Washington/Moskau. Gibt es doch eine politische Lösung im Konflikt um Syriens Giftgas? Moskau und Damaskus wollen zeigen, wie man die Chemiewaffen vernichten kann. US-Präsident Obama macht Druck auf den Sicherheitsrat. Vom Bürgerkrieg selbst ist derzeit keine Rede mehr.
Eine für Dienstag geplante Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zu Syrien ist überraschend wieder abgesagt worden. Das bestätigte ein Sprecher der australischen UN-Vertretung, deren Botschafter dem Gremium derzeit vorsitzt, der Nachrichtenagentur dpa in New York. Der australische UN-Botschafter Gary Quinlan bestätigte die Absage auch per Kurznachrichtendienst Twitter. Die Bitte um ein Treffen sei zurückgezogen worden, deswegen werde das Treffen auch nicht stattfinden, hieß es dort. Die Sondersitzung war erst am Dienstagmittag (Ortszeit) anberaumt worden. Sie hätte um 22.00 Uhr MESZ stattfinden sollen.
Hinter den Kulissen werde aber eifrig weiter zum Thema Syrien beraten, sagte der Sprecher der australischen UN-Vertretung. Ob die Sitzung zu einem späteren Zeitpunkt doch noch stattfinden könne - und wenn ja, wann - sei aber derzeit unklar. Frankreich hatte am Dienstag angekündigt, eine neue Syrien-Resolution in den Sicherheitsrat einbringen zu wollen. Ob diese laut Plan schon in der nun wieder abgesagten Sitzung hätte besprochen werden sollen, blieb unklar. "Es könnte sein, dass einige Menschen Papiere vorbereitet haben", hieß es vom australischen UN-Botschafter Quinlan im Vorfeld nur. Für alle weiteren Spekulationen sei es zu früh.
Syrien will der Chemiewaffenkonvention beitreten
Zuvor hatte es Anzeichen für eine diplomatische Lösung des Konfliktes gegeben: Der Vorschlag Moskaus, der auf eine Kontrolle und spätere Vernichtung der syrischen Chemiewaffen abzielt, war am Dienstag international auf Zustimmung gestoßen. Syriens Außenminister Walid al-Muallim, der den russischen Vorschlag zunächst nur begrüßt hatte, stimmte nach Berichten russischer Medien am Dienstag einer Kontrolle der syrischen Chemiewaffen zu.
Am Abend sagte Syriens Außenminister Walid al-Muallim nach Angaben der Agentur Interfax , das Land werde der Chemiewaffenkonvention beitreten. Syrien werde der internationalen Gemeinschaft Zugang zu allen Depots verschaffen.
US-Präsident Barack Obama will, dass der UN-Sicherheitsrat den russischen Vorschlag zur Kontrolle über syrische Chemiewaffen prüft. Wann das sein wird, ist nach der überraschenden Absage der Sondersitzung noch unklar.
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Obama telefonierte nach Angaben aus dem Weißen Haus am Dienstag mit dem französischen Staatschef François Hollande und dem britischen Premierminister David Cameron. Alle drei hätten vereinbart, zusammen mit Russland und China zu prüfen, wie die Ernsthaftigkeit des Vorschlages und die Möglichkeiten zu prüfen, ihn in die Tat umzusetzen. Obama selbst wollte sich am Abend (Mittwochmorgen 3 Uhr MESZ) in einer Fernsehrede an die Nation wenden.
Obama: "Wir wollen keine Hinhalte-Taktik"
In Interviews mit mehreren US-Sendern sprach Obama von einer "potenziell positiven Entwicklung" und einem möglichen Durchbruch. Zugleich betonte der Präsident, der syrische Machthaber Baschar al-Assad müsse zeigen, dass er es ernst meine. "Wir wollen keine Hinhalte-Taktik." Ähnlich äußerten sich die Bundesregierung und mehrere europäische Länder wie Frankreich und Großbritannien.
