Jerusalem/Genf. Stundenlang ist in der Nacht zu Sonntag der Großraum Damaskus bombardiert worden. Die Regierung in Jerusalem hat mit den Luftangriffen den Iran fest im Blick. Die Einsätze zielten dem Vernehmen nach auf iranische Raketen mit großer Reichweite, die für die libanesische Hisbollah bestimmt waren.
Die Reaktion aus Damaskus ließ nicht lange auf sich warten: Israel leiste mit seinen Angriffen auf Syrien den Rebellen direkte militärische Hilfe, erklärte das Außenministerium nach einem Bericht des amtlichen Fernsehens. Die Streitkräfte des Nachbarlandes hatten in der Nacht zum Sonntag stundenlang den Großraum Damaskus bombardiert. Doch der Bürgerkrieg spielte dabei wohl keine große Rolle. Stattdessen hat die Regierung in Jerusalem mit den Luftschlägen ein anderes Land fest im Blick: den Iran.
Die beiden Einsätze am Freitag und Sonntag zielten dem Vernehmen nach auf iranische Raketen mit großer Reichweite, die für die libanesische Hisbollah bestimmt waren. Denn die islamistischen Kämpfer könnten die Waffen bei künftigen Konflikten auch auf israelische Städte richten. Schon jetzt verfügt die Hisbollah nach israelischen Schätzungen über 60.000 weitere Raketen.
Zwar könnte die Miliz ihr Arsenal schon heute einsetzen. In Israel geht aber die Sorge um, dass die Hisbollah dann zuschlagen könnte, wenn die Luftwaffe iranische Atomanlagen angreift. Der Abgeordnete Ofer Schelach von der mitregierenden liberalen Partei Jesch Atid sagt, es gebe klare Richtlinien, nach denen die Hisbollah nicht grundlegend aufrüsten dürfe. "Wir werden alles tun, um das zu verhindern."
Teheran bestreitet Entwicklung von Atomwaffen
Auch der Iran darf nach Ansicht der Regierung in Jerusalem eine Schwelle nicht überschreiten. Sie ist dann erreicht, wenn die Islamische Republik genügend Uran mit einem Reinheitsgrad von 20 Prozent hat, um schnell eine Atombombe bauen zu können. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht den Iran noch nicht dort, hat aber vorausgesagt, dass das Land wohl Mitte des Jahres so weit sein könnte. Die Regierung in Teheran bestreitet, Atomwaffen zu entwickeln.
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Nach Ansicht des früheren Militärgeheimdienstchefs Amos Jadlin sind die israelischen Angriffe auf Syrien ein klares Signal an den Iran, dass Netanjahu nicht blufft. Der Iran teste die Entschlossenheit von Israel und der USA. "Und bei Syrien sieht er, dass zumindest manche der Akteure die roten Linien ernst nehmen", sagte Jadlin im Hörfunk der Streitkräfte und spielte damit offensichtlich auf die bisherige Zurückhaltung von US-Präsident Barack Obama an.
Bisher Ruhe an syrischer Grenze
In Israel selbst sind die Angriffe kein strittiges Thema. Denn dass die Macht der Hisbollah eingedämmt werden muss, ist über Parteigrenzen hinweg Konsens. Im einmonatigen Krieg im Jahr 2006 hatten Kämpfer der islamistischen Organisation mehr als 4000 Raketen auf Israel abgeschossen. Die Hisbollah rüstet nach eigener Darstellung auf, um auf Aggressionen des südlichen Nachbarn zu reagieren. Israel hatte den Süden Libanons bis zum Jahr 2000 für zwei Jahrzehnte besetzt. Zwischen beiden Ländern gibt es noch immer Gebietsstreitigkeiten.
