Kairo/Berlin. Anhänger des gestürzten ägyptischen Präsidenten Mursi wollen an diesem Freitag landesweit demonstrieren. Eine Allianz islamistischer Gruppen, darunter die Muslimbrüder, rief zu “friedlichen Protesten“ gegen den “Militärputsch“ auf. Die Krise ist auch Anlass eines Treffens der Afrikanischen Union.
In Ägypten haben die Islamisten nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi durch das Militär für Freitag zu Protesten aufgerufen. Der "Militärputsch" dürfe nicht hingenommen werden, hieß es am Donnerstag in einer von arabischen Medien verbreiteten Erklärung der Muslimbrüder und verbündeter Parteien. Zudem weigerten sich die Islamisten, mit der neuen Führung zusammenzuarbeiten. Zuvor hatte der Übergangspräsident Adli Mansur angekündigt, die Islamisten an der Regierung beteiligen zu wollen. Nach dem Umsturz waren zahlreiche Funktionäre der Muslimbrüder, denen Mursi nahesteht, festgenommen worden.
Mursi bezeichnete die Entmachtung in einer ersten Reaktion als "klaren Militärputsch". Seine Anhänger verweigerten den neuen Machthabern jegliche Zusammenarbeit und riefen für Freitag zu Protesten auf. Der "Militärputsch" dürfe nicht hingenommen werden, hieß es in einer von arabischen Medien verbreiteten Erklärung der Muslimbrüder und verbündeter Parteien.
Zeitung titelt "Revolutionäre Legitimität wiederhergestellt"
Viele Menschen in Kairo tragen am Donnerstag ein Lächeln auf den Lippen. Sie sind froh, dass die Armee am Vortag den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet hat. Die Tageszeitung "Al-Ahram", im gegebenen Moment stets das Sprachrohr der jeweiligen Macht, titelt in großen roten Lettern: "Präsident abgesetzt, revolutionäre Legitimität wiederhergestellt!"
Auf die demokratische Legitimität kann sich das Militär tatsächlich nicht berufen, denn die konnte Mursi für sich reklamieren. Vor mehr als einem Jahr war er in freien und demokratischen Wahlen ins Amt gewählt worden. Es war der erste Urnengang nach der Revolution, die im Februar 2011 den Langzeitherrscher Husni Mubarak von der Staatsspitze gefegt hatte. Viele Nicht-Islamisten, unpolitische Fromme und Teilnehmer des Anti-Mubarak-Aufstands wählten den Kandidaten der islamistischen Muslimbruderschaft. Denn in der Stichwahl wollten sie ihre Stimme nicht Ahmed Schafik geben, einem Exponenten des alten Regimes.
"Mursi hat Unfrieden gesät"
Doch nach einem Jahr an der Macht hatte Mursi gerade die Revolutionäre von damals verprellt. Statt Demokratisierung und wirtschaftlicher Erholung bewirkte er eine Islamisierung von Staat und Gesellschaft und wirtschaftliche Stagnation. Am Ende zunehmend isoliert, biederte er sich sogar islamistischen Hasspredigern an. Nach einem solchen gemeinsamen Auftritt ermordete ein Mob in einem Dorf bei Kairo fünf Schiiten - Angehörige einer muslimischen Minderheit, die in Ägypten so winzig ist, dass sie niemanden stört außer verblendete Fanatiker.
"Er hat Unfrieden gesät und die ägyptische Gesellschaft gespalten", meint der Lehrer Said Abdul Rahman, der eigens aus Alexandria zu den Anti-Mursi-Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo angereist ist. "Es ist gut, dass er weg ist." Was unter Mursi falsch lief, könne nun beendet, ausgebügelt, korrigiert und in gute Bahnen gelenkt werden, so hofft er.
War der drastische Eingriff nach den beeindruckenden Massenprotesten der vergangenen Tage nur eine "Korrektur" der Revolution? Ein "Putsch mit Glacé-Handschuhen"?
Gewalt-Aktionen radikaler Muslimbrüder sind nicht ausgeschlossen
Übergangspräsident Adli Mansur, der gleich am Donnerstag den Amtseid ablegte, gelobte Respekt für Demokratie und Rechtsstaat. Doch noch ist nicht klar, wer seiner Übergangsregierung angehören soll, in welchem zeitlichen Rahmen und juristischen Umfeld die angestrebten Neuwahlen für Präsidentschaft und Parlament stattfinden sollen.
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Mursis Muslimbrüder lecken sich die Wunden. Trotz ihres massiven Popularitätsverlusts verfügen sie über einen gut organisierten, schlagkräftigen Kern von Hunderttausenden Mitgliedern und Unterstützern. Ihr Potenzial, die Verwaltung des Landes zu stören und zu lähmen, ist beträchtlich. Auch gewaltsame Aktionen radikalisierter Muslimbrüder oder extremistischer Verbündeter sind nicht auszuschließen.
Ruf nach rascher Rückkehr zur Demokratie in Ägypten
Die Meldungen von einer Festsetzung Mursis und von Haftbefehlen gegen andere führende Muslimbrüder lassen nichts Gutes erahnen. Eine Welle der Verfolgung und Unterdrückung wäre kontraproduktiv. "Die größte Herausforderung für die neue Regierung ist es, die Muslimbrüder wieder zurück ins Boot zu holen", meinte der Nahost-Experte Magdi Abdelhadi am Donnerstag in der BBC. Die neue Führung des Landes könnte sich schnell unglaubwürdig machen, wenn sie genau das täte, was die Protestbewegung Mursi und den Islamisten vorgeworfen hat: den politischen Konkurrenten auszugrenzen und zu ignorieren.
Nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi ist der Ruf nach einer raschen Rückkehr zur Demokratie in Ägypten laut geworden. Es müsse so schnell wie möglich wieder eine gewählte Regierung am Nil geben, forderten US-Präsident Barack Obama und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton einen Tag nach dem Militärputsch. Der am Donnerstag von den Streitkräften als Übergangspräsident eingesetzte Oberste Richter Adli Mansur versprach Neuwahlen und reichte den entmachteten Islamisten um Mursi die Hand zur Versöhnung, die diese aber ausschlugen. Mursi und führende Vertreter der Muslimbrüder wurden festgenommen oder zur Fahndung ausgeschrieben. Bei Zusammenstößen kamen 14 Menschen zu Tode.
US-Präsident Obama warnt vor willkürlichen Verhaftungen in Ägypten
Der Sturz Mursis ziemlich genau ein Jahr nach seinem Amtsantritt löste international ein geteiltes Echos aus. In der arabischen Welt wurde die Militäraktion begrüßt. Saudi-Arabien und Katar gratulierten Mansur zu seiner Ernennung. Verurteilt wurde das Eingreifen der Armee dagegen in der Türkei, deren Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sich wie Mursi einer Protestbewegung erwehren muss und wo das Militär ähnlich einflussreich wie in Ägypten ist.
US-Präsident Obama reagierte skeptisch und forderte die ägyptischen Streitkräfte zur raschen Machtübergabe an eine gewählte Regierung auf. Er erwarte, dass die Versammlungsfreiheit ebenso gewahrt werde wie das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Obama warnte vor willkürlichen Verhaftungen und kündigte an, die Militärhilfe in Höhe von jährlich mehr als einer Milliarde Dollar zu überprüfen. Er verurteilte den Sturz Mursis aber ebenso wenig wie die Vereinten Nationen oder die EU. Ashton forderte, rasch Präsident und Parlament neu zu wählen und die Verfassung umzuarbeiten. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen rief ebenfalls zur Zurückhaltung auf.
Merkel besorgt über Amtsenthebung Mursis, Westerwelle sieht "schweren Rückschlag für die Demokratie"
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich besorgt über die Amtsenthebung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär geäußert. "Es handelt sich hier ohne Zweifel um umwälzende Ereignisse, die wir doch mit großer Sorge verfolgen", sagte Merkel am Donnerstag im brandenburgischen Meseberg. Die Kanzlerin rief alle Beteiligten auf, keine Gewalt anzuwenden. Die Probleme Ägyptens könnten nur gelöst werden, wenn das Land rasch wieder in einen politischen Prozess eintrete, bei dem "die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung sehr schnell wiederhergestellt wird", mahnte die Kanzlerin.
Die Absetzung des gewählten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär hat bei den Parteien in Deutschland Sorge, aber auch Verständnis hervorgerufen. Zwar sei ein Putsch gegen einen gewählten Präsidenten "ein äußerst fragwürdiger Vorgang", erklärte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin am Donnerstag in Berlin. Allerdings habe Mursi mit seinem Versuch, "die ägyptische Gesellschaft zu islamisieren und zu spalten", selbst eine massive Protestbewegung hervorgerufen. Trittin forderte - wie auch Vertreter von Union, SPD, FDP und Linkspartei - die rasche Übergabe der Macht vom Militär an eine gewählte Zivilregierung.
Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte die schnellstmögliche Rückkehr "zur verfassungsmäßigen Ordnung". "Das ist ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in Ägypten", erklärte er.
"Den Ausgang von Wahlen darf man in einer Demokratie nicht ignorieren"
Ähnlich äußerte sich der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder. Er bezeichnete Mursi im Deutschlandfunk als "radikalen gefährlichen Antisemiten". Zwar sei es "grundsätzlich nicht richtig", demokratisch gewählte Präsidenten abzusetzen. Im Falle Ägyptens sei aber zu fragen, ob die Alternative eine Eskalation bis hin zum Bürgerkrieg gewesen wäre.
Der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler warf Mursi vor, mit der Islamisierung der Gesellschaft und der Unterdrückung von Gegnern "die jetzige Lage maßgeblich zu verantworten". Mursi hinterlasse ein "zutiefst gespaltenes Land".
Der Linken-Abgeordnete Jan van Aken warf Mursi vor, die Hoffnungen auf einen demokratischen Neuanfang enttäuscht zu haben. Die Bundesregierung forderte er auf, sich an die Seite der demokratischen Kräfte zu stellen, "die für ein pluralistisches und freies Ägypten stehen".
Der FDP-Außenexperte Rainer Stinner bezeichnete die Massenproteste gegen Mursi als "verständlich" - nicht aber seine Absetzung durch das Militär. "Den Ausgang von Wahlen darf man in einer Demokratie nicht ignorieren", kritisierte er. Die Entmachtung durch das Militär sei "kein zulässiges Mittel der politischen Auseinandersetzung". (dpa/afp/rtr)