Washington. . US-Präsident Barack Obama zögert mit einem Angriff auf die Kräfte des syrischen Präsidenten Assad. Er will zuerst den Kongress anhören. Das kostet Zeit und Glaubwürdigkeit – und die Parlamentarier sind am Ende unberechenbar.

Es könnte der wichtigste Spaziergang seiner Präsidentschaft gewesen sein. Am Freitagabend gegen 19 Uhr, als alle Welt nur noch in Stunden rechnete, bevor in Damaskus die amerikanischen Raketen einschlagen würden, schnappte Barack Obama gemeinsam mit seinen wichtigsten Vertrauten im Park des Weißen Hauses etwas Luft. Nach seiner Rückkehr sah die Welt dramatisch anders aus.

Der Angriff auf den Giftgas-Sünder Assad – kurzerhand abgeblasen. Der mächtigste Politiker der Welt nahm abrupt den Gang aus der bereits heiß gelaufenen Kriegsmaschine. Obama sucht, obwohl ihn das Gesetz zum Alleingang ermächtigt, plötzlich den Schulterschluss mit dem Parlament. Was sind die Konsequenzen? Und wo liegen die Risiken? Die wichtigsten Fragen und erste Antworten.

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Was sind die Ursachen für Obamas unerwarteten Sinneswandel?

Vorab: Der Präsident ist davon überzeugt, dass Assads Giftgas-Tabubruch eine unmissverständliche Reaktion verlangt. Aber: Obama war nie „triggerhappy“, heißt: schnell mit dem Finger am Abzug. Er wurde Präsident, weil er Kriege beenden wollte. Nicht, um neue anzufangen.

Die Perspektive, ohne zumindest ersuchte Legitimation der Vereinten Nationen und ohne formale Rückendeckung des Kongresses Marschflugkörper auf militärische Stellungen Assads regnen zu lassen, hat Obama demütig und ängstlich werden lassen.

Hat Obama sich mit der Einschaltung des Parlaments aus der Sackgasse gelotst, in der er sich mit seiner „roten Linie“ manövriert hatte?

Es gibt eine offenkundige Schwachstelle: Wer am Mittag Gefahr in Verzug in Syrien wittert und mit Assad am liebsten sofort kurzen Prozess machen will, wirkt nur bedingt glaubwürdig, wenn es abends heißt: Raketen zur Strafe kann man auch noch in einem Monat abschießen.

Wird der Kongress Obama folgen?

Heute schwer zu sagen. Im demokratisch beherrschten Senat könnte Obama rechnerisch sogar pazifistische Anwandlungen von einigen Parteifreunden verkraften. Es gibt genügend „Falken“ auf Republikanerseite, die am Ende den Waffengang wohl absegnen werden. Völlig unübersichtlich sieht es dagegen im Repräsentantenhaus aus. Viele Republikaner stimmen hier aus Prinzip gegen alles, auf dem „Made by Obama“ steht. Selten war die Gelegenheit so günstig, Obama den politischen Blattschuss zu verpassen.

Kann Obama trotzdem eine Mehrheit hinter sich bringen?

Das hängt von der rhetorischen und faktischen Beweisführung ab. Und von der Lust der Gegner, Obama stürzen zu sehen. Das Verlangen, Assad abzustrafen, aber nicht stürzen zu wollen, ist der schwerste Mühlstein am Hals der Regierung. Ein eng begrenzter Einsatz, so die einflussreichen republikanischen Senatoren John McCain und Lindsey Graham, ist gemessen an der Realität nur als weiße Salbe.

Denn weder wird durch eine Kurz-Intervention das Chemiewaffen-Problem in Syrien zur Gänze gelöst. Noch wird die humanitäre Katastrophe im Bürgerkriegsland auch nur ansatzweise gelindert. Obamas dosiert geplante „Klassenkeile“ könnte Assads Vernichtungsfeldzug gegen sein Volk sogar zusätzlich befeuern.

Was, wenn der Kongress am Ende „No“ sagt?

Theoretisch könnte Obama auf Grundlage des „War Power Acts“ von 1973 trotzdem den Befehl zum Angriff geben. Praktisch wären ihm aber die Hände gebunden. Erst das Parlament befragen und dann dessen Meinung ignorieren – politische Todsünde.

Als Befürworter eines Militärschlags, der sich den Furor seines Außenminister John Kerry zu eigen gemacht hat („Assad ist ein Verbrecher und Mörder“), wäre Obama gescheitert. Die historische Niederlage könnte das vorzeitige Ende seiner Präsidentschaft bedeuten. Auch weil Assad nach diesem historischen Eiertanz fast zwangsläufig Auftrieb bekäme.

Wo liegen die Risiken des Abwartens?

In Assads Unberechenbarkeit. Der Despot hat jetzt noch mehr Zeit, Armee-Ziele in Wohngebiete zu verlegen, um den Blutzoll im Falle eines US-geführten Angriffs in die Höhe zu schrauben und die arabische Welt gegen Obama zu positionieren. Er kann außerdem das Bombardement auf Stellungen der Opposition ausdehnen und das Morden fortsetzen. Assad kann tödliche Fakten schaffen. Während der Westen einem Lehrbeispiel in Demokratie zu Krisenzeiten zuschaut.