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"Es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass Diplomatie und Politik eine Chance bekommen. Den müssen wir nutzen", sagte Kanzlerin Angela Merkel bei einem Wahlkampfauftritt am Dienstag in Rust bei Freiburg. Ein Militärschlag sei zwar nicht vom Tisch, er könne möglicherweise aber noch verhindert werden. Deutschland werde sich politisch und diplomatisch bemühen, den Konflikt zu entschärfen. Syrien müsse jedoch "sehr schnell" handeln. "Es müssen den Aussagen jetzt Taten folgen", sagte Merkel. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) drang darauf, nun schnell konkrete Schritte folgen zu lassen. "Wir sind nicht naiv, für uns zählen nur Taten."
Der französische Außenminister Laurent Fabius kündigte an, Paris werde dem UN-Sicherheitsrat noch am Dienstag den Entwurf für eine neue Syrien-Resolution vorlegen. Der Text werde den russischen Vorschlag aufgreifen, für den Fall der Nichtbeachtung aber auch Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen festschreiben. Auch China, das als eine der fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat bisher zusammen mit Russland ein härteres Vorgehen gegen das Assad-Regime verhindert hatte, signalisierte Zustimmung zum Vorschlag Moskaus.
Russland will mit Syrien Kontroll-Plan erarbeiten
Russland will nach Angaben von Außenminister Sergej Lawrow gemeinsam mit Damaskus einen Plan zur Chemiewaffenkontrolle in Syrien ausarbeiten und diesen in Kürze der internationalen Gemeinschaft vorstellen. "Wir bereiten konkrete Vorschläge in der Form eines Plans vor", sagte Lawrow.
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Die syrische Opposition reagierte ablehnend. Der Vorschlag Russlands biete Assad nur eine neue Möglichkeit, Zeit zu schinden und noch mehr Menschen zu töten. Kriegsverbrechen müssten bestraft werden. "Es reicht nicht aus, wenn der Verbrecher einfach nur die Tatwaffe übergibt", erklärte die Nationale Syrische Allianz.
Auch die arabischen Golfstaaten zeigten sich unzufrieden mit dem russischen Vorstoß. Die Außenminister der Öl-Monarchien forderten am Dienstag in Dschidda "abschreckende Maßnahmen" gegen das syrische Regime. Der bahrainische Minister, Scheich Chalid bin Ahmed Al-Chalifa, sagte: "Durch den Vorschlag Russlands wird das Blutvergießen nicht beendet."
US-Senat verschiebt für Mittwoch geplante Probeabstimmung über Militärschlag
Die Europäische Union erklärte sich grundsätzlich bereit, bei der möglichen Kontrolle und Beseitigung syrischer Chemiewaffen mitzuwirken. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte am Dienstag in Brüssel, es müssten rasch Vorschläge für die sichere Lagerung, Erfassung und Zerstörung der Chemiewaffen gemacht werden. "Die EU ist bereit, jeden Vorschlag und dessen Umsetzung zu unterstützen."
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Der US-Senat verschob eine für diesen Mittwoch angesetzte Probeabstimmung über einen möglichen Militärschlag. Er wolle dem Präsidenten mehr Zeit geben, das Volk über die Vorgänge zu informieren, sagte der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid. Obama hatte zuvor eingeräumt, er sei derzeit nicht zuversichtlich, im Kongress die Mehrheit für einen Angriff gegen Syrien zu erhalten.
Durch die Debatte über den Einsatz von Giftgas in Syrien ist der eigentliche Bürgerkrieg mit mehr als 100.000 Toten international aus dem Fokus gerückt.
Die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung des Syrien-Konflikts beflügelte am Dienstag auch den deutschen Aktienmarkt. Der Dax übersprang bis zum Nachmittag die Marke von 8400 Zählern und stand zuletzt mit 1,87 Prozent im Plus bei 8431 Punkten. "Mit dem hinausgezögerten, wenn nicht sogar abgesagten Militärschlag auf Syrien verliert ein kaum einzuschätzendes geopolitisches Risiko an Bedeutung", sagte Marktexperte Robert Halver von der Baader Bank. (dpa)