Washington. . Die USA haben am Sonntag über 20 ihrer Botschaften geschlossen. Nach eigenen Angaben reagieren sie damit auf die Flucht von bis zu 2000 Islamisten – nach Meinung von Kritikern hingegen auf hausgemachte Probleme mit dem Datenskandal der NSA.
Im Mai griff US-Präsident Barack Obama in einer Grundsatzrede zur Anti-Terror-Politik der Zukunft zu Formulierungen, die aufhorchen ließen. El Kaida und angegliederte Netzwerke seien durch jahrelanges US-Engagement „weitgehend bedeutungslos“ gemacht worden, sagte der Präsident und stellte eine Abkehr vom weltweit kritisierten Drohnenkrieg in Aussicht.
Keine drei Monate später greifen die USA auf Grundlage von Geheimdienst-Informationen zu noch nie dagewesenen Sicherheitsvorkehrungen: Über 20 Botschaften blieben am Sonntag geschlossen. Bis Ende August gilt zudem eine weltweite Reisewarnung. Amerika rechnet verstärkt mit Anschlägen militanter Islamisten. War der Präsident mit seinem Fazit zu voreilig?
Die beispiellose Maßnahme fällt zeitlich zusammen mit einer ebenso ungewöhnlichen Warnung von Interpol. Die Polizeibehörde rief ihre 190 Mitgliedsländer zu erhöhter Wachsamkeit auf. Hintergrund: Mehrere Gefängnis-Stürmungen. In Pakistan, Libyen und im Irak kamen dabei laut Interpol rund 2000 Extremisten aus dem Dunstkreis islamistischer Terror-Organisationen frei. US-Geheimdienste gehen davon aus, dass die Aktionen von Gruppen koordiniert waren, die mit El Kaida sympathisieren.
Führende El-Kaida-Leute sollen über Anschläge gesprochen haben
Wie Mark Mazzetti, Terror-Experte der New York Times erfahren haben will, wurden führende Kader von El Kaida dabei abgehört, als sie über konkrete Anschläge im Nahen Osten und in Nordafrika gesprochen haben sollen. Weil zusätzlich eine neue Botschaft von El-Kaida-Chef Aiman-al-Sawahiri auftauchte, in der zum Angriff auf „Interessen der USA und ihrer Verbündeten“ aufgerufen wird, sei in Washington der Entschluss zur Botschafts-Schließung gefallen.
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Experten wie der Brite Peter Bergen sehen einen Zusammenhang mit symbolisch aufgeladenen Daten im Islam, wo in diesen Tagen der Fastenmonat Ramadan endet. Zudem könnten Terror-Anschläge aus der Vergangenheit – das Attentat auf das libysche US-Konsulat in Bengasi vor rund einem Jahr oder die Terrorwelle auf US-Einrichtungen in Kenia und Tansania vor 15 Jahren – Nachahmer inspirieren. Damals kamen 200 Menschen um, über 4000 wurden verletzt.
Nur ein Ablenkungsmanöver der USA?
Die globale Terrorwarnung fällt mitten in die Debatte um die Angemessenheit der Überwachungs-Aktivitäten des US-Auslandsgeheimdienstes. Das ließ in Internet-Foren großer US-Medien vereinzelt den Verdacht aufkommen, Washington wolle von dem NSA-Skandal um Edward Snowden ablenken und die öffentliche Meinung für die Arbeit der Sicherheitsdienste gewogen machen. Die Regierung schien auf derlei Zweifel vorbereitet. Generalstabschef Martin Dempsey verteidigte gestern die vorbeugende Schließung der Botschaften: „Es gibt einen bedeutenden Strom von Drohungen. Wir reagieren darauf.“
Anschlagspläne, die US-Sicherheitsdienste in Erfahrung gebracht hätten, seien „spezifischer“ als früher und nicht allein auf amerikanische, sondern auf „westliche Ziele“ allgemein ausgerichtet. Den gleichen Tenor stimmten führende Kongress-Abgeordnete an, die regelmäßig von Regierung und Militärführung über die Bedrohungslage ins Bild gesetzt werden. „Ich kann mich an keine so konkrete Lage in den vergangenen sieben Jahren erinnern“, sagte der Republikaner Peter King.
Sein Parteikollege Ted Poe setzte hinter die Botschafts-Schließungen ein Fragezeichen. „Der Terror wirkt. Das zeigt die Entscheidung, die Türen unserer Vertretungen zu schließen. Natürlich, wir wollen sicher gehen, dass niemand verletzt wird. Aber auf lange Sicht können wir nicht jedes Mal alles dicht machen, wenn bedrohliche Informationen bekannt werden.“
Es geht vor allem um den Jemen
Dass sich die Befürchtungen vor allem auf den Jemen konzentrieren – auch Frankreich, Deutschland und Großbritannien haben dort ihre Botschaften schließen lassen – wird in US-Sicherheitskreisen als bemerkenswert bezeichnet. Hintergrund: Erst vor wenigen Tagen war Jemens Präsident Hadi im Weißen Haus. Gastgeber Obama lobte ausdrücklich die Anstrengungen des bitterarmen Landes im Kampf gegen den Terrorismus.