Berlin. Noch hat Washington nicht über einen Militärschlag gegen Syrien entschieden. Allerdings sehen die USA eine Chemiewaffeneinsatz des dortigen Regimes als erwiesen an. Die Bundesregierung schätzt die Argumente als “plausibel“ ein - und kritisiert Russland und China.

Nach dem Abschluss ihrer Untersuchungen in Syrien haben die UN-Chemiewaffenexperten das Land verlassen. Ein Sprecher der Vereinten Nationen in Syrien sagte am Samstag, dass die zwölf Inspekteure um Missionsleiter Sellström abgereist sind. Nach Angaben von Augenzeugen trafen sie am Vormittag am internationalen Flughafen der libanesischen Hauptstadt Beirut ein. Zuvor hatte der Autokonvoi die syrisch-libanesische Grenze bei Masnaa überquert. Die Inspekteure wollten von Beirut aus nach Europa weiterreisen.

Nach Angaben der Vereinten Nationen ist noch unklar, wann ihr Untersuchungsbericht veröffentlicht werden kann. Aus westlichen Diplomatenkreisen hieß es am Freitag, es werde mindestens 10 bis 14 Tage dauern, bis die Ergebnisse vorliegen könnten.

Merkel greift Russland und China an

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte unterdessen die Regierungen Russlands und Chinas wegen ihrer Haltung im Syrien-Konflikt. "Es ist sehr bedauerlich, dass sich Russland und China seit langer Zeit einer gemeinsamen Haltung im Syrien-Konflikt verweigern, das schwächt die Rolle der UN derzeit erheblich", erklärte sie in der "Augsburger Allgemeinen" .

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Der Bürgerkrieg wird nach ihren Angaben auch Thema auf dem G20-Gipfel am Donnerstag/Freitag im russischen St. Petersburg sein. "Am Rande werden natürlich auch außenpolitische Themen diskutiert. In diesem Jahr mit Sicherheit auch gerade das Thema Syrien", sagte Merkel am Samstag in einer Videobotschaft.

Es könne "ein Tabubruch wie der Einsatz von Giftgas mit Hunderten von Toten nicht ohne Folgen bleiben", hielt sie in der Zeitung fest. Ähnlich äußerte sich Außenminister Guido Westerwelle (FDP): Wegschauen ermutige zum erneuten Einsatz solcher Waffen. "Auch deshalb lautet unser eindringlicher Appell an Russland, gemeinsam mit der Weltgemeinschaft hier ein klares Zeichen zu setzen", sagte er der "Welt am Sonntag" ("WamS").

Zentralrat der Juden fordert deutsches Eingreifen

Merkel schloss eine deutsche Beteiligung an militärischen Aktionen ohne internationales Mandat kategorisch aus. "Deutschland kann sich an Militäreinsätzen im übrigen nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen, der Nato oder der EU beteiligen - insofern stellt sich die Frage nach einer Beteiligung der Bundeswehr jetzt ohnehin nicht."

Dagegen forderte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, die Bundesregierung zur Loyalität mit ihren Partnern auf. Der "fatale Fehler" in der Libyen-Krise vor zwei Jahren, als Deutschland mit seiner Enthaltung den Verbündeten "in den Rücken gefallen" sei, dürfe sich nicht wiederholen. "Jetzt besteht die Chance, den Fehler von damals zu korrigieren", sagte Graumann dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag).

US-Präsident Barack Obama hat nach eigenen Angaben noch keine Entscheidung über eine Militärintervention getroffen. Er erwäge aber einen "begrenzten" und "eingeschränkten" Einsatz, sagte er am Freitag in Washington. Außenminister John Kerry sprach von klaren und schlüssigen Beweisen gegen das Regime in Damaskus.

Früherer UN-Botschafter sieht US-Argumente skeptisch

Westerwelle sprach in der "WamS" von schwerwiegenden Argumenten Kerrys. "Sie weisen klar in Richtung des Assad-Regimes. Sie sind plausibel. Jeder sollte sie ernst nehmen." Der ehemalige deutsche UN-Botschafter Gunther Pleuger findet dagegen die Darlegungen der USA zum Giftgaseinsatz in Syrien nicht überzeugend. "Es sind ja keine Beweise vorgelegt worden. Es ist nur gesagt worden, dass es überzeugende Beweise gibt. (...) Aber welche, das wissen wir nicht", sagte Pleuger am Samstag im Deutschlandfunk. "

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Man wird natürlich schon an Irak erinnert, wo solche (...) angeblichen Beweise vorgelegt wurden, und alle nicht stimmten." Die USA sollten abwarten, ob die UN-Inspekteure Beweise für einen Giftgaseinsatz durch die Regierungsseite von Präsident Baschar al-Assad gefunden haben und welche. Pleuger hatte Deutschland von 2002 bis 2006 bei den Vereinten Nationen vertreten.

Die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt warnte vor einseitigen Aktionen der USA: "Alleingänge machen keinen Sinn", sagte sie der "Bild am Sonntag". Ein Militärschlag sei nur unter bestimmten Voraussetzungen und als letztes Mittel beim Versagen aller anderen Maßnahmen legitim und müsse sorgfältig abgewogen werden.

Steinmeier sieht außenpolitische Versäumnisse

In Syrien seien jetzt scharfe Sanktionen und Druck auf Russland nötig. Auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth plädierte dafür: "Mich erschüttert, dass als Antwort immer nur das Militär genannt wird. Es gibt die Möglichkeit, endlich harte Sanktionen durchzusetzen", erklärte sie in der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Roth schloss sich ebenso wie im Magazin "Focus" der Außenexperte der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, Forderungen an, Syriens Präsidenten Baschar al-Assad vor den Internationalen Gerichtshof zu stellen.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sieht massive Versäumnisse der schwarz-gelben Bundesregierung in der Außenpolitik. Deutschland habe in den vergangenen Jahren "gewaltig an Gewicht verloren in Washington und sich völlig zurückgezogen von einer Politik gegenüber Russland", sagte er der "Frankfurter Rundschau": "Das war ein riesiger Fehler, der jetzt offenbar wird." Angesichts eines drohenden Militärschlags in Syrien könne Kanzlerin Merkel nun nicht vermitteln. (dpa)