Berlin. . Der SPD-Spitzenpolitiker Frank-Walter Steinmeier war früher der Geheimdienstkoordinator von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Jetzt gerät Steinmeier in der NSA-Spionageaffäre in die Kritik. Was wusste er vom US-Abhörprogramm? Ein Faktencheck.

Kein anderes Thema hält die Wahlkämpfer so auf Trab wie die NSA-Affäre. Und es ist kein Ende in Sicht. Nächste Woche berät wieder das Bundestagsgremium, das die Geheimdienste überwacht. Seit Tagen attackieren Union, FDP; aber auch die Linkspartei die SPD, weil schon in ihrer Regierungszeit die Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst vertraglich geregelt wurde. Was wusste Frank-Walter Steinmeier, der damals als Chef des Kanzleramts die Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst (BND) hatte und heute die SPD-Opposition anführt? Ein Faktencheck.

Der Vorwurf

Der SPD wird vorgeworfen, dass sie sehr taktisch mit der Affäre umgeht. Sie gaukele Unwissenheit über einen Sachverhalt vor, den sie seinerzeit 2002 selbst beschlossen habe. Sie führe die Bürger bewusst „in die Irre“, so Unions-Fraktionsmanager Michael Grosse-Brömer. Sie sei jetzt „als unglaubwürdig enttarnt“, sagt FDP-Chef Philipp Rösler. „Pure Heuchelei“, meint CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Und für die Linkspartei ist Steinmeier der „größte Heuchler in der ganzen Spionageaffäre“. Die SPD vermutet ein „Ablenkungsmanöver“ und drängt auf eine Aufklärung der Affäre.

Fakt ist...

...dass der Bundesnachrichtendienst und die NSA 2002 vereinbarten, ihre Kooperation zu erweitern. Es gibt dazu ein Dokument, das bis heute die Grundlage der Zusammenarbeit der Dienste ist. Fakt ist auch, dass der BND in Bad Aibling eine Abhörstation der USA übernahm, in ihrem Sinne weiterführte und über die Ergebnisse informierte. Die Vereinbarung trägt zwar nicht die Unterschrift von Steinmeier. Mit Sicherheit gab es damals darüber aber einen Vermerk, der über seinen Schreibtisch ging. Er trägt die politische Verantwortung. Es war seine Grundsatzentscheidung. Und die war das Gebot der Stunde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Die Skandalisierung

Steinmeier versteht die Kooperation nicht als Billigung jeder geheimdienstlichen Praxis, insbesondere nicht der Totalüberwachung des Internets. Angeblich zapfte die NSA im Zuge des Programms „Prism“ jeden Monat in Deutschland 500 Millionen Daten ab. „Prism“ wurde aber erst 2005 gestartet, im Herbst – da war Rot-Grün gerade abgewählt worden und die Aufsicht der Geheimdienste oblag nicht länger Steinmeier. Zwar dürfte er ziemlich gut mit der Arbeit der Geheimdienste vertraut sein. Die SPD kann sich nicht dumm stellen, aber „Prism“ hat Steinmeier nicht zu verantworten.

Die offene Frage

Die Auslandsaufklärung – gerade in Krisengebieten – ist die Aufgabe des BND. Das Abhören im Ausland ist gesetzlich gedeckt, ebenso auch die Zulieferung von Daten an den Verbündeten USA. Die Auslandsaufklärung und die Totalüberwachung und Verletzung von Grundrechten deutscher Bürger sind aber zwei verschiedene Paar Schuhe. Offen ist, ob und wer in Deutschland spioniert hat – Behörden, Unternehmen, normale Bürger.

Fazit

Die Bundesregierung hat versucht, die Empörung über „Prism“ einzufangen, die Bürger zu beruhigen und Fehlentwicklungen vertraulich zu korrigieren. Damit konnte sie im Wahlkampf nicht bestehen. Die jetzigen Vorwürfe gegen die SPD markieren einen Strategiewechsel der Regierung und der Koalition. Sie gehen ihrerseits in die Offensive. Union und FDP handeln abgestimmt; der Hinweis auf Steinmeier kam von Regierungssprecher Streiter. Es ist der Versuch, eine Kollektivschuld aufzubauen. Das hat eine eigene Logik: Wenn alle schuldig sind, kann keiner ein politisches Süppchen kochen. Das Dilemma ist, dass die Arbeit der Geheimdienste keine Öffentlichkeit verträgt.

Wenn die Amerikaner zu weit gegangen sind, muss man politisch, diplomatisch vorstellig werden und Verträge ändern. Geheim ist, ob der amerikanische Freund zu weit gegangen ist. Und geheim ist genau so, ob der Protest aus Deutschland Wirkung zeigte.

Die NSA-Affäre bleibt eine offene Flanke der Regierung. Sie kann dabei nur schlecht aussehen.