forderte, Amerika müsse sich vorab zu einem Gewaltverzicht in Syrien verpflichten. Andernfalls sei dem Regime in Damaskus nicht zuzumuten, sich von seinen Giftgasbeständen zu trennen. Im Gefolge dieser Irritationen wurde eine für den Abend geplante Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates abgesagt.
Zuvor hatte Syriens Außenminister überraschend bestätigt, dass sich sein Land allen von Russland aufgestellten Forderungen in punkto Giftgas-Beseitigung beugen werde. In US-Regierungskreisen stieß das auf Stirnrunzeln. Noch vor wenigen Tagen hatte Präsident Assad im US-Fernsehen nicht einmal bestätigen wollen, dass sein Land Chemiewaffen besitzt.