Essen. . Die Welthungerhilfe warnt die Staatengemeinschaft davor, die streitenden Parteien in Syrien mit weiteren Waffen aufzurüsten. Schon heute sei die Katastrophe in dem Land unbeschreiblich, sagte die WHH-Präsidentin Bärbel Dieckmann. 6,8 Millionen Syrer seien in größter Not.

„Waffenlieferungen für die eine oder andere Seite würden den Konflikt in Syrien nur verschärfen und zu noch mehr Toten und Elend führen“, sagt Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe. Im Interview redet sie über die Katastrophe in dem Bürgerkriegsland, über humanitäre Hilfe in Nordkorea und über die Herausforderung, sieben Milliarden Menschen auf der Welt ernähren zu müssen.

Frau Dieckmann, die Welthungerhilfe engagiert sich mit ihren Partnern im Bürgerkriegs-Land Syrien. Wie groß ist die Not dort?

Bärbel Dieckmann: Die UNO spricht von 6,8 Millionen Syrern, die dringend auf Hilfe angewiesen sind. Wir geben mit unseren Partnern rund 100000 Menschen Nothilfe. Insgesamt erreichen Hilfsorganisationen nur einen Bruchteil der Notleidenden. Die Situation ist auch für die Helfer extrem gefährlich.

Wen unterstützen Sie? Menschen, die der syrischen Opposition nahestehen?

Dieckmann: Wir arbeiten grundsätzlich nach den Prinzipien der humanitären Hilfe, d.h. wir helfen unabhängig von politischen Positionen. Im Moment arbeiten wir in der Region Aleppo und in anderen Gebieten, die von Rebellen kontrolliert werden. Aber wir würden auch woanders helfen, wenn die Assad-Regierung dies zuließe. Wir hören auch nicht, dass Assad-Getreue gezielt humanitäre Hilfe verhindern wollen.

Verschiedene westliche Länder und Russland wollen die Konfliktparteien in Syrien auch mit Waffen unterstützen. Was sagen Sie dazu?

Dieckmann: Waffenlieferungen für die eine oder andere Seite würden den Konflikt nur verschärfen und zu noch mehr Toten und Elend führen. Das kann keine Lösung sein. Diese Art von Konflikten kann man in der Regel nicht militärisch lösen.

Sind die Deutschen bereit, Geld für humanitäre Hilfe in Syrien zu spenden?

Dieckmann: Die Menschen halten sich im Moment noch mit Spenden zurück. Das gilt übrigens auch für Nordkorea.

Warum?

Dieckmann: Das mag daran liegen, dass sie die Lage in Syrien nicht einschätzen können. Es gibt weder Vertrauen gegenüber Assads Regierung noch gegenüber den Rebellen. Insgesamt hat der Arabische Frühling große Hoffnungen geweckt, die aber dann wieder enttäuscht wurden. Dennoch: Die Syrer brauchen dringend humanitäre Unterstützung.

Sie haben Nordkorea angesprochen. Die Welthungerhilfe ist die letzte deutsche Hilfsorganisation, die dort geblieben ist. Muss sie sich da nicht den Vorwurf gefallen lassen, indirekt ein brutales Regime zu unterstützen, das einerseits Hunger zulässt, andererseits Atomwaffen produziert und exportieren will?

Dieckmann: Zunächst einmal muss man festhalten, dass wir in vielen Staaten arbeiten, in denen es keine gute „Governance“ gibt. Schlechte Regierungsführung ist oft eine der wesentlichen Ursachen für Hunger. Wir haben in Nordkorea 1997, als die große Hungersnot dort ausbrach, mit unserer Arbeit begonnen. Dort kann man nicht auf den Kontakt zu den staatlichen Behörden verzichten.. Wir leisten Hilfe im ländlichen Raum, denn dort gibt es nach wie vor Hunger, und die Kindersterblichkeit ist hoch. Wir betreiben Gewächshäuser, verbessern die Ernteergebnisse, versorgen Schulen und Krankenhäuser mit Nahrung. Auch wenn man das von außen nicht sieht: Sogar Nordkorea verändert sich langsam. Unsere Erfahrung zeigt, dass es sich auszahlt, schon in solchen Ländern zu sein, wenn sich die politische Lage verändert. Wenn sie den Fuß schon drin haben, dann haben sie einen entscheidenden Vorsprung und müssen nicht bei Null anfangen. Ein gutes Beispiel dafür ist übrigens Myanmar.

Hat sich das Spendenverhalten der Deutschen in den letzten Jahren verändert?

Dieckmann: Nicht sehr. Die Deutschen spenden nach wie vor gern. Der durchschnittliche Spender ist schon etwas älter, Ende 50 – Anfang 60 – und es spenden mehr Frauen als Männer. Das war schon immer so.

Müsste man nicht gezielt auch die Jüngeren ansprechen?

Dieckmann: Das tun wir, aber das verändert das Spendenaufkommen in dieser Gruppe nicht wesentlich. Junge Menschen, die noch keinen festen Job haben, werden nicht viel spenden können und wollen. Wir freuen uns aber darüber dass sich Jüngere sehr für Entwicklungsthemen interessieren. Dieses Interesse ist die Grundlage für späteres Engagement.

Bewegt die Frage der Welternährung die Menschen in Deutschland?

Dieckmann: Absolut. Seit einigen Jahren sogar immer mehr. Sie stellen sich die Frage, ob man sieben oder mehr Milliarden Menschen überhaupt ernähren könnte.

Und? Könnte man?

Dieckmann: Ja, das ist möglich. Es werden weltweit genügend Nahrungsmittel produziert, um sieben, acht oder neun Milliarden Menschen zu ernähren. Es wird immer argumentiert, dass die Produktion weiter gesteigert werden müsse. Das stimmt auch, aber es ist auch eine Frage der Verteilung, des Nicht-Wegwerfens von Nahrung und z.B. der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln muss beendet werden. Zum Glück gibt es immer mehr Geldinstitute, die auf solche Geschäfte verzichten.

Denken Sie daran, Patenschaften für Menschen in Not oder für Dörfer anzubieten? Andere Organisationen setzen darauf.

Dieckmann: Patenschaften, wie z.B. Kinderpatenschaften werden wir nicht anbieten. Für Dörfer und Regionen gibt es heute schon spezielle Angebote. Unsere Freundeskreise sammeln und spenden für die so genannten Millenniumsdörfer der Welthungerhilfe.