Berlin. . Die Arbeiterwohlfahrt AWO beklagt eine fehlende Qualität bei der Kinderbetreuung. Oft würden die Gruppen einfach vergrößert, ohne dass genügend Personal und Räume vorhanden seien. In zu großen Gruppen würden die Kleinkinder Angst bekommen. Der Bund müsse sich deutlich stärker an den Betriebskosten beteiligen, fordert die AWO.
Verängstige Kleinkinder in zu großen Gruppen, überforderte Erzieher, gespielt wird im Container: Zwei Monate vor Inkrafttreten des Rechtsanpruchs auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige schlagen Experten Alarm. Die Umsetzung des elterlichen Anspruchs ab Anfang August drehe sich zu oft nur um Quotenerfüllung – auf Kosten der betreuten Kinder.
„Die Qualität der Kinderbetreuung ist ins Hintertreffen geraten“, warnt der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Wolfgang Stadler. Die AWO ist selbst Trägerin von 2300 Kitas, eine Befragung der Einrichtungen brachte jetzt erschreckende Ergebnisse: Häufig würden die Gruppen vergrößert, ohne dass es mehr Fachkräfte und mehr Platz gebe – eine Aufstockung um 20 bis 25 Prozent mehr Kinder sei „üblich“. Es fehle oft an qualifiziertem Personal, zunehmend würden nicht qualifizierte Betreuer zugelassen, während Erzieher Überlastung beklagten.
Angst in großen Kita-Gruppen
Oft kommt es laut Befragung auch vor, dass die Kommunen ungeeignete Räume zur Betreuung der Kleinkinder anbieten: Container, Mehrzweckhallen oder ungenutzte Schulräume. „Wir arbeiten hier ständig hart an der Grenze zu kindeswohlgefährdenden Bedingungen“, berichtet eine Kita-Leiterin. Was, wenn das Provisorium angesichts knapper Kassen zur Dauerlösung wird?
So sei frühkindliche Betreuung kaum empfehlenswert, warnt der Entwicklungspsychologe Rainer Strätz, der das Sozialpädagogische Institut NRW in Köln leitet. „Damit wir junge Kinder optimal betreuen und fördern können, brauchen wir mehr Qualität als wir sie zur Zeit haben“, sagt Strätz.
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Schließlich sei Förderung gerade in den ersten Jahren für die Entwicklung der Kinder von großer Bedeutung. Der nötige Forschergeist erwache aber nur, wenn sich ein Kind sicher fühle und es ihm vertraute Erwachsene als „emotionale Tankstelle“ ansteuern könne, sonst bekomme es Angst. Es gebe einen Zusammenhang zwischen Bindung und Bildung.
Zu wenig Fachkräfte
Die Erzieher müssten deshalb mehr Zeit für das einzelne Kind haben, mahnt Strätz. Einjährige Kinder sollten zu dritt bei einer Fachkraft sein, zweijährige zu viert. Das erreicht aber bislang kein Bundesland.
„Die deutschen Standards werden den Anforderungen nicht gerecht“, sagt der Psychologe. „Eine große Gruppe von 25 Kindern macht Kleinkindern einfach nur Angst.“
Die Arbeiterwohlfahrt fordert als Konsequenz bundeseinheitliche Mindeststandards mit pädagogischen Vorgaben und staatlicher Qualitätskontrolle.
Der Bund müsse die finanziell überforderten Kommunen entlasten und einen Großteil der Betriebskosten übernehmen, verlangt der Verband.
Kommunen in der „Schlussoffensive“
Euphorie über erreichte Quoten-Erfüllung in diesem Sommer sei fehl am Platz, erklärt AWO-Chef Stadler. Wenn es überhaupt so weit kommt: Zwar bemühen sich viele Kommunen derzeit, in einer „Schlussoffensive“ noch zusätzliche Plätze einzurichten. Ganz offen werben Kommunalverbände für „flexible Lösungen“ mit größeren Gruppen oder dem Verzicht auf bestimmte Baustandards. Das Bundesfamilienministerium hat ein Extra-Kreditprogramm aufgelegt, das bis Sommer 10.000 Kita-Plätze finanzieren soll. Dennoch werden von den 780.000 benötigten Plätzen nach Expertenschätzungen zum 1. August über 100.000 fehlen – und außerdem 15.000 bis 30.000 Erzieher.