St. Petersburg/New York. Als einziger europäischer G20-Staat hat Deutschland eine Erklärung nicht unterzeichnet, in der eine entschlossene internationale Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen im syrischen Bürgerkrieg gefordert wird. Bundeskanzlerin Merkel drängt auf eine gemeinsame Haltung der Europäischen Union.
Der Syrien-Konflikt spaltet die Staatengemeinschaft: Beim G20-Gipfel in St. Petersburg konnte US-Präsident Barack Obama die übrigen Supermächte nicht von der Notwendigkeit eines militärischen Vorgehens gegen das Regime von Baschar al-Assad überzeugen. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte sogar eine weitere Unterstützung Syriens selbst für den Fall an, dass es einen Militärangriff durch die USA geben sollte.
Die USA streben nach der Ablehnung der UN-Vetomächte Russland und China nun einen Militärschlag gegen Syrien auch ohne UN-Mandat an. Während die übrigen europäischen G20-Mitglieder die US-Forderung nach scharfen Konsequenzen aus dem Chemiewaffen-Einsatz in Syrien stützten, unterzeichnete Deutschland als einziger EU-Staat eine entsprechende Solidaritätserklärung nicht.
Bundesregierung wünscht sich einheitliche Haltung in der EU
Die Bundesregierung begründete ihr Ausscheren aus der Syrien-Politik der europäischen G20-Mitgliedstaaten mit dem Wunsch nach einer gemeinsamen Haltung der Europäischen Union. Die Bundesregierung habe sich an der Erklärung nicht beteiligt, "weil ihr zuvorderst daran liegt, eine gemeinsame EU-Haltung zu erreichen, um die sich derzeit die EU-Außenminister bei ihrem informellen Treffen in Wilna bemühen", heißt es in einer am Freitagabend veröffentlichten Stellungnahme.
In Absprache mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, habe Bundeskanzlerin Angela Merkel deswegen eine Vorfestlegung vermieden.
Obama hatte auf Rückendeckung beim G20-Gipfel gehofft
Obama hatte gehofft, auf dem Gipfel der 20 führenden Industrie- und Schwellenstaaten (G20) Rückendeckung für einen Militärschlag gegen Syrien zu erhalten. Auf Obamas Seite stehen die Türkei und Frankreich.
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Viele Länder, darunter auch Deutschland, wollen sich hingegen nicht an einem Militärschlag beteiligen und setzen weiter auf eine politische Lösung. Neben Russland lehnte in St. Petersburg auch China eine Intervention erneut ab. Beide Länder haben als ständige Mitglieder ein Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat, von dem sie bereits mehrmals Gebrauch gemacht haben.
Obama sieht die syrische Führung hinter dem Giftgasangriff auf Zivilisten am 21. August mit Hunderten Toten. Die meisten der G20-Chefs teilten seine Meinung, sagte Obama. Putin vermutet syrische Rebellen hinter der Tat.
Begegnung zwischen Putin und Obama verlief kühl
Auch die direkte Begegnung zwischen Putin und Obama verlief kühl. Putin sagte später, in einem 20-minütigen persönlichen Austausch am Rande des Gipfels sei keiner der beiden Politiker von seiner Position abgerückt. Später sagte er auf die Frage, ob er Assad auch im Falle eines US-Angriffs beistehen werde: "Wir liefern ihnen Waffen und wir kooperieren wirtschaftlich." Russland werde seine derzeitige Unterstützung beibehalten.
Deutschland unterzeichnet Pro-USA-Erklärung nicht
Als einziger europäischer G20-Staat unterzeichnete Deutschland eine Erklärung nicht, in der eine entschlossene internationale Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen im syrischen Bürgerkrieg gefordert wird.
Die anderen europäischen Staaten Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien unterstützten dagegen die Erklärung. Darin heißt es, die Beweislage deute eindeutig auf die syrische Regierung als Verantwortliche für den Einsatz von Chemiewaffen am 21. August, bei dem nach US-Angaben fast 1500 Menschen getötet wurden.
Staaten "fordern eine starke internationale Antwort"
"Wir fordern eine starke internationale Antwort auf diese schwerwiegende Verletzung internationalen Rechts (...) die deutlich macht, dass derartige Gräueltaten sich nicht wiederholen können", heißt es in der Erklärung. "Diejenigen, die diese Verbrechen begangen haben, müssen zur Verantwortung gezogen werden."
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Die USA setzten in der Syrien-Krise nun nicht mehr auf eine Zusammenarbeit mit dem UN-Sicherheitsrat, sagte US-Botschafterin Samantha Power. Ihre Regierung werde sich in der Frage eines Militärschlags nicht um eine Zustimmung bemühen. Die Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahre zeigten, "dass es mit diesem Sicherheitsrat keinen praktikablen Weg nach vorne gibt", sagte die Diplomatin.
Abstimmung im US-Kongress frühestens kommende Woche
Russland warf sie vor, das UN-Gremium in Geiselhaft zu nehmen und seine internationalen Verpflichtungen nicht zu erfüllen. Der chinesische Präsident Xi Jinping sagte Obama der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge, eine politische Lösung sei der einzige Ausweg aus der Syrien-Krise. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte einen "politischen Prozess" an. Dafür habe es auf dem Gipfel eine breite Übereinstimmung gegeben.
Allerdings ist eine US-Intervention alles andere als besiegelt: Obama bemüht sich derzeit um die Zustimmung des Kongresses. Dort gibt es parteiübergreifend Vorbehalte. Obama kündigte für Dienstagabend eine Rede an das amerikanische Volk an. Eine Abstimmung kann frühestens ab der kommenden Woche stattfinden.
Im Falle einer Intervention könnten US-Einrichtungen in der Region Ziele von Vergeltungsangriffen werden. Das US-Außenministerium teilte mit, alle abkömmlichen Mitarbeiter aus der Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut abgezogen zu haben. Auch das US-Generalkonsulat im türkischen Adana sei angewiesen worden, das Personal zu verringern. (rtr/afp)