Angst vor einem syrischen Gegenschlag hat Israel offenbar nicht. So brach Netanjahu am Sonntag zu einem fünftägigen Staatsbesuch nach China auf - was darauf hindeutet, dass er keine Eskalation erwartet. Allerdings wurden Raketenabwehreinheiten in den Norden des Landes verlegt. Syrien und Israel befinden sich nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 offiziell noch immer im Kriegszustand. Aber im Grenzgebiet ist es seit vier Jahrzehnten eher ruhig. In der israelischen Regierung geht man davon aus, dass Syriens Staatschef Baschar al-Assad diese Ruhe nicht aufs Spiel setzt. Bei Vergeltung müsste er mit Gegenangriffen rechnen, die die Schlagkraft seiner Truppen im Kampf gegen die Rebellen stark verringern würde, heißt es.
Israel will keine Eskalation
Auch Israel hat kein Interesse an einer Eskalation. So sagte ein Vertrauter Netanjahus, für den Angriff auf den Großraum Damaskus gebe es keine offizielle Bestätigung aus Israel, weil man keinen Vergeltungsschlag Assads provozieren wolle. Zumindest beim ersten Luftschlag am Freitag blieben israelische Flugzeuge nach US-Erkenntnissen offenbar auf libanesischem Gebiet, um ein Aufeinandertreffen mit Truppen Assads zu vermeiden. Ob das auch dem Vorgehen am Sonntag entsprach, blieb zunächst unklar.
Ohnehin ist es für den jüdischen Staat heikel, in dem Bürgerkrieg Partei für eine der Seiten zu ergreifen. "Es ist eine undurchsichtige Lage", sagt etwa der liberale Abgeordnete Schelach. Assad hat den informellen Frieden auf den Golanhöhen nach der Übernahme der Macht von seinem Vater nicht aufgekündigt. Und nach israelischen Schätzungen sind zehn Prozent der Rebellen, die gegen ihn kämpfen, islamische Extremisten, die die Waffen nach einem Sturz Assads gegen Israel richten könnten. Auch Tzachi Hanegbi, Abgeordneter der rechten Likud-Partei und Vertrauter Netanjahus, sagte im Armeehörfunk, Israel habe keine Meinung dazu, ob Assad abtreten oder bleiben solle. Die Regierung wolle "nicht auf das falsche Pferd setzen". Wichtig sei, dass die Hisbollah nicht stärker werde.
Zeugen zu Einsatz von Nervengas in Syrien befragt
Die Vereinten Nationen (UN) haben Zeugenaussagen gesammelt, die auf den Einsatz des Nervengases Sarin in Syrien durch die Rebellen hindeuten. Die Ermittler hätten in benachbarten Ländern Opfer des Syrien-Krieges sowie Ärzte und Mitarbeiter von Krankenhäusern befragt, sagte Carla Del Ponte, Mitglied einer UN-Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtslage in Syrien, am Sonntag. "
Auf Basis ihres Berichts von vergangener Woche gibt es einen deutlichen, konkreten Verdacht, aber noch keinen unwiderlegbaren Beweis für den Einsatz von Saringas, was die Art der Behandlung der Opfer angeht", sagte sie im Interview mit einem schweizerisch-italienischen Fernsehsender. Wann oder wo das Nervengas zum Einsatz gekommen sein könnte, sagte sie nicht. Hinweise darauf, dass die syrischen Regierungstruppen Sarin eingesetzt hätten, habe die UN-Kommission dagegen noch nicht.
Mehrere Untersuchungen zum Einsatz von Chemiewaffen in Syrien
Zum möglichen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gibt es mehrere Untersuchungen. Die von Genf aus geleiteten Nachforschungen zu Kriegsverbrechen und anderen Menschenrechtsverletzungen laufen von den Untersuchungen von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon getrennt. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad und die Rebellengruppen werfen sich gegenseitig vor, Chemiewaffen bei drei Angriffen eingesetzt zu haben: Bei einem Angriff nahe Aleppo, einem weiteren nahe Damaskus - beide im März - sowie einem dritten im Dezember in Homs.
Die USA hatten Staatschef Assad wiederholt vor dem Einsatz chemischer Waffen gewarnt. Das sei eine rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe. Ihr Einsatz ist weltweit verboten. Die Regierung in Damaskus hat bestritten, derartige Waffen benutzt zu haben. Den USA zufolge gibt es Hinweise für den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien, allerdings ist unklar, wer sie eingesetzt hat. (Reuters)