Washington/Moskau. Die USA sehen einen Chemiewaffeneinsatz des Assad-Regimes als erwiesen an - doch Russland fordert Beweise. Die derzeit gegen Damaskus erhobenen Anschuldigungen seinen “absoluter Unfug“, sagte der russische Präsident Wladimir Putin. Nach der Ausreise der UN-Experten aus Syrien wächst die Wahrscheinlichkeit eines baldigen Militärschlags.
Die Lage um Syrien spitzt sich dramatisch zu: US-Präsident Barack Obama, der sich auf "klare und schlüssige" Beweise der amerikanischen Geheimdienste für Giftgaseinsätze des syrischen Regimes stützt, erwägt einen begrenzten Militärschlag. Kremlchef Wladimir Putin nennt die Anschuldigungen der USA "absoluten Unfug" und fordert Washington auf, die Chemiewaffen-Vorwürfe mit konkreten Beweisen zu belegen.
In Syrien greift nach der Abreise der UN-Chemiewaffenexperten die Furcht vor einem baldigen Militärschlag um sich. Zahlreiche Flüchtlinge überquerten am Samstag die Grenze zum Libanon - unter ihnen auch viele Unterstützer der Regierung von Präsident Baschar al-Assad.
Arabische Liga befasst sich am Sonntag mit Syrien
Die letzten UN-Chemiewaffenexperten trafen am Samstag nach ihrer Abreise aus Damaskus auf dem internationalen Flughafen der libanesischen Hauptstadt Beirut ein. Dort wartete nach Angaben des Auswärtigen Amtes ein von der Bundesregierung gechartertes Flugzeug auf das UN-Team, um die Experten samt gesammelter Proben nach Europa zu bringen. Solange sich die Delegation in Syrien aufhielt, galt ein Militärschlag als unwahrscheinlich.
Die Arabische Liga will bereits an diesem Sonntag in Kairo über den Syrien-Konflikt beraten. Ursprünglich war das Treffen der Außenminister für Dienstag geplant.
Obama sagte am Freitagabend im Weißen Haus in Washington, er habe noch keine endgültige Entscheidung über eine Militärintervention getroffen. "Wir denken an eine kurze, begrenzte Aktion, die nicht nur Syrien, sondern auch anderen Staaten zeigt, dass die internationale Gemeinschaft darauf besteht, dass die Normen im Bezug auf den Bann von Chemiewaffen eingehalten werden", sagte Obama. "Auf keinen Fall wollen wir eine Militäraktion mit Bodentruppen."
Putin will beim Gipfel auch über Syrien diskutieren
Der russische Präsident Putin forderte, die USA sollten ihre Giftgas-Beweise unverzüglich den UN-Inspekteuren und dem UN-Sicherheitsrat vorlegen. "Wenn sie keine vorzeigen, heißt das, sie haben keine", sagte Putin. Kein Land dürfe einen souveränen Staat auf der Grundlage abgehörter Telefongespräche angreifen, "die nichts belegen", unterstrich der Kremlchef.
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"Es entspricht doch keiner Logik, dass die syrische Armee Giftgas an einem Tag einsetzt, an dem UN-Beobachter ins Land kommen." Putin sprach sich zudem dafür aus, beim G20-Gipfel mit Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel in St. Petersburg am 5./6. September auch über Syrien zu diskutieren.
Die Bundesregierung hält die US-Angaben zu einem Giftgaseinsatz durch das syrische Regime für "plausibel", schließt einen Einsatz der Bundeswehr ohne internationales Mandat aber weiterhin kategorisch aus. Außenminister Guido Westerwelle sprach in der "Welt am Sonntag" von schwerwiegenden Argumenten Kerrys. "Sie weisen klar in Richtung des Assad-Regimes."
Frankreich ist weiter auf Seiten der USA
Kanzlerin Merkel sagte der "Augsburger Allgemeinen" (Samstag), es könne "ein Tabubruch wie der Einsatz von Giftgas mit Hunderten von Toten nicht ohne Folgen bleiben". Allerdings könne sich Deutschland nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen, der Nato oder der EU an Militäreinsätzen beteiligen: "Insofern stellt sich die Frage nach einer Beteiligung der Bundeswehr jetzt ohnehin nicht."
Nach dem Ausscheiden Großbritanniens kann Obama weiterhin auf die Unterstützung Frankreichs und seines Präsidenten François Hollande zählen. Nach einem Telefongespräch der beiden Präsidenten verlautete aus der Umgebung Hollandes: "Frankreich wird diese Verbrechen nicht ungestraft lassen und fühlt die gleiche Entschlossenheit aufseiten Obamas."
Das britische Unterhaus hatte eine Beteiligung an einer von den USA geführten Strafaktion gegen Syrien abgelehnt und damit Premierminister David Cameron zurückgepfiffen.
Früherer deutscher UN-Botschafter Gunther Pleuger ist skeptisch
Das syrische Regime wies die Vorwürfe der USA als haltlose Lügen zurück. Diese basierten auf erfundenen Berichten von Rebellen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf das Außenministerium. Als Zeichen der Solidarität mit dem syrischen Regime reiste eine Delegation des iranischen Parlaments nach Damaskus, wie die Nachrichtenagentur Isna meldete. Der Iran steht im Syrien-Konflikt auf der Seite Assads.
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Der ehemalige deutsche UN-Botschafter Gunther Pleuger forderte die USA auf, zunächst den Bericht der UN-Inspekteure abwarten. Im Deutschlandfunk sagte er am Samstag: "Man wird natürlich schon an Irak erinnert, wo solche (...) angeblichen Beweise vorgelegt wurden, und alle nicht stimmten."
Auch der frühere KFOR-Kommandeur Klaus Reinhardt wies darauf hin, dass ein Militäreinsatz auf klaren Beweisen beruhen müsse. "Das Grundproblem sehe ich in der Glaubwürdigkeit der Argumentation und dem Nachweis, dass tatsächlich das Assad-Regime die Chemiewaffen eingesetzt hat", sagte er dem Magazin "Focus". (dpa)