Kairo. Ägyptens Übergangspräsident Mansur hat das Parlament aufgelöst und damit die Entscheidung des Militärs vom Mittwoch bekräftigt. Bei Auseinandersetzungen mit dem Militär wurden in Kairo laut Staatsfernsehen 17 Menschen getötet. Islamisten rufen zu weiteren Massenprotesten auf.
In Ägypten sind nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi amtlichen Angaben zufolge am Freitag insgesamt 17 Menschen getötet worden. Dies berichtete das staatliche Fernsehen unter Berufung auf Daten des Gesundheitsministeriums. Details wurden nicht genannt. Anhänger Mursis hatten für Freitag zu Massenprotesten gegen den Sturz des Präsidenten aufgerufen. Dabei war es auch zu Zusammenstößen mit Gegnern des Islamisten gekommen. Das Militär hatte Mursi Mitte der Woche entmachtet.
Der ägyptische Übergangspräsident Adli Mansur hatte am Freitag mit einer seiner ersten Weisungen das Parlament aufgelöst. Damit bekräftigte er am Freitag eine Entscheidung der Militärführung, die am Mittwoch den bisherigen Amtsinhaber Mohammed Mursi abgesetzt und zugleich auch die Verfassung aufgehoben und das Parlament aufgelöst hatte. Zudem ernannte Mansur laut der amtlichen Nachrichtenagentur Mena am Freitag Mohammed Ahmed Farid zum neuen Geheimdienstchef.
Die Auflösung bezieht sich auf den sogenannten Schura-Rat, das Oberhaus der Volksvertretung. Das Unterhaus hatte der Verfassungsgerichtshof im Juni des Vorjahres aufgelöst, weil bei dessen Wahl gegen die Wahlordnung verstoßen worden war. Der Schura-Rat nahm dann in der Folge die Aufgaben beider Kammern wahr.
Straßenschlachten zwischen Mursi-Anhängern und -Gegnern
An Tag zwei nach dem Sturz von Ägyptens Staatschef Mohammed Mursi kame es in Kairo zu den befürchteten Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Mursi-Anhängern. Im Zentrum der Stadt haben sie sich Straßenschlachten geliefert. An der 6.Oktober-Brücke bewarfen sich beide Seiten mit Pflastersteinen, berichtete eine Reporterin des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira. Fernsehbilder zeigten, dass auch Feuerwerkskörper eingesetzt wurden. Über Opfer wurde zunächst nichts bekannt. Zuvor hatten Zehntausende Menschen im ganzen Land gegen die Absetzung des Islamisten Mursi demonstriert. Bei Zusammenstößen kamen nach offiziellen Angaben landesweit insgesamt sechs Menschen ums Leben.
Laut Augenzeugen wurden am Vormittag mindestens zwei Menschen bei einem Schusswechsel vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde getötet. Die Muslimbrüder und weitere islamistische Organisationen hatten zu friedlichen Demonstrationen gegen die Entmachtung Mursis am Mittwoch aufgerufen.
Anführer der Muslimbrüder zu Dauer-Protest auf, "bis Mursi wieder im Amt ist"
Der Anführer der Muslimbrüder in Ägypten, Mohammed Badie, hat seine Anhänger zudem am Freitag zu weiteren Massenprotesten bis zur Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi aufgerufen. "Der Staatsstreich des Militärs ist nicht gültig", rief Badie am Freitag vor tausenden Menschen in Kairo. "Wir bleiben zu Millionen in den Straßen, bis wir unseren gewählten Präsident auf unseren Schultern tragen."
Schon Stunden vor Beginn der Massenproteste sammelten die Islamisten ihre Kräfte gegen den "Militärputsch". "Möge Gott Mursi zurück an die Macht bringen", rief ein Imam tausenden aufgebrachten Gefolgsleuten vor der Moschee Rabaa al-Adawija in Kairo zu. Auch die Gegner des geschassten Staatschefs brachten sich zum "Schutz der Revolution" in Stellung. Die von liberalen und linken Kräften geführte Nationale Heilsfront rief alle Ägypter zur Solidarität auf.
Kampfflugzeuge über Kairo, Panzer in den Straßen
Mehrere tieffliegende Kampfflugzeuge über Kairo und Panzer in den Straßen der Hauptstadt sorgten zusätzlich für eine gespannte Atmosphäre, auch wenn das Militär in einer nachts veröffentlichten Erklärung zur nationalen Einheit und Versöhnung aufgerufen hatte. Die Ägypter sollten auf Racheakte verzichten, hieß es darin.
Der prominente Oppositionspolitiker Mohammed ElBaradei bezeichnete die Intervention des Militärs im britischen BBC-Rundfunk als "schmerzhafte Maßnahme", die aber "zur Vermeidung eines Bürgerkriegs" notwendig gewesen sei. Die Armee wolle das Land nicht führen und werde "binnen einer Woche" die Bildung einer zivilen Regierung ermöglichen, versprach er.
Die Militärführung hatte Mursi am Mittwoch entmachtet und im Verteidigungsministerium festgesetzt. Auch die Führungsriege der Muslimbrüder wurde festgenommen, die islamische Verfassung außer Kraft gesetzt. Als Übergangspräsident setzten die Streitkräfte den obersten Verfassungsrichter Adli Mansur ein.
Afrikanische Union setzt Ägyptens Mitgliedschaft aus
Als Reaktion auf den undemokratischen Umsturz setzte die Afrikanische Union (AU) am Freitag die Mitgliedschaft Kairos aus. Die Organisation gab bekannt, dass die Sanktion gegen Ägypten "bis zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung" gelte. "Der Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten entspricht nicht den Regeln der Verfassung", hieß es in einer Stellungnahme. Damit befindet sich Kairo nun in Gesellschaft anderer geächteter Krisenstaaten wie Madagaskar, Guinea-Bissau und der Zentralafrikanischen Republik.
Ägyptens AU-Botschafter Mohammed Edrees hatte vor dem Beschluss noch appelliert, dass "die Stimmen von Millionen Ägyptern erhört, verstanden und respektiert werden müssen". Damit bezog er sich auf die tagelangen Massenproteste gegen Mursi, bei denen schon bis zum Mittwoch dutzende Menschen getötet worden waren.
Neben den USA warnte auch die Bundesregierung davor, den demokratischen Transformationsprozess in Ägypten durch politisch motivierte Verfolgungen und Festnahmen zu gefährden. Diplomatische Kontakte werde Deutschland "selbstverständlich weiter" zu diesem "Schlüsselland für die arabische Welt pflegen", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin.
Die ägyptische Staatsanwaltschaft hat unterdessen am Freitag zwei verhaftete Mitglieder der Führung der Muslimbruderschaft freigelassen. Saad al-Katatni und Raschad Bajumi, die dem Lenkungsbüro der islamistischen Organisation angehören, seien auf freiem Fuß, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur MENA am Freitagabend. Beide Politiker standen ursprünglich unter dem Verdacht, zur Tötung von Demonstranten angestiftet zu haben. Ihre Verhaftung erfolgte, nachdem die Armeeführung den aus der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten Mohammed Mursi am Mittwoch entmachtet hatte. (afp/dpa)